März 2010 |
100303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach dieser Statistik haben Stromversorger mit 200.000 bis 500.000 Kunden dreimal mehr Wechselkunden gewonnen als verloren, während es sich bei den noch größeren Platzhirschen der Branche genau umgekehrt verhält. Doch der Anschein trügt: Von den Zugewinnen profitierten hauptsächlich die Töchter der vier großen Stromanbieter. Das scheinbare Defizit in den beiden oberen Kategorien wird so vom Überschuß in der darunter befindlichen Kategorie wieder ausgeglichen. Die Bilanz der Kundenwanderung ist letztendlich über alle Unternehmensgrößen hinweg ziemlich ausgeglichen. Für die gesamte Stromwirtschaft gleicht sie ohnehin einem Nullsummenspiel. Allerdings gilt das nicht für die einzelnen Unternehmen. Hier können die Differenzen erheblich bis katastrophal sein. |
Noch immer beziehen die deutschen Haushaltskunden ihren Strom zu fast neunzig Prozent vom jeweiligen Grundversorger. Dies ergibt sich aus dem Jahresbericht 2009, den die Bundesnetzagentur am 23. März vorlegte. "Grundversorger" ist nach § 36 Abs. 2 des 2005 neugefaßten Energiewirtschaftsgesetzes "jeweils das Energieversorgungsunternehmen, das die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert". In der Praxis sind das die ehemals integrierten Stromversorger bzw. deren Vertriebsunternehmen. Sie sind auch noch immer Eigentümer der Netze. Sie müssen lediglich den Netzbetrieb juristisch und operationell von ihren sonstigen geschäftlichen Aktivitäten trennen. Bei kleinen Stadtwerken, die weniger als 100.000 Kunden versorgen, genügt eine betrieblich-rechnungsmäßige Abtrennung.
Von den 131,1 Terawattstunden (TWh), die 2008 insgesamt an Haushaltskunden abgesetzt wurden, entfielen 66,91 TWh (51,0 Prozent) auf Kunden mit einem reinen Grundversorgungsvertrag. Weitere 49,5 TWh (38,0 Prozent) lieferten die Grundversorger über sonstige Verträge, die sie neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Grundversorgungstarif anbieten und die etwas günstiger sind. Lediglich 14,69 TWh (11 Prozent) des Haushaltsstroms kamen von anderen Lieferanten als den jeweiligen Grundversorgern.
Diese ausgeprägte "Treue" zum angestammten Stromversorger wird indessen keineswegs belohnt, sondern mit besonders hohen Strompreisen bestraft, wie sich ebenfalls dem Jahresbericht entnehmen läßt. Besonders groß sind die Nachteile beim reinen Grundversorgungs-Vertrag, mit dem noch immer die Hälfte der Haushalte vorlieb nimmt. Hier stiegen die Strompreise von 2006 bis 2009 sogar um 23 Prozent. Aber auch die Sondertarife, die von den Grundversorgern angeboten werden, sind durchschnittlich teurer als die von konkurrierenden Lieferanten außerhalb des Netzgebiets (100304).
Die Bereitschaft zum Wechsel des Stromlieferanten hat bei den Haushalten binnen zwei Jahren um mehr als das Dreifache zugenommen. |
Immerhin nimmt die Wechselbereitschaft zu. Noch 2007 beschränkte sich der Anteil anderer Stromlieferanten an der Versorgung von Haushaltskunden auf 6,4 Prozent. Im Jahr 2008 waren es 11,2 Prozent. Zugleich lag die mengengewichtete Wechselquote bei gut fünf Prozent und damit rund einen Prozentpunkt höher als im Vorjahr. Insgesamt wechselten 2,1 Millionen Haushaltskunden ihren Lieferanten. Das waren knapp 800.000 mehr als im Vorjahr. Etwa drei Viertel davon wechselten zum ersten Mal den Lieferanten (siehe Grafik 2.
