August 2021 |
210802 |
ENERGIE-CHRONIK |
Eine unüberlegte EEG-Gesetzgebung bewirkte vor mehr als einem Jahrzehnt einen Solar-Boom, von dem letztendlich nur chinesische Dumping-Importe profitierten, während die deutschen Moldulhersteller und die damit verbundenen Arbeitsplätze komplett verschwanden. Daraufhin kam es genauso unüberlegt zu einer überaus restriktiven Handhabung der Solar-Förderung, weshalb der Photovoltaik-Zubau in den Keller sank und sich erst ab 2018 wieder etwas erholte (siehe 190903). |
Im Auftrag von Greenpeace veröffentlichte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE am 6. August eine Kurzstudie zu Bedarf und Potenzialen der Photovoltaik und Solarthermie in Deutschland (siehe PDF). Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Deutschlands Strombedarf bis 2030 deutlich zunimmt. Die 580 Terawattstunden, die dem EEG 2021 zugrunde gelegt wurden (210702), würden da keinesfalls reichen. Bis zur Vollendung der Energiewende im Jahr 2045 sei sogar mit mehr als einer Verdoppelung des Strombedarfs zu rechnen. Um dem nachgebesserten Klimaschutzgesetz (210602) gerecht zu werden, müssten deshalb auch die Photovoltaik und die Solarthermie stark ausgebaut werden. Auf Basis verschiedener Transformationsszenarien sei bis 2040 ein Ausbauziel von 300 bis 450 GWp Photovoltaik als plausibel zu betrachten. Gegenwärtig belaufe sich der Gesamtbestand allerdings erst auf knapp 57 GWp. Zur Erreichung dieses Ziels sei deshalb ein mittlerer jährlicher Nettozubau von 12 bis 20 GWp notwendig. Das wäre das drei- bis sechsfache des durchschnittlichen Zubaues in den vergangenen zehn Jahren, der ab 2013 stark zurückging und jährlich nur etwa 3,6 GWp betrug (siehe Grafik).
Der Titel der "Kurzstudie" – die immerhin 68 Seiten umfasst
– wirkt auf den ersten Blick etwas plakativ: "Solaroffensive
für Deutschland - Wie wir mit Sonnenenergie einen Wirtschaftsboom entfesseln
und das Klima schützen". Bei näherer Lektüre wird sie
aber diesem Anspruch gerecht, obwohl die zahlreichen Teilaspekte des Themas
in der Tat nur sehr kurz dargestellt werden können. Insgesamt vermittelt
sie einen guten Überblick über das Potenzial, das die Solarenergie
nicht allein theoretisch birgt, sondern auch praktisch erschließbar wäre.
Sie entkräftet damit den verbreiteten Eindruck, dass die Energiewende scheitern
könnte, weil sich zumindest in Deutschland gar nicht so viel Wind- oder
Solarstrom erzeugen lasse, wie langfristig zur Deckung des gesamten Strombedarfs
aus erneuerbaren Quellen erforderlich wäre.
Neben der Bauwerkintegrierten Photovoltaik (BIPV) untersucht die Studie auch die mögliche Integration von Solarmodulen in verschiedene andere Flächen, die zugleich landwirtschaftlich genutzt werden oder dem Verkehr dienen. Das Ergebnis wird in dieser Grafik dargestellt. |
Zum Beispiel sind auf Dachflächen bisher Solarmodule mit einer Nennleistung von insgesamt rund 40 Gigawatt installiert. Das entspricht ungefähr sieben Prozent des technischen Potenzials. Die Studie belässt es nicht dabei, die noch ungenutzten Dachflächen auszurechnen, auf denen zusätzlich eine Kapazität von 531 GWp installiert werden könnte, was rein rechnerisch die derzeit in Deutschland installierte Kraftwerksleistung von 220 Gigawatt um mehr als das Doppelte übertreffen würde. Sie prüft zusätzlich die Möglichkeiten einer Bauwerkintegrierten Photovoltaik (BIPV), bei der angepasste PV-Module als Teil der Gebäudehülle eingesetzt werden (180107). Die Module erfüllen dann eine Doppelfunktion als verbrauchsnaher Stromerzeuger und als Dach- oder Fassadenelement. In ähnlicher Weise ließen sich Solarmodule in andere Flächen integrieren, die landwirtschaftlich genutzt werden, Wasserflächen sind (210812) oder dem Verkehr dienen. Die Schätzung des technischen Potentials erhöht sich so insgesamt auf 3160 GWp. Das ist rund 14mal soviel wie die derzeitige Erzeugungsleistung aller deutschen Kraftwerke.
