März 2012 |
120302 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das durchgerostete Faß |
Blick in die Kaverne |
Das seit fünf Jahren stillstehende Kernkraftwerk Brunsbüttel (101202) sorgt auch nach der endgültigen Abschaltung (110302) noch für Schlagzeilen: Im Keller des sogenannten Feststofflagers, in dem Stahlblechfässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen lagern, wurden jetzt bei etlichen Fässern Korrosionserscheinungen festgestellt. Ein Faß war sogar so durchgerostet, daß es auseinanderbrach (siehe Foto). Zum Glück passierte das erst, nachdem der Inhalt bereits in einen "Gußcontainer" umgefüllt worden war, mit dem der Abfall später einmal in das Endlager "Schacht Konrad" (100908) verbracht werden soll. Der KKW-Betreiber Vattenfall verschwieg den Vorfall. Seiner Ansicht nach handelte es sich nicht um ein meldepflichtiges Ereignis. Das schleswig-holsteinische Justizministerium als zuständige Atomaufsicht erfuhr erst nachträglich und eher zufällig davon. Über eine Pressemitteilung des Ministeriums vom 7. März gelangte die Sache schließlich an die Öffentlichkeit.
Der Kieler Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) gab Anweisung, auch die Atommüll-Lager in den beiden Kernkraftwerken Krümmel und Brokdorf sowie beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht (vormals GKSS) zu überprüfen. Er verständigte außerdem das Bundesumweltministerium und regte eine bundesweite Überprüfung solcher Lagerstätten an: Viele der Fässer seien zu einer Zeit eingelagert worden, als noch niemand daran dachte, daß sich die Endlagerung so lange verzögern würde. Der Bund müsse deshalb bei der erneut anstehenden Novellierung des Kerntechnischen Regelwerks (090603) auch für die vorübergehende Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle an den Kraftwerksstandorten genauere und strengere Sicherheitskriterien entwickeln.
Wie die Energie Baden-Württemberg (EnBW) am 15. März mitteilte, hat sie an einem mit radioaktivem Schlamm gefüllten Rollreifenfass am Standort Neckarwestheim ebenfalls Korrosion festgestellt. Die Neuverpackung des Inhalts werde vorbereitet. Insgesamt habe die EnBW aufgrund des Vorfalls in Brunsbüttel 7000 solcher Fässer in den baden-württembergischen Kernkraftwerken überprüft.
Das Faß in Brunsbüttel war am 14. Dezember an eine Umsauganlage angeschlossen worden, um den Inhalt in den Gußcontainer für die Endlagerung umzufüllen. Dieser Umsaugvorgang verläuft automatisch und dauerte die Nacht über an. Am nächsten Morgen stellten Mitarbeiter des Kernkraftwerk Brunsbüttel (KKB) die teilweise Zerstörung des Fasses fest. Anscheinend war das Stahlblech so durchgerostet, daß es durch das Anfassen mit dem Faßgreifer zerbrach. Die KKW-Mitarbeiter machten Fotos von dem zerstörten Behälter. Sie unterließen es aber, die Atomaufsicht zu informieren oder einen Sachverständigen hinzuzuziehen.
Erst am am 10. Januar fiel einem Mitarbeiter des TÜV Nord, der für die Atomaufsicht tätig ist, bei der routinemäßigen Kontrolle der Unterlagen die ungewöhnlich lange Verweildauer des Fasses in der Umsauganlage auf: Sie betrug mehr als acht Stunden statt der üblichen zwei bis drei Stunden. Er stellte die Zerstörung des Fasses fest und informierte die Atomaufsicht. Am 12. Januar ordnete das Ministerium die sofortige Einstellung der Umfüllarbeiten an. Die Wiederaufnahme der Umfüllarbeiten soll erst genehmigt werden, wenn der Faßgreifer so umkonstruiert worden ist, daß er auch verrostete Fässer ohne Bruchgefahr bewegen kann.
