November 2021

211101

ENERGIE-CHRONIK


Neue Bundesregierung will Grünstrom-Erzeugung massiv steigern und EEG-Umlage abschaffen

Zwei Monate nach den Bundestagswahlen und vier Wochen nach Aufnahme der direkten Verhandlungen über ein Regierungsbündnis haben SPD, Grüne und FDP am 24. November ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Die Leitlinien für die Energiepolitik der künftigen Bundesregierung tragen dabei deutlich die Handschrift der Grünen. Sie werden hauptsächlich in dem Kapitel "Klima, Energie, Transformation" zusammengefasst, berühren aber auch andere Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Außenpolitik. Die wichtigste Neuerung ist eine massive Steigerung der Grünstrom-Erzeugung, wobei die EEG-Umlage in ihrer bisherigen Form abgeschafft und durch eine staatliche Erneuerbaren-Förderung aus dem Aufkommen der CO2-Bepreisung ersetzt wird (näheres dazu weiter unten).

Robert Habeck wird Minister für "Wirtschaft und Klima"

Die drei Parteien der sogenannten Ampel-Koalition (rot-gelb-grün) verfügen zusammen über 416 der 736 Sitze im 20. Deutschen Bundestag und somit über eine Mehrheit von 48 Stimmen. Davon entfallen 206 auf die SPD, 118 auf die Grünen und 92 auf die FDP. Diesem Kräfteverhältnis entsprechend stellt die SPD mit Olaf Scholz den neuen Bundeskanzler und überdies sieben Minister (Innen und Heimat, Bauen, Gesundheit, Arbeit und Soziales, Verteidigung, Entwicklung, Kanzleramt). Die Grünen erhalten fünf Ressorts (Wirtschaft und Klima, Außen, Familie, Umwelt, Landwirtschaft), die FDP vier (Finanzen, Verkehr und Digitales, Justiz, Bildung und Forschung). Über die personelle Besetzung der Ressorts ist noch nicht endgültig entschieden. Unter anderem gilt jedoch als sicher, dass der Grüne Robert Habeck Vizekanzler wird und das Ministerium für Wirtschaft und Klima übernimmt. Generell ist der Koalitionsvertrag noch nicht in trockenen Tüchern: Bei SPD und FDP muss er erst noch durch Parteitage gebilligt werden. Die Grünen führen zum selben Zweck bis Anfang Dezember eine Mitgliederbefragung durch.

"Am deutschen Atomausstieg halten wir fest"

Wie es im ersten Abschnitt des Kapitels "Klima, Energie, Transformation" heißt, wird die neue Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu einem zentralen Projekt ihrer Arbeit machen, um die deutsche Klima-, Energie-und Wirtschaftspolitik national, in Europa und international auf den soeben in Glasgow beschlossenen 1,5-Grad-Pfad (211104) auszurichten. Bis spätestens 2045 soll so ein "verlässlicher und kosteneffizienter Weg zur Klimaneutralität" ausgestaltet werden. Das geltende Klimaschutzgesetz soll noch im Jahr 2022 durch eine "Klimaschutz-Sofortprogramm" weiterentwickelt werden. "Am deutschen Atomausstieg halten wir fest", bekräftigen dabei alle drei Koalitionspartner mit Blick auf neuerdings unternommene Versuche, die Stilllegung der letzten deutschen Reaktoren doch noch zu verhindern und die Kernenergie insgesamt neu zu beleben (211006).

Der tatsächliche Strombedarf wird stark nach oben korrigiert

Für das Jahr 2030 rechnet die Koalition mit einem Bruttostrombedarf von 680 bis 750 Terawattstunden, der dann zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden soll. Das ist weit mehr als die 580 Terawattstunden, von denen die Vorgänger-Regierung unrealistischerweise im aktuellen EEG ausging und die sie auch nur zu 65 Prozent mit Grünstrom zu decken gedachte (200901, 210702).

Ausbauziel für Windkraft auf See wird von 20 auf 30 Gigawatt angehoben

Zu Deckung dieses hohen Bedarfs soll die Erzeugung von Strom mittels Wind und Photovoltaik forciert werden. Die Kapazitäten für Windenergie auf See, die aktuell bei 7,8 Gigawatt stagnieren, sollen bis 2030 auf mindestens 30 GW ausgebaut werden. Bisher sind nur 20 GW vorgesehen (200506). Bis 2035 ist ein weiterer Ausbau auf 40 GW geplant und bis 2045 sogar auf 70 GW.

Auf zwei Prozent der Landflächen soll die Errichtung von Windkraftanlagen möglich sein

Für die Windenergie an Land, deren kumulierte Nennleistung bisher knapp 56 GW beträgt und die sich sehr schwer damit tut, den im EEG bis 2030 vorgesehenen Stand von 71 GW zu erreichen (siehe Hintergrund, November 2019), wird kein neues Ausbauziel festgelegt. Stattdessen sollen zwei Prozent der Landflächen für die Errichtung von Windkraftanlagen ausgewiesen werden, um die Standortprobleme zu überwinden. Die nähere Ausgestaltung dieses Flächenziels erfolgt im Baugesetzbuch. Zugleich will die Koalition mit Blick auf Süddeutschland "sicherstellen, dass auch in weniger windhöffigen Regionen der Windenergieausbau deutlich vorankommt".