Natürlich darf man nicht einfach Äpfel mit Birnen vergleichen, da Solarstrom nur tagsüber anfällt und die Nennleistung der Anlagen auch dann nur unter günstigen Bedingungen erreicht wird. Zum Beispiel war die Photovoltaik im Jahr 2019 zwar mit 21,6 Prozent an der installierten Kraftwerksleistung von 49,1 GW beteiligt, aber nur mit 7,65 Prozent an der erzeugten Strommenge von 609,4 Terawattstunden. Bei der ebenfalls unregelmäßig anfallenden Windkraft war dieses Verhältnis mit einem Anteil von 26,8 Prozent an der installierten Kapazität und 20,82 Prozent an der Stromproduktion deutlich günstiger. Dennoch wird klar, dass allein die Photovoltaik den gesamten deutschen Stromverbrauch mehrfach abdecken könnte, wenn ihr technisches Potenzial voll genutzt würde.
Die Studie unterstreicht, dass Photovoltaik schon heute zu den günstigsten Stromquellen zählt. Ohne Batteriespeicher liegen die Stromgestehungskosten heute im Bereich von 3 bis 11 Cent pro Kilowattstunde. Bei Freiflächen-Anlagen sind es sogar inklusive des Speichers etwa 5 bis 10 Cent. Auch bei neuen Dachanlagen sind die Stromkosten vergleichbar mit denen anderer Energieträger: Bei größeren sind es 6,5 bis 14,4 Cent und bei kleineren 8,5 bis 19,5 Cent. In Zukunft würden die Kosten für PV-Strom ohne Speicher noch weiter sinken und nur noch 2 bis 7 Cent betragen, während die Kosten für Strom aus fossilen Energieträgern steigen. Im Vergleich dazu lägen die Kosten für die Kilowattstunde Windstrom heute bei 4 bis 8 Cent und würden bis 2040 nur leicht sinken.
Die Modulpreise sind in den letzten Jahren weiter gefallen. Während der durchschnittliche Modulpreis 2018 in Deutschland mit rund 430 Euro pro Kilowatt Nennleistung angegeben wurde, lag er im Jahr 2020 bei 310 Euro. Dabei besteht noch immer ein kleiner Preisunterschied zwischen chinesischen und deutschen Modulherstellern, der gegenwärtig rund 50 Euro beträgt, aber tendenziell sinkt, zumal für die chinesischen Module mit steigenden Transportkosten zu rechnen ist.
Laut der Studie würde eine vertikal integrierte Photovoltaik-Produktion in Europa nicht nur Import-Unabhängigkeit für den systemkritischen Energiesektor bedeuten, sondern auch pro Gigawatt PV-Erzeugungsleistung rund 9000 bis 15000 Arbeitsplätze schaffen. Weitere 3.500 Arbeitsplätze pro Gigawatt entstünden durch die Installation von PV-Kraftwerken. Aufgrund des sehr hohen Automationsgrades in allen Stufen der PV-Produktion sind darin viele hochqualifizierte Stellenprofile enthalten. Hinzu kämen weitere Arbeitsplätze bei Materialzulieferern, im Maschinenbau und in den Installationsbetrieben, die PV-Kraftwerke errichten.
In der Vergangenheit konnte der mittlere Wirkungsgrad marktgängiger Module
durch beständige Innovationen um ca. 0,3 Prozent absolut pro Jahr gesteigert
werden. In den letzten Jahren kam es sogar zu einer Beschleunigung dieser Steigerungsrate.