Theoretisch gibt es für die Haushaltskunden eine große Vielfalt an Lieferanten. Eine von der Bundesnetzagentur erstellte Karte der Netzgebiete (siehe Grafik 3) weist für große Teile des Bundesgebiets sogar "101 bis 200" Lieferanten aus. In der Praxis sind es aber die vier großen Energiekonzerne, die auch auf diesem Gebiet die Nase vorn haben. Von den 2,1 Millionen Lieferantenwechseln des Jahres 2008 konzentrierten sich über 75 Prozent auf nur zehn Anbieter. Die mit dem Lieferantenwechsel verbundene Strommenge entfiel wiederum zu 52 Prozent auf nur vier Lieferanten. Bei diesen "vier größten Lieferanten", wie sie im Jahresbericht bezeichnet werden, handelt es sich wohl um die vier Energiekonzerne mit ihren bundesweiten Stromanbietern "Yello", "Eprimo" und "e wie einfach", denn zugleich heißt es, daß diese vier damit "im Marktsegment der Neukundenbelieferung einen vergleichbaren Marktanteil wie im gesamten Einzelhandelsbereich" erreichten.
Bei den kleineren Stromanbietern mit bis zu 200.000 Haushaltskunden wird das Wechselgeschehen eher von Umschichtungen als von Verlusten geprägt, was im Einzelfall natürlich nicht ausschließt, daß einzelne Unternehmen in erheblichem Maße Kunden verloren haben, während andere dafür hinzugewannen. Eindeutig positiv ist dagegen der Saldo der Kundenwanderung in der Gruppe der Unternehmen mit 200.000 bis 500.000 Kunden. Die Statistik der Bundesnetzagentur weist hier einen Zugewinn von 1,35 Millionen Kunden aus, währen nur 0,44 Millionen Kunden abhanden kamen. Anders verhält es sich bei den ganz großen Stromanbietern mit bis zu einer Million Kunden und mehr: Hier überwogen dem ersten Anschein nach die Kundenverluste die Zugewinne um mehr als die Hälfte (siehe Grafik 1). Die Bundesnetzagentur verweist jedoch vorsorglich darauf, daß auch in dieser Gruppe die Bilanz zumeist wieder ausgeglichen ist, wenn man die Kundengewinne berücksichtigt, die von Tochterunternehmen der großen Stromanbieter erzielt wurden.
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Diese Karte entstammt dem Jahresbericht 2009 der Bundesnetzagentur. Sie zeigt die jeweilige Anzahl der Stromlieferanten von Haushaltskunden in den einzelnen Netzgebieten. Im Original enthält die Karte keine Namen von Netzbetreibern bzw. Grundversorgern. Zur besseren Orientierung wurden deshalb die Gebiete einiger größerer Grundversorger nachträglich bezeichnet. Naturgemäß steigt die Zahl der Anbieter, die sich um wechselwillige Kunden bemühen, mit der Größe des Netzgebiets. Insofern nimmt es nicht wunder, daß Stadtwerke und andere kleine Versorger in der Kategorie "1 bis 20 Lieferanten" auftauchen, während die großen Verteilnetzbetreiber RWE, E.ON Bayern, E.ON Hanse, e.dis und enviaM mit der blauen Einfärbung für "101 bis 200 Lieferanten" versehen sind. Die Karte wäre einheitlich eingefärbt und würde keine Konturen von Netzgebieten erkennen lassen, wenn es überall eine annähernd gleich große Anzahl von Lieferanten gäbe. Das ist aber keineswegs der Fall. Die Karte verdeutlicht so immerhin, daß auch zehn Jahre nach der Liberalisierung die ehemals geschlossenen Versorgungsgebiete der deutschen EVU faktisch weiterbestehen – nun aber in der Form von Grundversorgern, die sich in ihrem Gebiet einer mehr oder weniger großen Anzahl von externen Anbietern gegenübersehen. |