Oktober 2013 |
131001 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der RWE-Konzern hat "Medienspekulationen" über eine vorzeitige Beendigung der Braunkohleförderung im Tagebau Garzweiler II zurückgewiesen. Allerdings hat er diese Medienspekulationen offenbar selber ausgelöst, indem er einen Zeitungsbericht über entsprechende Überlegungen lancierte. Außerdem verband er sein Dementi mit dem Vorbehalt, daß sich der "regulatorische Rahmen" wieder zugunsten der konventionellen Stromerzeugung verändern müsse. Das Dementi läßt sich deshalb als Drohung verstehen, mit der RWE die laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin und speziell die Verhandlungsgruppe Energie der SPD beeinflussen möchte. Eines der Druckmittel sind dabei die 1.700 Arbeitsplätze, die bei einer Schließung von Garzweiler II verlorengehen würden.
Der erste Teil von Garzweiler II wird bis 2017 abgebaggert sein. Im anschließenden Abschnitt, der bis 2025 Braunkohle liefern soll, wurden die Bewohner bereits umgesiedelt. Indessen ist ungewiß, ob sich die Investitionen überhaupt noch rechnen. Unsummen kostet allein schon die Verlegung der Autobahnen A 41 und A 61, die durch das Tagebau-Gebiet führen. Grafik: Wikipedia
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"RWE hält an seinen bisherigen Planungen zur Fortführung des Tagebaus Garzweiler II unverändert fest", versicherte der Vorstandsvorsitzende Peter Terium am 8. Oktober in einer Pressemitteilung des Konzerns. Der Tagebau sei "fester Bestandteil der Zukunftsplanung des Unternehmens", erklärte auch der Chef der Erzeugungssparte RWE Generation, Matthias Hartung. Die beiden Manager widersprachen damit einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) vom selben Tag, wonach es unternehmensinterne Überlegungen gibt, Garzweiler II bis 2018 aufzugeben, weil der dann anstehende Abriß weiterer Dörfer und sonstige Investitionen zur Erschließung des Tagebaues nicht mehr rentabel seien.
Dieses Dementi schließt freilich keineswegs aus, daß RWE-intern ein vorzeitiges Aus für Garzweiler II erwogen wird. Die aus den achtziger Jahren stammenden Prognosen zum Bedarf an Braunkohle, die der Planung und Durchsetzung von Garzweiler II zugrundelagen, sind spätestens seit der "Energiewende" obsolet geworden. Die wachsende Erzeugung aus erneuerbaren Stromquellen zwingt auch RWE mittelfristig dazu, den Umfang der Braunkohleverstromung zu verringern und auf die effizientesten Kraftwerke zu beschränken. Zur Versorgung der modernen BoA-Blöcke in Neurath (120807) und Niederaußem (020911) würde aber der Tagebau Hambach ausreichen. Die Abbaggerung des restlichen Teils von Garzweiler II wäre nicht nur überflüssig, sondern eine unnötige Kostenbelastung, zumal RWE schon jetzt in allen Geschäftsbereichen auf der Suche nach Einsparmöglichkeiten ist (130906).
In verklausulierter Form kommt diese Problematik auch in der Erklärung des RWE-Vorstands zum Ausdruck: Sie räumt einerseits ein, daß die Braunkohleverstromung nicht mehr so rentabel ist wie früher. Andererseits macht sie das Festhalten an den bisherigen Planungen davon abhängig, daß sich das wieder ändern werde. Die von Terium und Hartung abgegebenen Zusicherungen werden nämlich durch folgenden Zusatz relativiert:
"Ungeachtet dessen hat sich die wirtschaftliche Situation der Braunkohleverstromung durch ein verändertes Marktumfeld und deutlich gesunkene Strompreise an den Großhandelsmärkten erheblich verschlechtert. RWE Generation begegnet dieser Herausforderung mit einem harten Kostensenkungsprogramm in allen Unternehmensbereichen. Zudem setzt das Unternehmen darauf, daß sich der regulatorische Rahmen auf den Energiemärkten schon aus Gründen der Versorgungssicherheit so verändern wird, daß auch die konventionelle Stromerzeugung eine Perspektive hat. Ausstiegsplanungen oder Entscheidungen über ein vorzeitiges Ende eines Tagebaus stehen vor diesem Hintergrund nicht an."
Die Stadt Erkelenz, zu der neun der 22 betroffenen Orte gehören, stoppte nach Bekanntwerden des SZ-Berichts alle Vorbereitungen für weitere Umsiedlungen in den restlichen fünf Dörfern. Die im Stadtrat vertretenen Parteien forderten die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in einem Offenen Brief auf, rasch Klarheit über die Zukunft des Braunkohlentagebaues Garzweiler II und der dadurch betroffenen Menschen herbeizuführen.