Experten gehen davon aus, dass diese Dynamik längerfristig aufrechterhalten
werden kann, was zu Wirkungsgradprognosen von mindestens 23 Prozent für
das Jahr 2030 und mindestens 30 Prozent für das Jahr 2050 führt. In
der betrieblichen Praxis werden diese Nennwirkungsgrade allerdings nicht erreicht,
weil erhöhte Temperaturen, Verschmutzung, elektrische Verluste, Ausfälle,
und weitere Effekte die Erträge um ein Zehntel bis ein Fünftel schmälern.
Mit bifazialen Modulen (210807), verbessertem Temperaturverhalten
neuerer Zelltechnologien und sorgfältiger Anlagenwartung lassen sich diese
Betriebsverluste aber deutlich reduzieren. Module in ertragsoptimierter Ausrichtung,
ohne Verschattung und bei guter Hinterlüftung liefern in Deutschland durchschnittlich
knapp 1000 Wattstunden pro Watt Nennleistung, während bei Integration in
Gebäudefassaden oder Fahrzeughüllen der spezifische Ertrag deutlich
geringer ausfällt.
Die starke Degression der Fördersätze bewirkte von 2012 bis 2014 zunächst einen steilen Rückgang der Vergütungen. Der Zubau wurde dadurch aber so gering, dass er weit unter den vorgesehenen "Zielkorridor" rutschte, was die vorgesehenen Degressionen größtenteils außer Kraft setzte. Aus diesem Grund stagnierte zwischen 2015 und 2018 die Förderhöhe. Das änderte sich erst, als das weitere Sinken der Anlagenkosten den Zubau wieder attraktiver machte. Ab August 2018 griffen deshalb wieder die normale monatliche Degression um 0,5 Prozent sowie die neu eingeführten erhöhten Abschläge bei Überschreitung eines "annualisierten Zubaues" . Die Festvergütungen sanken dadurch noch schneller als die Stromgestehungskosten, weshalb sich am Ende nur noch der Eigenverbrauch lohnte. |
Es liegt jedenfalls nicht an den reichlich vorhandenen erneuerbaren Energiequellen oder der zu ihrer Erschließung notwendigen Technik, falls die Energiewende weiterhin lahmen sollte. Die Studie beleuchtet deshalb im Abschnitt "Regulatorische Hemmnisse und Lösungsoptionen" auch politische Hindernisse, die es zu überwinden gilt, damit die Photovoltaik endlich so in Fahrt kommt, wie es angesichts des immer deutlicheren Klimawandels notwendig wäre. Zum Beispiel müsste im aktuellen EEG 2021 dringend der § 49 geändert werden. In seiner alten Fassung enthielt dieser Paragraph den 2012 eingeführten "Solardeckel", demzufolge die Festvergütungen bzw. Marktprämien für Solar-Anlagen bei Erreichen eines Gesamtzubaues von 52.000 Gigawatt komplett entfallen sollten (190903). Trotz aller Proteste beseitigte der Gesetzgeber diese PV-Guillotine erst kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem das Fallbeil niedergesaust wäre (200607). Fast unverändert blieb jedoch der im selben Paragraphen enthaltene "atmende Solardeckel", der die Förderung vom "annualisierten Zubau" der Vormonate abhängig macht. In der Praxis bewirkt er damit, das die Festvergütungen schneller sinken als die Stromgestehungskosten. Dadurch wird die Netzeinspeisung unrentabel und lohnt sich nur noch der Eigenverbrauch. Solche netzgekoppelten Anlagen werden deshalb aus Gründen der Kostenoptimierung von den Betreibern meistens kleiner dimensioniert als es die zur Verfügung stehende Dachfläche zuließe. Ein zügiger PV-Ausbau wird so eher behindert anstatt gefördert. Wie die Studie feststellt, müssten "die Einspeisetarife für kleine Aufdachanlagen nicht weiter abgesenkt werden, sondern im Gegenteil stabilisiert und eventuell wieder erhöht werden, damit diese den realen Stromgestehungskosten entsprechen".
