Juni 2008 |
080603 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Europäische Parlament sprach sich am 18. Juni für eine "umfassende eigentumsrechtliche Entflechtung" von Stromproduktion und Transportnetzen aus. Mit 449 Ja- gegen 204 Nein-Stimmen bei 19 Enthaltungen billigte es die Empfehlungen der Berichterstatterin Eluned Morgan, die Anfang Mai bereits vom Industrieausschuß angenommen worden waren (080503). Der von Deutschland, Frankreich und sechs weiteren EU-Staaten favorisierte "Dritte Weg" wurde mit 381 gegen 261 Stimmen abgelehnt. Auch für das Konzept eines "Independant System Operator" (ISO), das die EU-Kommission als Kompromiß vorgeschlagen hatte, gab es keine Unterstützung.
Das Parlament befaßte sich auf seiner Sitzung in Straßburg in erster Lesung mit drei der insgesamt fünf Gesetzgebungsvorschläge, die von der Kommission im September 2007 vorgelegt wurden (070901). Es handelte sich um die neue Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt, die Verordnung über Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel sowie die Verordnung zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden. Die neue Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt und die Änderung der Verordnung für Erdgasfernleitungsnetze sollen im Juli behandelt werden. Im Unterschied zum Strommarkt hat hier der Industrieausschuß empfohlen, den Gasanbietern das Eigentum an den Netzen zu belassen, wenn sie genug investieren und Konkurrenten ungehinderten Netzzugang gewähren.
Mit seinem Votum für eine umfassende eigentumsrechtliche Entflechtung widerspricht das Parlament dem EU-Ministerrat, der sich am 6. Juni bei einem Treffen in Luxemburg grundsätzlich darauf einigte, den Mitgliedsstaaten die Wahl zwischen allen drei Modellen zu lassen. Dies würde bedeuten, daß in Deutschland die Energiekonzerne ihre Stromnetze behalten dürften. Sie hätten lediglich mit einer stärkeren Beaufsichtigung durch die Regulierungsbehörden und mit einigen Auflagen zu rechnen.
Wenn jetzt der Rat mit dem Ergebnis der ersten Lesung einverstanden wäre, könnten die umfassende eigentumsrechtliche Entflechtung des Netzes und andere Änderungsanträge des Parlaments so verabschiedet werden. Damit ist allerdings nicht zu rechnen. Ebenso ist fraglich, ob das Parlament den "Gemeinsamen Standpunkt" akzeptieren wird, dessen Formulierung nunmehr Sache des Rates ist. Dann müßte der Vermittlungsausschuß aus jeweils 27 Mitgliedern des Parlaments und des Rates einberufen werden, um eine Annäherung zwischen den unterschiedlichen Standpunkten herbeizuführen. Wenn es auch dem Vermittlungsausschuß nicht gelingt, sich auf einen gemeinsamen Entwurf zu einigen oder wenn die erzielte Einigung den Abgeordneten nicht zusagt, kann das Parlament den Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit der absoluten Mehrheit seiner 785 Mitglieder ablehnen. Es müßten dann also mindestens 393 Abgeordnete gegen den von Deutschland und Frankreich favorisierten "Dritten Weg" stimmen.