"Die Stadt Erkelenz trägt mit der Umsiedlung von 5000 Menschen und einer vom Abbau betroffenen Stadtfläche von rund 40 Quadratkilometern die Hauptlast des von der Landesregierung NRW genehmigten Vorhabens", heißt es in dem Offenen Brief, den neben Bürgermeister Peter Jansen (CDU) alle sieben Fraktionsvorsitzenden unterzeichneten. Mit der Presseerklärung vom 8. Oktober habe RWE die Fortführung des Braunkohletagebaues Garzweiler II erstmals von einem entsprechenden regulatorischen Rahmen abhängig gemacht. Dieser Vorbehalt bedeute: "Wenn sich der regulatorische Rahmen also nicht verändern wird, steht damit offensichtlich aus Wirtschaftlichkeitsgründen der Tagebau bereits heute vor dem Aus."
Die Landesregierung in Düsseldorf lehnte eine Stellungnahme ab. Sie ließ lediglich wissen, daß sie intensive Gespräche mit RWE Power, der Stadt Erkelenz und dem Braunkohlenausschuß bei der Bezirksregierung Köln führe. Es gebe ein "transparentes und juristisch eindeutiges Verfahren" sowie eine "bewährte Praxis im Umsiedlungsprozeß", erklärte Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD), als der Landtag am 17. Oktober auf Antrag der "Piraten" das Thema diskutierte. Zur Zukunft von Garzweiler II werde sich die Landesregierung erst 2014 äußern, wenn der Braunkohlenausschuß über die Umsiedlung der restlichen Dörfer zu entscheiden habe.
Diese Sitzung des Braunkohlenausschusses sollte eigentlich bereits im November stattfinden. Sie wurde aber auf Frühjahr 2014 vertagt, um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu zwei Verfassungsbeschwerden abzuwarten, die von der Umweltorganisation BUND und einem Privatkläger erhoben wurden. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Zwangsenteignungen durch den Braunkohletagebau Garzweiler II. Die Kläger machen geltend, daß die nach dem Bergrecht zulässigen Zwangsenteignungen das Grundrecht auf Eigentum verletzen.
Die Grube Garzweiler II wurde 2006 in Betrieb genommen. Vorausgegangen war ein jahrelanger Konflikt um die ökologischen Folgen dieser Tagebau-Erweiterung, der die damalige rot-grüne Landesregierung bis an den Rand des Bruchs brachte (060607). Für die derzeitige rot-grüne Landesregierung birgt es ebenfalls einigen Sprengstoff, falls RWE den mühsam erkämpften Tagebau vorzeitig aufgeben sollte. Sie hält sich daher bedeckt, solange RWE nicht offen mit der Stillegung von Garzweiler II droht.
"RWE hat das dementiert, insofern stellt sich die Frage nicht", erklärte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (26.10.) "Aber klar ist, daß natürlich auch RWE Verläßlichkeit braucht. Wir haben bei der Energiewende derzeit keinen klaren Kurs, um Investitionssicherheit zu bieten. Da geht es nicht nur um RWE und die anderen Energieversorger, sondern auch um die Industrie insgesamt."
Kraft ist nicht nur Chefin der Düsseldorfer Landesregierung, sondern führt in den derzeitigen Koalitionsgesprächen zwischen SPD und Union die Verhandlungen für den Bereich Energie. Zur SPD-Verhandlungsgruppe gehört ferner der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke, der sich für die von Vattenfall geplante Erweiterung des Braunkohlentagebaues Welzow-Süd einsetzt (130903). Es spricht deshalb einiges für den Verdacht, daß die plötzlich entfachte Diskussion um die Zukunft des Tagebaues Garzweiler II vor allem die Koalitionsverhandlungen zur "Energiewende" beeinflussen soll.
Am 29. Oktober bediente sich RWE ein weiteres Mal der "Süddeutschen", um Druck zu machen. In einem Interview mit dem Blatt malte der Vorstandsvorsitzende Peter Terium ein insgesamt düsteres Bild der Stromerzeugung und wiederholte die Forderung der Großstromerzeuger nach Einführung sogenannter Kapazitätsmärkte (130702). Er warnte nun sogar vor Stromausfällen, die zu befürchten seien, wenn noch mehr Kohle- und Gaskraftwerke aus Rentabilitätsgründen stillgelegt werden müßten, anstatt den Betreibern bereits die bloße Vorhaltung von gesicherter Leistung zu honorieren: "Die Feuerwehr wird schließlich auch für ihre Einsatzbereitschaft bezahlt und nicht nur für das Löschwasser."
Terium erweckte damit den falschen Eindruck, als ob die Versorgungssicherheit von den Kraftwerksbetreibern verantwortet würde. Tatsächlich ist das aber Sache der Netzbetreiber bzw. der Bundesnetzagentur. Die im Juni beschlossene Reservekraftwerksverordnung ermächtigt deshalb die Bundesnetzagentur, die beantragte Stillegung eines Kraftwerks abzulehnen, wenn es aus netztechnischen Gründen weiterhin benötigt wird (130606, 131004). Die Betreiber bekommen dann für die befristete weitere Vorhaltung als Reservekraftwerk eine Vergütung, müssen die Anlage aber nach Ablauf dieser Frist tatsächlich stillegen. Dieses Modell garantiert, daß nur unentbehrliche konventionelle Kapazitäten subventioniert werden und es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt. Die von der Branche erhobene Forderung nach Einführung von "Kapazitätsmärkten" hat sich dadurch im Grunde erledigt.