Solarstrom-Kapazitäten sollen bis 2030 dreieinhalbmal größer sein

Für den Ausbau der Photovoltaik, deren kumulierte Nennleistung bisher etwa 57 GW beträgt (210802), wird eine Kapazität von ca. 200 GW bis 2030 angestrebt. Dabei sollen alle geeigneten Dachflächen für die Solarenergie genutzt werden, und zwar bei gewerblichen Neubauten verpflichtend und bei privaten Neubauten als Regel. Ferner ist die Integration von Solarmodulen in Flächen vorgesehen, die zugleich der Landwirtschaft, dem Verkehr oder anderen Zwecke dienen und deren technisches Potential in einer jüngst veröffentlichten ISE-Studie auf 3160 Gigawatt geschätzt wurde (210802).

Rund 10 Gigawatt Elektrolysekapazität zur Erzeugung von grünem Wasserstoff bis 2030

Alle Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Realisierung von Strom-und Wasserstoffnetzen sollen beschleunigt werden. Die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke müssen laut Koalitionsvertrag so gebaut werden, dass sie auf "klimaneutrale Gase" bzw. Wasserstoff umgestellt werden können. Der Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft und die dafür notwendige Import-und Transportinfrastruktur sollen möglichst schnell vorangetrieben werden. Bis 2030 will die Koalition eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt erreichen und "u.a. durch den Zubau von Offshore-Windenergie sowie europäische und internationale Energiepartnerschaften sicherstellen".

Mindestpreis von 60 Euro für eine EUA-Emissionsberechtigung

Positiv vermerken die Koalitionäre, dass der Preis für EUA-Emissionsberechtigungen derzeit um die 60 Euro pro Tonne beträgt (210903) und nach allen Prognosen eher weiter steigen als unter dieses Niveau fallen werde. Falls die Entwicklung der nächsten Jahre anders verlaufen und die Europäische Union sich nicht auf einen ETS-Mindestpreis verständigt haben sollte, sind entsprechenden nationalen Maßnahmen vorgesehen (z. B. Zertifikatlöschung oder Mindestpreis), damit der CO2-Preis langfristig nicht unter 60 Euro fällt.

Kohleausstieg soll "idealerweise" schon bis 2030 erfolgen

Zur Einhaltung der Klimaschutzziele sei auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig, heißt weiter. Über eine Änderung des gesetzlich festgelegten Ausstiegs bis Ende 2038 (200701) konnte indessen keine Einigung erzielt werden. Die Kompromissformel lautet deshalb: "Idealerweise gelingt das schon bis 2030."

Keine weitere Anhebung der CO2-Bepreisung im BEHG

Verzichtet hat die Koalition außerdem auf eine weitere Anhebung der CO2-Bepreisung im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), die auf Betreiben der Grünen bereits vor einem Jahr nachgebessert wurde, um sie klimapolitisch effizienter zu machen (191202, 201005). "Angesichts des derzeitigen Preisniveaus durch nicht CO2-Preis-getriebene Faktoren halten wir aus sozialen Gründen am bisherigen BEHG-Preispfad fest", lautet die Begründung. Man werde jedoch einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Marktphase nach 2026 machen, wenn der Emissionshandel mit den BEHG-Zertifikaten beginnt.

Kein Zeitrahmen für den Abschied vom Verbrennungsmotor

Ähnlich kompromißbereit zeigen sich die Koalitionäre im Verkehrsbereich, wo sie zwar "die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen" wollen, aber kein Ausstiegsdatum ins Visier nehmen. Stattdessen heißt es nun: "Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030."

Die Finanzierung der EEG-Kosten übernimmt künftig der "Energie- und Klimafonds"

Die Abschaffung der EEG-Umlage als Bestandteil der Stromrechnungen und ihre Finanzierung aus dem Staatshaushalt soll mit Hilfe des "Energie- und Klimafonds" erfolgen, der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme (BEHG und ETS) und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird. Dieser Fonds wurde 2010 von der damaligen Regierung als Sondervermögen des Bundes geschaffen, um die Einnahmen aus der neu eingeführten Brennelementesteuer aufzunehmen, die sie mit den KKW-Betreibern als Gegenleistung für die enorme Verlängerung der Laufzeiten aller deutschen Reaktoren vereinbart hatte (101214). Als die schwarz-gelbe Koalition nach der Katastrophe von Fukushima die Laufzeiten-Verlängerung rückgängig machte, stellten die KKW-Betreiber ihre Zahlungen ein und erhielten die bereits geleisteten Beiträge zurück (111001). Ersatzweise flossen seitdem in den Fonds sämtliche Einnahmen, die seit 2010 aus der Versteigerung von Emissionsberechtigungen erzielt wurden (110606). Damit sollten klimaschützende Maßnahmen wie Energieffizienz, erneuerbare Energien oder energetische Gebäudesanierung gefördert werden. Zum großen Teil wurde das Geld aber auch dafür verwendet, den Strompreis für energieintensive Unternehmen zu subventionieren oder den Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken mit angeblich klimafreundlicher Technik zu unterstützen (110709). Ähnlich fragwürdig war die Verwendung von Mitteln aus dem Klimafonds, um dem US-Elektroautobauer Tesla eine an sich unnötige Milliarden-Subvention für die Errichtung einer Batteriezellen-Fabrik zukommen zu lassen (211111).

 

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