Mai 2020 |
200515 |
ENERGIE-CHRONIK |
Unter stundenlang andauernden Protesten hat die Uniper SE am 30. Mai das neue Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 offiziell in Betrieb genommen. Nach Angaben der Polizei versammelten sich mehrere hundert Umweltschützer an zehn verschiedenen Stellen rund um das Kohlekraftwerk, um unter Einhaltung der Corona-Schutzvorschriften gegen die Inbetriebnahme zu demonstrieren. Insgesamt seien die Protestaktionen "friedlich und weitestgehend störungsfrei" verlaufen.
Wie der neue Uniper-Vorstandsvorsitzende Andreas Schierenbeck auf der Hauptversammlung des Unternehmens am 20. Mai ankündigte, soll das Kraftwerk bis 2038 am Netz bleiben. Das ist die höchstzulässige Dauer, die das geplante Kohleausstiegsgesetz zulässt, das mit einer Sonderregelung in § 48 die Inbetriebnahme von Datteln 4 als letztes deutsches Kohlekraftwerk legitimieren wird (200102). Dagegen hatte die Kohlekommission in ihren Empfehlungen vom Januar 2019 eine Verhandlungslösung empfohlen, um den Kraftswerksneubau nicht in Betrieb gehen zu lassen (190101).
Der Steinkohle-Block Datteln 4 hat eine Leistung von 1100 MW und einen besseren Wirkungsgrad als die alten Blöcke, die er ersetzen soll. Umweltschützer bezweifeln jedoch, dass er deshalb weniger CO2 pro Megawatt in die Atmosphäre entläßt, weil die höhere Rentabilität auch zu einer höheren Auslastung führen werde.
Das Projekt wurde 2007 von E.ON in Angriff genommen und sollte 2011 in Betrieb gehen. Es wurde dann aber wegen mehrerer Verstöße gegen geltende Bestimmungen erfolgreich vor Gericht angefochten, weshalb E.ON nur noch in Teilbereichen weiterbauen durfte. Der Neubau konnte deshalb auch nicht, wie ursprünglich geplant, die drei alten Steinkohle-Blöcke in Datteln (303 MW) sowie das Steinkohle-Kraftwerk "Shamrock" in Herne (132 MW) ersetzen, die bis spätestens 2013 stillgelegt werden mussten, da sie den verschärften Anforderungen der Großfeuerungsanlagenverordnung nicht mehr genügten (120314). Zudem hob das Oberverwaltungsgericht Münster im Juni 2012 den immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid auf, mit dem die Bezirksregierung den Beginn der Bauarbeiten ermöglicht hatte (120609). Trotz der fehlenden rechtlichen Grundlagen durfte E.ON die drei alten Blöcke in Datteln dann aber vorläufig doch weiter betreiben. Die nordrhein-westfälische Landesregierung begründete diese "Duldung" mit dem öffentlichen Interesse an der Versorgung mit Fernwärme und Bahnstrom, die andernfalls gefährdet worden wäre (121107).
Mit der Überführung der E.ON Kraftwerke AG in die Uniper SE (160111) gelangte das noch immer unvollendete Projekt an die neu gegründete Konzerntochter, die E.ON im September 2016 an die Börse brachte. Zur selben Zeit kündigte RWE die vor zehn Jahren geschlossenen Strombezugsverträge, weil diese auf Konditionen beruht hätten, die wegen der Bauverzögerung inzwischen veraltet und nicht mehr marktgerecht seien (161003). Das Landgericht Essen ließ dieses Argument aber nicht gelten. RWE wird somit weiterhin 40 Prozent des künftig erzeugten Stroms abnehmen müssen. Einen Anteil in gleicher Höhe nimmt die Deutsche Bahn ab (180311).
Da die Uniper SE seit Oktober 2019 auch formal dem finnischen Fortum-Konzern gehört (191005, 200308), wird es letztendlich von diesem abhängen, wie lange das neue Kraftwerk produziert – oder wer letztendlich darüber zu entscheiden hat. Vor allem läge ein Verkauf an den RWE-Konzern nahe, der durch das Tauschgeschäft mit E.ON (200503) zum marktbeherrschenden Großstromerzeuger geworden ist und ohnehin zwei Fünftel des Stroms aus Datteln 4 abnehmen muss.