Juli 2017

170704

ENERGIE-CHRONIK


Siemens-Turbinen gelangten trotz Verbots auf die Krim

Auf der von Rußland annektierten Insel Krim (140304) werden zwei neue Gaskraftwerke mit Siemens-Turbinen gebaut, obwohl dies gegen die EU-Sanktionsbeschlüsse vom 18. Dezember 2014 verstößt. Siemens beruft sich darauf, daß die vier Gasturbinen für den Bau eines neuen Kraftwerks in Südrußland bestellt worden seien und daß man eine Verwendung auf der Krim im Liefervertrag sogar ausdrücklich ausgeschlossen habe. Offensichtlich handelte es sich aber von Anfang an um ein Täuschungsmanöver, um das von der EU verhängte Embargo zu umgehen. Siemens muß sich zumindest vorwerfen lassen, alle Alarmzeichen mißachtet zu haben, die frühzeitig die Täuschungsabsicht erkennen ließen.

Zur Täuschung wurde ein Bestimmungsort im benachbarten Südrußland vereinbart


Die SGT5-2000E, mit der die Russen jetzt auf der Krim zwei Gaskraftwerke ausrüsten, gilt als robusteste Gasturbine des Siemens-Angebots. Sie kann mit einer großen Bandbreite von hoch- bis niederkalorischen Brennstoffen befeuert werden und sogar während des laufenden Betriebs von Erdgas zu Öl bzw. umgekehrt wechseln. Die Leistung beträgt bis zu 187 MW.
Foto: Siemens

Die vier Gasturbinen wurden im März 2015 von der Technomexport (TMP), einer Tochter des russischen Staatskonzerns Rostec, bei Siemens bestellt. Angeblich waren sie für den Bau eines neuen Kraftwerks auf der Halbinsel Taman bestimmt, die östlich der Krim zum südrussischen Festland gehört. Im Liefervertrag wurde außerdem mit Blick auf die EU-Sanktionsbeschlüsse festgehalten, daß die Stromerzeugung des Kraftwerks nicht zur Versorgung der Krim verwendet werden dürfe. Das war freilich schon deshalb Unsinn, weil es bereits Planungen gab, die Krim über ein Seekabel durch die Straße von Kertsch mit der Halbinsel Taman zu verbinden (151106). Diese Stromverbindung ging Ende 2015 mit 400 MW in Betrieb und wurde im Mai 2016 auf 800 MW erweitert. Im Endausbau sollen es 1270 MW werden, womit sie sogar fast den gesamten Spitzenbedarf der Krim decken könnte. Es wäre unmöglich gewesen, den auf Taman erzeugten Strom säuberlich von der Erzeugung des Kernkraftwerks Rostow und der sonstigen Stromversorgung in Südrußland trennen zu wollen, an der auch die Seekabel zur Insel Krim hängen. Das hätten bei Siemens nicht nur die Techniker, sondern auch die für den Vertragsabschluß zuständigen Manager wissen müssen.

Siemens ignorierte alle Warnzeichen

Als russische Medien nach dem Vertragsabschluß berichteten, daß auf der Krim zwei neue Kraftwerke gebaut und mit Siemens-Turbinen ausgerüstet würden, fand der Konzern dies zwar irritierend, konnte aber angeblich keine stichhaltigen Anhaltspunkte für diese Nachricht entdecken. Er wurde nicht einmal stutzig, als auf der Krim in Sewastopol und Simferopol die Bauarbeiten für die Gaskraftwerke begannen, während auf Taman überhaupt nichts zu sehen war. Im Juni 2016 fiel das Potemkinsche Dorf ganz in sich zusammen, weil die Ausschreibung für Taman mangels Angeboten abgesagt wurde. Nicht einmal der Turbinen-Käufer TMP hatte sich beworben. Trotzdem bekam er im August 2016 von Siemens die Turbinen geliefert.

Kremlchef Putin belog die Bundesregierung

Mittlerweile hatte der Siemens-Konzern immerhin soviel Bauchschmerzen bekommen, daß er sich an die Bundesregierung wandte, um diese politisch einzubinden und drohende Konsequenzen seitens der EU-Kommission abzuwehren. Wie die Regierung jetzt wissen ließ, hat sie den Kreml auf das vertragswidrige Verhalten und den drohenden Sanktionsverstoß aufmerksam gemacht. Im September 2016 habe der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) von Kremlchef Putin sogar persönlich die Zusicherung erhalten, daß die Turbinen nicht für die Krim bestimmt seien.

Satellitenfotos lieferten den letzten Beweis

Anfang Juli gab es jedoch keinen Zweifel mehr, daß Putin gelogen hatte: Satellitenfotos belegten, daß zwei der Turbinen in Sewastopol auf der Krim gelandet waren. Wenige Tage später wurden die beiden anderen im 190 Kilometer entfernten Hafen Feodossija gesichtet. Über die Entdeckung berichtete wiederum als erster die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte Agentur Reuters. Schon am 5. August 2016 hatte sie über den Verdacht informiert, daß die angeblich für Taman bestimmten Turbinen auf die Krim verschoben werden sollten. Sie stützte sich dabei auf anonyme Insider, die mit den Kraftwerksprojekten vertraut waren.

Verwirrspiel mit zwei namensgleichen Rostec-Töchtern

Der Kreml kaschierte die Vertragsverletzung und die Wortbrüchigkeit des Präsidenten mehr als fadenscheinig, indem er den Turbinen-Käufer TMP im März 2017 bankrott gehen ließ. Der staatliche Mutterkonzern Rostec hatte indessen schon 2014 eine neue Firma mit demselben Namen gegründet, die mit dem Bau der beiden Gaskraftwerke auf der Krim beauftragt wurde. Diese zweite TMP übernahm nun von der verblichenen Schwesterfirma die vier Gasturbinen. Aus russischer Sicht waren sie damit auf dem "Sekundärmarkt" erworben und unterlagen nicht mehr den Bestimmungen des Liefervertrags. Nach Darstellung von Putins Industrieminister Denis Manturow wurden sie außerdem umgerüstet und damit russische Produkte. In Wirklichkeit dürfte diese Umrüstung aus nicht viel mehr als der Tilgung des Herstellernamens bestanden haben.

Siemens tut so, als ob Rußland ein Rechtsstaat wäre

Der Siemens-Konzern will sich nun aus der Affäre ziehen, indem er in Moskau Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Kunden TMP erstattet und auf Einhaltung der Verträge klagt – gerade so, als ob Rußland ein Rechtsstaat wäre und hinter dem Vertragsbruch nicht der Kreml selber stünde. Außerdem will er bestehende Verträge mit staatlich kontrollierten Unternehmen vorerst aussetzen, einen Lizenzvertrag mit russischen Unternehmen kündigen und sich aus dem Gemeinschaftsunternehmen Interautomatika (IA) zurückziehen, das die "Umrüstung" der Turbinen besorgt haben soll. Vereinbarte Lieferungen sollen nur noch dann erfolgen, wenn die Maschinen tatsächlich am vertraglich vereinbarten Einsatzort installiert werden können.

 

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