April 2014

140406

ENERGIE-CHRONIK


 

Die IfW-Studie glaubt, beim Vergleich der Jahre 2008 bis 2010 mit dem vorangegangenen Dreijahreszeitraum eine meßbare Wirkung des Emissionshandels feststellen zu können. Zweifel sind jedoch angebracht. Wie diese Grafik zeigt, sanken im zweiten Zeitraum die Treibhausgas-Emissionen tatsächlich im Jahresdurchschnitt um 45 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Der Grund dafür war freilich nicht der Emissionshandel, sondern die wirtschaftliche Rezession. Und daß bei der zertifikatpflichtigen Industrie der Rückgang der Emissionen besonders ausgeprägt war, lag an ihrer besonderen Betroffenheit durch diese Rezession.

Ist der Emissionshandel doch nicht ganz wirkungslos?

Der Handel mit Emissionszertifikaten ist angeblich effizienter, als es bisher den Anschein hatte. Wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) am 24. April mitteilte, wollen das die beiden Autoren einer Studie herausgefunden haben, die den Zeitraum von 2005 bis 2010 untersuchte. Bei der Auswertung umfangreicher Daten hätten sie zwar in den ersten drei Jahren des Zertifikatesystems bis 2007 "kaum eine Wirkung" feststellen können. In den folgenden drei Jahren sei das aber anders gewesen: Jene Unternehmen, die am Zertifikatehandel teilnahmen, hätten ihre CO2-Emissionen um durchschnittlich 25 Prozentpunkte mehr gesenkt als "vergleichbare" Unternehmen, die vom Zertifikatehandel befreit waren. Ferner habe sich bei ihnen – bezogen auf den Umsatz – eine um 18 Prozentpunkte geringere CO2-Intensität feststellen lassen.

Die Autoren haben ihren Angaben zufolge umfangreiches Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes ausgewertet, das sonst nicht ohne weiteres zugänglich ist. "Wir haben uns auf Deutschland beschränkt, weil es der größte Emittent von CO2 in Europa ist und weil hier besonders detaillierte Daten vorliegen", sagte der Koautor Ulrich J. Wagner. Wegen der starken Exportorientierung des Produzierenden Gewerbes seien die Ergebnisse indessen auch von allgemeiner Relevanz für die Beurteilung von Wettbewerbseffekten des EU-Zertifikatesystems.

Rezessionsbedingter Rückgang der Emissionen darf nicht mit aktivem Klimaschutz verwechselt werden

Das Ergebnis ist allerdings insofern keine Überraschung, als es im Grunde nur den bekannten statistischen Befund widerspiegelt, daß die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland von 2005 bis 2007 jährlich im Schnitt 992 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent betrugen, während es von 2008 bis 2010 im Schnitt nur 947 Millionen Tonnen waren (siehe Grafik 1). Es fand also in den drei ersten Jahren der zweiten Handelsperiode – die beiden restlichen werden von der Untersuchung nicht erfaßt – ein Rückgang um 45 Millionen Tonnen statt.

Allerdings war dieser Rückgang nicht etwa auf den Handel mit Emissionszertifikaten zurückzuführen, sondern auf die wirtschaftliche Rezession. Und in ganz besonderem Maße war von dieser Rezession die zertifikatepflichtige Industrie betroffen, während in anderen Wirtschaftsbereichen die CO2-Emissionen nicht oder nur in geringem Umfang zurückgingen (100309). Es wäre deshalb mehr als voreilig, den rezessionsbedingten Rückgang der Treibhausgasemissionen, der bei der Stromproduktion und anderen zertifikatepflichtigen Branchen besonders ausgeprägt war, als aktives Handeln zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu interpretieren, das unter dem Druck des Emissionshandelssystems zustande gekommen sei.

Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Umsatz und CO2-Emissionen – also der CO2-Intensität – wird der Sache im Prinzip ein bißchen gerechter, weil eine solche Betrachtungsweise indirekt auch die Wirtschaftslage berücksichtigt. In der Praxis dürfte es aber sehr schwer fallen, etwa aus den Umsatzzahlen eines Energiekonzerns, der in vielen Geschäftsbereichen tätig ist, exakt jene Daten herauszufiltern, die den Kraftwerksbereich betreffen. Die um 18 Prozentpunkte geringere CO2-Intensität, die von den Autoren ermittelt wurde, ist schon deshalb ebenfalls mit Fragezeichen zu versehen.

Inzwischen sind die CO2-Zertifikate noch um zwei Drittel billiger geworden

In jedem Falle wäre es unzulässig, den im Zeitraum von 2008 bis 2010 gewonnenen Befund auf den Emissionshandel schlechthin übertragen zu wollen. Der Preis für die Emission einer Tonne Kohlendioxid (EUA) lag damals nämlich ungefähr bei 15 Euro (120203). Das war noch immer deutlich unter der Schwelle von 20 Euro, die nach Ansicht von Fachleuten erreicht sein müßte, damit der Emissionshandel spürbaren Druck zur Verringerung der CO2-Emissionen ausübt. Im Vergleich mit der ab 2011 einsetzenden Entwicklung, die den EUA-Preis auf etwa sechs Euro abstürzen ließ, herrschten damals aber geradezu Hochpreise. Dasselbe gilt im Vergleich mit der dritten Handelsperiode, die 2013 begann und in der die EUA-Preise noch spottbilliger wurden, so daß sie absolut keine Wirkung mehr entfalten können (siehe Grafik 2).

