Juni 2006 |
060607 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach einer 20 Jahre dauernden Planungs- und Vorbereitungsphase und einer fast so lange währenden Auseinandersetzung um die ökologischen Folgen hat RWE Power am 16. Juni den neuen Braunkohletagebau Garzweiler II in Betrieb genommen. Garzweiler II umfaßt ein Gebiet von 48 Quadratkilometern und schließt direkt an das Abbaufeld Garzweiler I an (siehe Karte). Mit einer Jahresförderung von rund 40 Millionen Tonnen liefert der Tagebau den Brennstoff für etwa 6 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Unter anderem wird er die neue BoA-Doppelblockanlage am Standort Neurath versorgen, mit deren Errichtung RWE Power im Februar 2006 begonnen hat (060212).
Innerhalb des Abbaugebiets Garzweiler II verschwinden mehrere Orte und müssen rund 7.600 Menschen umgesiedelt werden. In den Orten Otzenrath, Spenrath und Holz wird die Umsiedlung zur Zeit abgeschlossen. Außerdem müssen noch die Orte Immerath, Lützerath, Pesch und Borschemich geräumt werden. Der östliche und nördliche Teil der braunkohlegrube wird bis 2045 überwiegend landwirtschaftlich rekultiviert. Der im westlichen Teil gelegene Rest des Geländes soll zu einer "lebendigen Seelandschaft mit großem Freizeit- und Erholungswert für Mensch und Natur" entwickelt werden.
Gegen Garzweiler II gab es jahrelang heftigen Widerstand. Der Protest entzündete sich vor allem an der Absenkung des Grundwasserspiegels und anderen ökologischen Folgen, der Vernichtung mehrerer Orte und den CO2-Emissionen von Braunkohle, die mit etwa 0,4 Kilogramm pro Kilowattstunde höher sind als bei Steinkohle (0,3) oder Erdgas (0,2).
Am 6. Juni wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen die Enteignung einer Obstwiese ab, die im Bereich des neuen Tagebaues liegt. Die Bezirksregierung Arnsberg hatte das Grundstück, das der BUND vor neun Jahren erwarb, auf Antrag der RWE enteignet. Das rund ein Hektar große Gelände befindet sich am Rande des ehemaligen Dorfes Otzenrath und soll im Jahr 2008 abgebaggert werden.
Betreiber des Projekts Garzweiler II war zunächst die RWE-Tochter Rheinbraun, die 2003 in der neuen Kraftwerksgesellschaft RWE Power aufging (030604). Ihr Antrag auf Erschließung des neuen Abbaugeländes war im September 1991 von der Düsseldorfer Landesregierung (910905) und im Dezember 1994 vom Braunkohlenausschuß des Regierungsbezirks Köln (941212) gebilligt worden. Die abschließende Zustimmung der Landesregierung im Februar 1995 (950210) wurde auch von der Mehrheit des Landtags unterstützt (950314). Bei den anschließenden Landtagswahlen im Mai 1995 verlor jedoch die seit 1966 regierende SPD ihre knappe absolute Mehrheit im Landtag, während die Grünen – die Garzweiler II im Landtag als einzige Partei geschlossen abgelehnt hatten – ihren Stimmenanteil von 5,0 auf 10,0 Prozent verdoppeln konnten. Bei den Koalitionsverhandlungen mußte die SPD deshalb den Grünen zugestehen, den von Rheinbraun einzureichenden Rahmenbetriebsplan erst zu genehmigen, wenn der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof über die anhängigen Klagen entschieden haben würde (950602). Zudem äußerte die Regierungskoalition offiziell die "Erwartung", daß Rheinbraun vorerst nur den Abbau von einem Drittel des 48 Quadratkilometer großen Gebiets beantragen werde. Rheinbraun ignorierte indessen diese Erwartung und beantragte im September 1995 den Rahmenbetriebsplan für das gesamte Gebiet von Garzweiler II (950908). Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) räumte in seiner Regierungserklärung offen ein, daß beide Koalitionspartner in dieser Frage unterschiedlicher Auffassung seien. Insbesondere der damalige Wirtschafts- und Verkehrsminister Wolfgang Clement (SPD) machte aus seiner Unterstützung für Rheinbraun keinen Hehl. Die von Anfang an vorhandenen Differenzen der rot-grünen Koalition verschärften sich in der Folge bis zur Drohung der Grünen, bei einer Genehmigung des Rahmenbetriebsplans die Koalition mit der SPD zu beenden (960908). Im April 1997 wies der Verfassungsgerichtshof die Organklage der Grünen gegen die von der vorherigen Landesregierung erteilte Genehmigung für Garzweiler II zurück (970406). Zwei Monate später lehnte er auch die Verfassungsbeschwerde von sechs betroffenen kommunalen Körperschaften ab (970607). Die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn leistete indessen weiterhin Widerstand gegen das Projekt, und das Wuppertal-Institut sekundierte ihr mit einem Papier, wonach der neue Braunkohletagebau gar nicht erforderlich sei, um den tatsächlichen Strombedarf zu decken (970909). Wirtschaftsminister Clement holte sich seinerseits Unterstützung durch ein Gutachten des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos (971011) und genehmigte im Dezember 1997 den Rahmenbetriebsplan. Im Januar 1998 beschlossen daraufhin die Grünen, in der Koalition mit der SPD zu bleiben, aber die noch ausstehende wasserrechtliche Genehmigung für den braunkohleabbau nach Möglichkeit zu blockieren, da diese in die Zuständigkeit der Umweltministerin Höhn fiel (980102). Aber schon im Oktober desselben Jahres mußte Höhn unter dem Druck der SPD nachgeben und die wasserrechtliche Genehmigung ohne unzumutbare Auflagen erteilen (981011). Ein letzter Versuch von Kommunen, Anwohnern und Umweltschützern, gerichtlich gegen die Genehmigung des Rahmenbetriebsplans vorzugehen, scheiterte im Dezember 2001 vor dem Verwaltungsgericht Aachen (011221).