Juli 2019

190711

ENERGIE-CHRONIK


 


Die EU hat vor zehn Jahren beschlossen, den Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch bis 2020 auf zwanzig Prozent zu erhöhen, wobei die 28 Mitgliedsstaaten durch nationale Vorgaben in die Pflicht genommen wurden. Das Gesamtziel dürfte auch erreicht werden, weil die Hälfte der Staaten die Vorgaben übererfüllt oder zumindest rechtzeitig erreicht. Bei der anderen Hälfte ist das aber zweifelhaft, und dazu gehört auch Deutschland.

Hälfte der EU-Staaten lahmt bei Erfüllung der Erneuerbaren-Ziele

Die Hälfte der EU-Staaten tut sich schwer damit, ihre nationalen Verpflichtungen zur Steigerung des Erneuerbaren-Anteils am Endenergieverbrauch zu erfüllen. Dazu gehört auch Deutschland. Dies ergibt sich aus einem Sonderbericht, den der Europäische Rechnungshof jetzt veröffentlichte (siehe PDF).

Die Staat- und Regierungschefs hatten 2007 beschlossen, den Anteil der Erneuerbaren am gesamten Endenergieverbrauch der Gemeinschaft bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen (070306). Ähnlich wie bei der Minderung der CO2-Emissionen außerhalb des Energiebereichs sah der Vorschlag der Kommission zur Umsetzung dieses Ziels verpflichtende nationale Ziele vor (080103). Diese wurden in der ersten Erneuerbaren-Richtlinie fixiert und traten mit anderen Bestandteilen eines EU-Klimapakets in Kraft (081207). Damit verpflichtete sich jeder der 28 Mitgliedsstaaten, den 2005 erreichten Anteil der Erneuerbaren am Brutto-Endenergieverbrauch bis 2020 um eine bestimmte Anzahl von Prozentpunkten zu steigern. Bis 2017 haben elf Staaten diese Verpflichtung erfüllt. Drei standen kurz davor. Bei der anderen Hälfte ist es dagegen mehr oder weniger fraglich, ob sie den Rückstand bis 2020 noch aufholen (siehe Tabelle). Bei Nichterfüllung kann die Kommission rechtliche Schritte in Form eines Vertragsverletzungsverfahrens einleiten. In der vor kurzem in Kraft getretenen Neufassung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie wurde ein verbindliches EU-Ziel von mindestens 32 Prozent für den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2030 festgelegt (181112). Allerdings gibt es dazu nun keine verbindlichen nationalen Ziele mehr, was die Erreichung des Gesamtziels von vornherein fraglich macht.

Europaweit lag 2017 die Windkraft nur noch knapp hinter der Wasserkraft

Insgesamt hat sich Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch der 28 EU-Staaten von 2005 bis 2017 von 9,1 auf 17,5 Prozent erhöht und damit nahezu verdoppelt. Dazu hat vor allem die Steigerung der Stromerzeugung aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Quellen beigetragen. Betrachtet man nur diesen Sektor, braucht sich Deutschland nicht zu verstecken. Allerdings habe die EEG-Umlage die Belastung der Stromverbraucher deutlich erhöht, stellt der Rechnungshof fest. Zu den Fragwürdigkeiten dieser Umlage, die überproportional zu der damit erreichten Förderwirkung anstieg und besonders die Kleinverbraucher belastet, äußert er sich nicht (siehe Hintergrund, Oktober 2012, und Hintergrund, Oktober 2013).

Den größten Beitrag zur Steigerung des Erneuerbaren-Anteils am Endenergieverbrauch der EU-Staaten leisteten Wind- und Solarenergie. Gemessen an der jährlich erzeugten Strommenge liegt die Windenergie zwar noch immer knapp hinter der Wasserkraft: Im Jahr 2017 entfielen 35 Prozent der gesamten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in der EU auf die Wasserkraft, während die Windenergie 34 Prozent und die Solarenergie 12 Prozent ausmachten. Die Windenergie verzeichnete aber zwischen 2005 und 2017 einen Anstieg um 414 Prozent, während die Strommenge im Bereich der Wasserkraft weitgehend unverändert blieb. Im gleichen Zeitraum nahm die Menge an Solarstrom sogar um 8.086 Prozent zu.

