November 2017

171105

ENERGIE-CHRONIK


 

Mit einem Überschuß von 1,8 Milliarden Zertifikaten ist das vor 13 Jahren gestartete Europäische Emissionshandelssystem (030701, 041211) bisher praktisch wirkunglos geblieben, weil die Emissionsberechtigungen spottbillig zu haben sind. Damit der Zertifikate-Handel tatsächlich nennenswerten Einfluß auf die CO2-Emissionen haben kann, muß erst eine bestimmte Knappheitsgrenze unterschritten werden. In der obenstehenden Grafik des Bundesumweltministeriums wird diese Grenze bei ungefähr 800 Millionen überschüssigen Zertifikaten gesehen (rote Linie). Durch die jetzt getroffenen Vereinbarungen wären demnach klimawirksame Preissignale fünf Jahre früher als bisher zu erwarten, nämlich ab 2022 anstatt erst ab 2027.

EU will Emissionsrechte um jährlich 2,2 Prozent verringern

Vertreter des Europa-Parlaments und der EU-Regierungen einigten sich am 9. November auf eine Verbesserung des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS), das wegen einer Überfülle an Zertifikaten bisher praktisch wirkungslos ist (siehe Hintergrund). Demnach wird die Menge der jährlich zur Verfügung stehenden Emissionsrechte (EUA) ab 2021 um 2,2 Prozent verringert, wie dies im Juli 2015 die EU-Kommission vorgegeschlagen hat (150706). Bisher betrug die Verringerung nur 1,74 Prozent. Ferner werden Maßnahmen zum schnelleren Abbau des vorhandenen Überschusses an EUA-Zertifikaten ergriffen. Die von den Unterhändlern getroffene Vereinbarung muß noch vom Parlament und vom Ministerrat offiziell gebilligt werden.

"Markstabilitätsreserve" wird verdoppelt und ab 2023 im Volumen beschränkt

Um die vorhandenen Überschüsse aus dem Markt zu nehmen, hat die EU bereits vor zwei Jahren die Einführung einer Marktstabilitätsreserve (MSR) beschlossen, die ab 2019 die Überschüsse im Emissionshandel schrittweise abbaut und in eine Reserve überführt. Diese Reserve wird nun verdoppelt, wodurch vier Jahre lang bis zu 24 Prozent der überschüssigen Zertifikate aus dem Verkehr gezogen werden können. Zusätzlich wird sie ab 2023 auf ein Volumen begrenzt, das jeweils der Versteigerungsmenge des Vorjahres entspricht. Die darüber hinaus gehende Menge an Zertifikatüberschüssen aus den vorangegangenen Handelsperioden wird gelöscht und so dem Markt dauerhaft entzogen. Der verbleibende Rest soll dem Ausgleich von extremen Nachfrageschwankungen dienen.

Staaten dürfen Kohleausstieg mit nationaler Zertifikate-Menge verrechnen

Eine weitere Neuerung besteht darin, daß Mitgliedstaaten Zertifikate aus ihrem Auktionsanteil löschen dürfen, wenn durch zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen wie die Stillegung von Kohlekraftwerken die Nachfrage für Zertifikate sinkt. Damit soll vermieden werden, daß die nicht mehr benötigten Zertifikatsmengen den EUA-Preis senken, was Marktakteure in anderen Ländern zu vermehrten Käufen veranlaßt und so die CO2-Emissionen erhöht.

 


In der zweiten Handelsperiode (2008 bis 2012) erreichte der Preis für ein EUA-Zertifikat im März 2011 den Maximalwwert von 17,28 Euro, um dann bis auf weniger als die Hälfte abzusinken. In der anschließenden dritten Handelsperiode (2013 bis 2020), die bis heute andauert, waren gut acht Euro bisher der Höchstpreis. Meistens kostete ein Zertifikat deutlich weniger, im Extremfall sogar nur 1,9 Euro.

 

"Markt wird bis zur Mitte der nächsten Dekade überschwemmt bleiben"

Nach Einschätzung des World Wide Fund For Nature (WWF) haben Parlament, Rat und Kommission die Chance vertan, "das Flaggschiff der EU-Klimapolitik wieder auf Kurs zu bringen". Von der jetzt vereinbarten Reform sei allenfalls ab Mitte der zwanziger Jahre ein Preissignal zugunsten des Klimaschutzes zu erwarten. Der Beitrag der EU bleibe damit viel zu niedrig, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens (161008) erfüllen zu können. "Der Markt wird bis zur Mitte der nächsten Dekade überschwemmt bleiben, und die Industrie muß nicht mal für ihre Zertifikate zahlen; damit setzt er keinen Anreiz zur Emissionsminderung", hieß es in einer Stellungnahme der deutschen Sektion der Naturschutzorganisation. Zu begrüßen sei allerdings die Löschung von überschüssigen Zertifikaten in der Marktstabilitätsreserve sowie die Neuregelung, die es EU-Mitgliedsstaaten erlaubt, nationale Fortschritte bei der CO2-Minderung in eine entsprechende Kürzung der verfügbaren Zertifikatsmenge umzusetzen. Letzteres erleichtere bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen in Berlin die Überwindung der Widerstände gegen einen Kohleausstieg.

Umweltministerium erwartet Anstieg der EUA-Preise, aber nur begrenzte Anreize

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk (10.11.) räumte Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Umweltministerium ein, daß die jetzt getroffene Vereinbarung nicht gerade ein "großer Wurf" sei. Dennoch betrachte er sie als Erfolg, da sie mit Sicherheit zu steigenden Preisen für die EUA-Zertifikate führen werde. Dadurch entstünden Anreize, um beispielsweise in Energieeffizienz-Maßnahmen zu investieren. Allerdings würden diese Anreize wohl nicht ausreichen, um Kraftwerksbetreiber zum Umstieg von Kohle auf Gas zu veranlassen. Insofern sei die Kritik des WWF berechtigt. Es bedürfe zusätzlicher nationaler Klimapolitik, um beispielsweise einen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu erreichen.

 

Links (intern)