Trotz aller Schwächen wird die Studie aber sicher großen Anklang in Brüssel finden (die deutschsprachigen Autoren haben ihre Studie zur Situation in Deutschland praktischerweise gleich in Englisch vorgelegt). Dort hat man den Zertifikatehandel zum zentralen Instrument der Klimaschutzpolitik erklärt, obwohl er bisher eigentlich nur eine einzige Serie von Pleiten, Pech und Pannen war. In dieser Situation kann die Kommission propagandistische Unterstützung gut gebrauchen. Neuerdings will sie sogar auf verbindliche Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren verzichten und der CO2-Minderung absoluten Vorrang einräumen. Damit würde es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie die CO2-Minderung durch Nutzung von erneuerbaren Energiequellen, durch den Bau neuer Kernkraftwerke oder durch Kohlekraftwerke mit CCS-Technik erreichen wollen (140109).

Für die Industrie, die seit der zweiten Handelsperiode einen bestimmten Anteil der Zertifikate käuflich erwerben muß und sich darüber bitter beklagt (090713), halten die Autoren ebenfalls einen Trost bereit: Bei den zertifikatepflichtigen Unternehmen hätten sich keine signifikanten Verringerungen der Exporte, des Umsatzes oder der Beschäftigung feststellen lassen. Die betroffenen Branchen und ihre Lobby, für die Jammern zum Geschäft gehört, dürften das allerdings schon wissen und über diese frohe Botschaft gar nicht so erfreut sein...

Bei den ersten Auktionen für die dritte Handelsperiode, die Ende 2012 stattfanden, erreichte der Preis für ein EUA-Zertifikat acht bis neun Euro. Dann sackte er unaufhaltsam ab und unterschritt im Frühjahr 2013 die Grenze von drei Euro. Ende April kostete es ungefähr fünf Euro, das Klima mit der Emission von einer Tonne Kohlendioxid zu belasten. Um eine nennenswerte Wirkung für den Klimaschutz zu haben, müßte der Preis viermal so hoch sein.

Alle drei Handelsperioden waren bisher ein Fiasko

In der ersten Handelsperiode hatte der Zertifikate-Handel als klimapolitisches Instrument versagt, weil sich schon 2006 ein riesiger Überschuß an Zertifikaten herausstellte, der den zuletzt erreichten Preis von 30 Euro pro EUA mehr als halbierte (060501) und bis Februar 2007 auf 90 Cent abstürzen ließ (070202). Äußerst lukrativ war das neue Instrument jedoch für die Stromkonzerne, die es als Vorwand mißbrauchten, um den nominellen Börsenwert ihrer kostenlos erhaltenen Emissionszertifikate auf die Strompreise aufzuschlagen (050703, 050901, 061203). Im nachhinein wurde der Fehlstart zur "Testphase" erklärt und so zu beschönigen versucht.

In der zweiten Handelsperiode, die 2008 begann, gab es zunächst eine lebhafte Handelstätigkeit, die den Anschein erweckte, als ob bei den CO2-Emittenten ein großer Bedarf an Zertifikaten bestehe. Tatsächlich rührte diese Handelstätigkeit aber zu neunzig Prozent von einem Umsatzsteuerkarussell, mit dem sich Betrüger fünf Milliarden Euro aus Steuergeldern ergaunerten (091204). Als Kriminelle dann auch noch in das elektronische Registrierungssystem eindrangen, um Zertifikate im Wert von rund 28 Millionen Euro zu Geld zu machen, mußte die EU-Kommission Anfang 2007 vorübergehend alle europäischen Register sperren (110105). Auf ganz legale Weise bereicherten sich dagegen Unternehmen, die kostenlos mehr Emissionsberechtigungen erhielten, als sie nötig hatten (111111). Wegen des Überangebots an Zertifikaten rauschte der ohnehin zu niedrige EUA-Preis ab 2011 in den Keller.

Für die dritte Handelsperiode von 2013 bis 2020 wurden wiederum viel zu viele Zertifikate ausgegeben, wodurch die Preise von Anfang an im Keller verharrten und keinen Druck zur Minderung der CO2-Emissionen ausübten. Um dem abzuhelfen, will die EU-Kommission die Zahl der ausgegebenen Zertifikate vorübergehend verknappen und mit Beginn der vierten Handelsperiode im Jahr 2021eine "Marktstabilitätsreserve" einführen (140109). Möglicherweise als Folge dieses Beschlusses stieg der Preis, der bis Anfang April auf 4,75 Euro gesunken war, bis Ende des Monats auf 5,52 Euro. Um tatsächlich eine nennenswerte Wirkung für den Klimaschutzwirkung zu haben, müßte er aber ungefähr viermal so hoch sein.

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)