In Brunsbüttel gibt es für die Lagerung von schwach- und mittelradioaktive Abfällen die "Kavernen" im Keller des sogenannten Feststofflagers, ein "Faßlager" unterhalb des Reaktorgebäudes sowie ein separates "Transportbereitstellungslager" zur Zwischenlagerung konditionierter Abfälle bis zum Transport ins Endlager. Das Feststoff- und das Faßlager gehören zum Sperrbereich, der nur im Ausnahmefall und unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen betreten werden darf. Die Kontakt-Ortsdosisleistungen an den Fässern schwanken je nach Beladung von einigen 10 bis einigen 100 Millisievert pro Stunde. Im Extremfall sind es bis zu zu 500 Millisievert je Stunde. Das ist das 25-fache der gesetzlich zugelassenen Jahresdosis für Mitarbeiter in Kernkraftwerken. Die Kavernen des Feststofflagers sind nach oben mit einem 110 cm dicken Betonriegel abgeschirmt, um den erforderlichen Strahlenschutz zu gewährleisten. Sie werden nur zur Be- und Umladung geöffnet, und auch dann wird nur mit ferngesteuerten Hebevorrichtungen gearbeitet.
Das Feststofflager war bereits beim Bau des Kernkraftwerks 1971 genehmigt worden. Anfang 2004 lagerten dort 726 Fässer mit einem Fassungsvermögen von jeweils 200 Liter. Bisher wurde bei 678 Fässern der Inhalt mittels einer Pulverharzumsauganlage in quaderförmige Behälter aus Gußeisen mit Kugelgraphit umgefüllt, die als "GNS Gusscontainer Typ VI" für die Endlagerung im "Schacht Konrad" zugelassen sind. Diese Gußcontainer warten nun in der oberirdischen "Transportbereitstellungshalle" auf den Abtransport ins Endlager, das aber voraussichtlich erst 2019 fertiggestellt sein wird (100908) .
In seiner Pressemitteilung vom 7. März, mit der er den Vorfall bekanntgab, hatte Justizminister Schmalfuß auch den Betreiber Vattenfall zu einer Stellungnahme aufgefordert. Er räumte ein, daß es sich nach den Paragraphen des Atomgesetzes möglicherweise nicht um ein meldepflichtiges Ereignis gehandelt hat. Dennoch hätte angesichts der Bedeutung des Vorfalls die Atomaufsicht umgehend informiert werden müssen, zumal Vattenfall nach den Pannen der vergangenen Jahre eine verbesserte Kommunikation verbindlich zugesagt habe.
Am 14. März veröffentlichte Vattenfall eine entsprechende Pressemitteilung. Das Rostproblem wurde darin nicht erwähnt. Auch nicht das Verschweigen des Vorfalls durch die eigene Mannschaft. Stattdessen war von "verzögerter Weitergabe" einer Information die Rede:
"Bei Umfüllarbeiten von radioaktivem Abfall im Kernkraftwerk Brunsbüttel im Dezember 2011 war ein Fass beschädigt worden. Diese Information wurde erst im Januar 2012 weitergegeben. Mit dieser verzögerten Weitergabe ist Vattenfall seinen eigenen Ansprüchen hinsichtlich schneller, umfassender und transparenter Information nicht gerecht geworden. Die internen und externen Vorgänge werden derzeit umfassend analysiert und aufgearbeitet und genießen auf Vorstandsebene höchste Priorität."
Vattenfall hat als Betreiber von Kernkraftwerken in Deutschland nicht mehr viel zu verlieren: Seit der Neufassung des Atomgesetzes im Juni 2011 (110601) ist der Konzern endgültig aus dem Kreis der aktiven Kernkraftwerksbetreiber ausgeschieden. Faktisch liefern Brunsbüttel und Krümmel schon seit Juni 2007 keinen Strom mehr. Was noch bleibt, ist der Stillstands- und Nachbetrieb der beiden Anlagen. Aber auch hierfür bedarf es der vom Atomgesetz verlangten Zuverlässigkeit. In Krümmel befinden sich ebenfalls 198 Fässer in Kavernen und weitere 967 Fässer im "Fasslager". Das Kieler Ministerium will deshalb die atomrechtliche Zuverlässigkeit Vattenfalls, die bereits wegen der früheren Vorkommnisse in Krümmel (070701, 090701) bezweifelt wurde, nun auch unter diesem Aspekt überprüfen. Bei Widerruf der Betriebsgenehmigung würde der Nachbetrieb vermutlich vom E.ON-Konzern übernommen, der an Brunsbüttel zu einem Drittel und an Krümmel zur Hälfte beteiligt ist (101202).