Und so gibt es noch mehr als ein Dutzend anderer Kritikpunkte. Ein besonderer Stein des Anstoßes sind die vorgesehenen Ausschreibungsmengen, die in den kommenden zehn Jahren weit hinter den notwendigen Ausbaukapazitäten zurückbleiben, die zur Erreichung der gesetzlich fixierten Klimaziele notwendig wären. Zugleich wird der marktgetriebene PV-Zubau durch die EEG-Umlage behindert, die zu 40 Prozent weiterhin auch Eigenverbrauchern abverlangt wird, wenn ihre Anlage mehr als 30 Kilowatt Nennleistung hat. Nach Feststellung der Studie verhindert dies "die breite Nutzung von PV-Anlagen zur Eigenversorgung bei mittelgroßen Unternehmen und Landwirtschaftsbetrieben und führt oft dazu, dass vorhandene geeignete Dach- oder Parkplatzflächen nicht oder nicht vollständig genutzt werden".
Das im Jahr 2017 eingeführte Mieterstrommodell bleibe nach wie vor weit hinter seinem Potenzial und den möglichen jährlichen Förderquoten zurück. Auch die im EEG 2021 beschlossenen Verbesserungen würden daran kaum etwas ändern, weil der hohe administrative Aufwand weiterhin die Wirtschaftlichkeit beeinträchtige. Kontraproduktiv sei ferner, dass sich im Marktsegment der PV-Dachanlagen zwischen 300 und 750 Kilowatt die Betreiber neuerdings entscheiden müssen, ob sie entweder 50 Prozent ihrer Stromerzeugung auf Basis des feststehenden anzulegenden Wertes aus dem Marktprämienmodell vergüten lassen oder an einer Ausschreibung teilnehmen, um die gesamte Stromerzeugung auf Basis des Zuschlags vergütet zu bekommen. Wegen der dadurch ausgelösten finanziellen Unsicherheiten sei ein spürbarer Rückgang bei Investitionen zu erwarten. Die Pflicht zur Ausschreibung ab 750 Kilowatt bewirke ebenfalls eine Minderung des Zubaues, weil die Anlagenbetreiber dann die volle Erzeugung einspeisen müssen und keinen Strom selbst verbrauchen dürfen. Als Folge würden nämlich Flächen auf großen Gebäuden vielfach nicht vollständig genutzt, um entweder die Ausschreibungspflicht zu verhindern oder bei einer Realisierung außerhalb des EEG den Eigenverbrauchsanteil zu maximieren.
Außerdem widmet sich die Studie relativ ausführlich der Solarthermie, bei der die Sonnenenergie zur Erhitzung von Wasser oder eines anderen Mediums verwendet wird. Bei genügend hohen Temperaturen lässt sich so auch ein Dampfkraftwerk betreiben (siehe ENERGIE-WISSEN). In Deutschland lohnt sich das allerdings nicht. Die Studie beleuchtet deshalb nur Niedertemperatur-Anwendungen wie die Bereitstellung von Brauchwarmwasser, Heizwärme oder industrielle Prozesswärme, die im Segment unter 100°C in Deutschland einen Anteil von 21 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Auf Basis der derzeit vorhandenen Kollektorflächen wird die daraus resultierende thermische Leistung in Deutschland zum Jahresende 2020 auf rund 15 Gigawatt geschätzt. Die Solarenergie leistet somit auch in diesem Bereich bereits einen signifikanten Beitrag. Die Solarthermie-Branche schätzt das kurzfristig erschließbare Potenzial bis zum Jahr 2030 auf 15 bis 20 Prozent der Wärmebereitstellung.
Der Systemwirkungsgrad von solarthermischen Kollektoren liegt je nach Anwendungsfeld bei etwa 50 bis 75 Prozent (bei einem Nennwirkungsgrad des Kollektors von ca. 85 Prozent). Solarthermie ist damit die flächeneffizienteste Form zur Nutzung von Solarenergie. Noch höhere Flächennutzungsgrade (bis zu 90 Prozent) erzielen Sonnenkollektoren, die Solarthermie und Photovoltaik kombinieren: Einerseits nutzen sie den photovoltaischen Effekt, um Strom zu produzieren (Wirkungsgrad ca. 19 Prozent), und andererseits stellen sie den ungenutzten Teil der Solarenergie als Wärme bereit (Wirkungsgrad ca. 50 - 75 Prozent).