Oktober 2011

111001

ENERGIE-CHRONIK


KKW-Betreiber bekommen die gezahlten Brennelemente-Steuern zurück

Die Kernkraftwerksbetreiber erhielten im Oktober rund 170 Millionen Euro zurück, die sie aufgrund des neuen Kernbrennstoffsteuergesetzes seit Jahresbeginn gezahlt hatten. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen waren es für E.ON 96 Millionen und für RWE 75 Millionen Euro. Bei E.ON handelte es sich um die Steuer für die neuen Brennelemente im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld und bei RWE um die Steuer für Gundremmingen B (110607). Auch die Energie Baden-Württemberg (EnBW), die als letzter der drei verbliebenen KKW-Betreiber geklagt hatte, darf nun mit der Erstattung der für den Brennelementewechsel in Philippsburg 2 gezahlten Steuer rechnen (110704). Die Rückzahlungen erfolgten aufgrund von Entscheidungen der Finanzgerichte Hamburg und München. Beide Gerichte gaben mit Beschlüssen vom 16. September bzw. 5. Oktober den Eilanträgen der KKW-Betreiber statt, den Vollzug der Steuer aufzuheben. Sie begründeten dies mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Steuer, die Im Dezember 2010 zusammen mit der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke in Kraft getreten war (101214).

Faktisch war die Brennelementesteuer als Gegenleistung der vier Konzerne für die Verlängerung der Laufzeiten gedacht. Ihre Erträge sollten in den gleichzeitig beschlossenen "Energie- und Klimafonds" fließen. Formal war sie allerdings eine neue Verbrauchssteuer. Letztendlich belastete sie weniger die Konzerne als die Endverbraucher (100602), obwohl sämtliche Bundestagsfraktionen diesen Sachverhalt aus verschiedenerlei Motiven bestritten oder zumindest ignorierten und auch die Oppositionsparteien die Einführung der Steuer unterstützten (100704). Eine wichtige Rolle spielte dabei, daß die Steuer von großen Teilen der Energiewirtschaft als Klotz am Bein der omnipotenten Konzerne gesehen und begrüßt wurde. Angesichts dieser breiten Unterstützung wollte die Bundesregierung diese zusätzliche Einnahmequelle beibehalten, obwohl durch den abrupten Kurswechsel ihrer Atompolitik (110303) sozusagen die Geschäftsgrundlage entfiel und nur noch mit wesentlich geringeren Einnahmen zu rechnen war (110403). Sie begnügte sich damit, die Finanzierung des "Energie- und Klimafonds" vom Aufkommen der Brennelementesteuer abzukoppeln und auf eine neue Basis zu stellen (110606). Die KKW-Betreiber fühlten sich ihrerseits nicht mehr an frühere Absprachen gebunden und zogen nun alle juristischen Register, um die weiterhin erhobene Brennelementesteuer zu Fall zu bringen.

Gericht bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit der Steuer

In der bundesweit ersten Gerichtsentscheidung gab der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg am 16. September dem Eilantrag von E.ON statt und äußerte ernstliche Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gericht bezweifelt zum einen, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer nach dem Grundgesetz überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz zusteht und ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspricht. Bei Verbrauchsteuern handele es sich nämlich typischerweise um Warensteuern, die den baldigen Verzehr oder den kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belasten. Als Besteuerung des Verbrauchs würden sie an das Verbringen des Gutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr anknüpfen. Sie würden in der Regel bei demjenigen Unternehmer erhoben, der das Gut am Markt anbietet, seien aber auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt. Kernbrennstoffe seien dagegen kein Konsumgut, sondern würden ausschließlich zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet, ohne dabei in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr zu gelangen. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auch auf die offizielle Lesart, derzufolge den vier Konzernen eine Überwälzung der durch die Kernbrennstoffsteuer entstehenden zusätzlichen Kosten nicht möglich sein werde, die auch in die Gesetzesbegründung eingeflossen ist.

Darüber hinaus wirft das Gericht die Frage auf, ob der Gesetzgeber neben den im Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten noch neuartige Steuern einführen darf, und äußert erhebliche Vorbehalte gegen ein solches "Steuerfindungsrecht". Es sieht die Gefahr, daß damit die von der Finanzverfassung sorgsam ausbalancierte Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern umgangen werden könnte.

Da das Finanzgericht bereits ernstliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes hat, sah es keinen Anlaß, sich bereits in diesem Verfahren zu den weiteren streitigen Fragen zu äußern, etwa ob die Kernbrennstoffsteuer auch gegen die Grundrechte auf Gleichbehandlung und auf Eigentum oder gegen Europarecht verstößt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zugelassen.

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