April 2021

210411

ENERGIE-CHRONIK


Industrie will neue Diskussion um CO2-Abspeicherung entfachen

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) will die vor zehn Jahren beendete Diskussion um die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus fossilen Brennstoffen neu entfachen. Dieses Mal geht es ihm aber nicht darum, den Neubau und Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken durchzusetzen. Vielmehr sieht er in der Abspeicherung von Kohlendioxid ein probates Mittel, um Wasserstoff in großen Mengen in der herkömmlichen Weise durch Dampfreformierung aus Erdgas zu gewinnen, ohne dass das CO2 unmittelbar in die Atmosphäre entweicht und damit den Klimawandel verschärft.

Statt CCS soll nun CCUS eine Nutzung des abgespeicherten Kohlendioxids ermöglichen

In einem Diskussionspapier, das er am 15. April veröffentlichte, belässt es der BDI freilich nicht bei einem bloßen Plädoyer für das als "Carbon Capture and Storage" (CCS) bekannte Verfahren. Stattdessen entwirft er ein farbenprächtiges Bild von bisher ungenutzten Möglichkeiten zur Nutzung des abgeschiedenen Kohlendioxids durch Erdgasreformierung mit "Carbon Capture, Utilisation and Storage" bzw. CCUS (blauer Wasserstoff), seine Unschädlichmachung durch Umwandlung in festen Kohlenstoff mittels Methanpyrolyse (türkiser Wasserstoff) oder andere Verfahren für eine zumindest "treibhausgasarme" Erzeugung von Wasserstoff.

"Für eine flächendeckende Anwendung von Wasserstofftechnologien in der Industrie werden die Mengen an grünem Wasserstoff, die sich inländisch produzieren lassen, bei Weitem nicht ausreichen", stellt das Papier realistischerweise fest. Deshalb bedürfe es einer neuen Stufe der Energiewende – sie wird vom BDI schickerweise als "Energiewende 2.0" bezeichnet – die dem Mangel an klimaunschädlichem Grünstrom durch "treibhausgasarm erzeugte stoffliche Energieträger" wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe aus Erdgas abhilft (siehe Links).

Böll-Stiftung: "Das Potenzial für CO2 als Rohstoff ist verschwindend gering"

Die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen hat die vom BDI angepriesenen Möglichkeiten zur Nutzung des abgespeicherten Kohlendioxids mittels CCUS anhand etlicher Fallbeispiele bereits untersucht und gelangte zu einem ernüchternden Befund: "In der Bilanz ist festzuhalten, dass das Potenzial von CO2 als Rohstoff für industrielle Prozesse im Verhältnis zu den globalen CO2 -Emissionen verschwindend gering ist. Dasselbe gilt für die Speicherungsmöglichkeiten von CO2, weil CCU(S)-Produkte den Großteil des Kohlenstoffs nach kurzer Zeit wieder freisetzen." Außerdem sollten der hohe Energiebedarf von CCU(S)-Methoden und die damit verbundene Kohlenstoffbilanz genauestens überprüft werden (siehe Links).

Als vor neun Jahren das CSS-Gesetz in Kraft trat, war es für die Großstromerzeuger bereits uninteressant geworden

Vor allem RWE, Vattenfall und E.ON hatte sich seinerzeit für die Zulassung der Abscheidung und unterirdischen Speicherung von CO2 eingesetzt, um trotz der sich verschärfenden Treibhausgas-Problematik weiter neue Kohlekraftwerke errichten zu können. Wegen des heftigen Widerstands gegen die damit verbundenen Risiken kam jedoch ein entsprechendes Gesetz der schwarz-gelben Koalition in der 16. Legislaturperiode nicht mehr zustande (090602). Ein von der folgenden schwarz-gelben Regierung betriebener Gesetzentwurf sah anstelle einer Dauerregelung nur eine Erprobung dieser Technik vor (100703) und wurde auf Verlangen der CDU-regierten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein weiter abgeschwächt (100903). Nachdem das Gesetz schließlich den Bundestag passiert hatte (110703), scheiterte es überraschend im Bundesrat (110901). Als es nach weiteren Änderungen schließlich in Kraft treten konnte (120604), war es für die Großstromerzeuger uninteressant geworden, zumal inzwischen immer deutlicher wurde, daß sie mit ihrer Fehlorientierung auf den weiteren Bau von Kohlekraftwerken und die Verzögerung des Atomausstiegs sich nur selber geschadet hatten (siehe Hintergrund Oktober 2013).

Nachträglich stellte sich heraus, dass die Kohlekraftwerksbetreiber auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zur Erreichung ihrer Ziele gesponsert hatten. Im September 2016 wies die BGR den Vorwurf zurück, sie habe sich über die sogenannte Drittmittel-Forschung einspannen lassen (160904). Sie musste indessen einräumen, daß ihr sogenanntes Stability-Projekt zur Speicherung von CO2 im Untergrund von der RWE Power AG mitfinanziert wurde, die beispielsweise in Hürth ein neues Braunkohlekraftwerk mit CO2-Abscheidung plante (091110) oder das Kraftwerk Hamm nachträglich mit einer CO2-Wäsche nach dem "Carbon capture and storage"-Verfahren (CCS) ausrüsten wollte (080904).

 

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