In Deutschland sind die Verzögerungen beim Netzausbau besonders gravierend

Deutschland gehört zu vier Mitgliedsstaaten, die der Rechnungshof - stellvertretend für unterschiedliche nationale Ausgangslagen - näher unter die Lupe nahm. Die anderen sind Spanien, Griechenland und Polen. In allen vier Staaten stellte er erhebliche Verzögerungen bei den Netzinvestitionen fest. In Deutschland sei dieses Problem jedoch besonders gravierend, weil bis Ende 2017 weniger als 10 Prozent des geplanten Netzausbaus (lediglich 750 von 7.900 Kilometer) fertiggestellt waren. Aufgrund der unterentwickelten Netze in Deutschland komme es zu den sogenannten Ringflüssen, bei denen Strom durch die Netze der Nachbarländer fließt, wenn das deutsche Netz die Übertragung des überschüssigen Stroms nicht mehr bewältigt. Wenn beispielsweise die Windparks in Norddeutschland überschüssigen Strom erzeugten, reiche die Netzkapazität mitunter nicht aus, um den gesamten Strom nach Süddeutschland und Österreich zu transportieren, wo die größte Nachfrage herrscht. Dann müsse der Strom über Polen, Tschechien und die Slowakei umgeleitet werden. Im Jahr 2017 habe deshalb das polnische Netz über achtmal mehr Strom als geplant aus Deutschland aufgenommen, obwohl die polnischen Behörden die deutschen Stromflüsse häufig drosselten (siehe hierzu 181003 mit weiterführenden Links).

Bayerische Abstandsregelung brachte Zubau von Windkraftanlagen zum Erliegen

In zwei der untersuchten Mitgliedstaaten werde der Bau neuer Windkraftanlagen durch Raumordnungsvorschriften eingeschränkt. Beispielsweise habe ein deutsches Bundesland festgelegt, dass der Mindestabstand zwischen einer Windkraftanlage und der nächstgelegenen Wohnbebauung das Zehnfache der Gesamthöhe der Anlage (das heißt bis zu zwei Kilometer) betragen muss. Seit der Einführung dieser Regelung seien keine neuen Anträge für den Bau von Windkraftanlagen eingereicht worden. Die Maßnahme habe dazu geführt, dass nun statt der vorgesehenen 2 bis 3 Prozent der Fläche dieses Bundeslandes - gemeint ist natürlich Bayern - nur noch etwa 0,3 Prozent für den Bau von Windparks infrage kommen (siehe hierzu 140609, 160510, 170709).

Polen habe 2016 die gleiche Bestimmung erlassen, doch seien hier die Auswirkungen weitaus weniger problematisch: Studien hätten ergeben, dass sich dadurch die für Investitionen in Windkraftanlagen infrage kommende Fläche auf gerade einmal 0,1 Prozent des Staatsgebiets verringert, während zuvor – bei einem Abstand von einem Kilometer zwischen Windkraftanlagen und Wohngebieten – eine Fläche von 2,6 Prozent vorgesehen war.

Positiv fand der Rechnungshof dagegen, wie Deutschland eine zentrale Anlaufstelle eingeführt habe, um langwierige Verwaltungsverfahren bei Erneuerbaren-Projekten zu vermeiden. So sei bei einem von ihm untersuchten Windpark eine 43-seitige Zulassung, die von acht Behörden und fünf Dienststellen genehmigt werden musste, in weniger als sechs Monaten ausgestellt worden. Dagegen könne in Griechenland und Spanien die Durchführung eine solchen Projekts bis zu sieben Jahre dauern. In Spanien vergehe auch bei kleinen Windkraftanlagen bis zur Ausstellung einer Lizenz durchschnittlich ein Jahr.

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)

 

 

Anteile der Erneuerbaren in den 28 EU-Staaten am Endenergieverbrauch

Durchschnittliche Fortschritte, die bis 2017 bei der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch erzielt wurden, und durchschnittliche Fortschritte, die zur Erreichung der Ziele für das Jahr 2020 auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten und der EU erforderlich sind

Quelle: Europäischer Rechnungshof auf der Grundlage von Eurostat-Daten

 
Anteil in Prozent
Entwicklung des Anteils in Prozent
Verbleibender Anteil in Prozent
 
2005
2017
Ziel 2020
2005-2017
durchschnittlich pro Jahr
bis 2020
durchschnittlich pro Jahr
EU-28
9,1
17,5
20
8,4
0,6
2,5
0,8
Mitgliedstaaten, die bereits ihr Ziel für 2020 gemäß der Richtlinie 2009/28/EG erreicht haben
Bulgarien
9,5
18,7
16
9,4
0,7
0
0
Tschechien
7,1
14,8
13
7,7
0,6
0
0
Dänemark
16,0
35,8
30
19,8
1,5
0
0
Estland
17,4
29,2
25
11,8
0,9
0
0
Kroatien
23,7
27,3
20
3,5
0,3
0
0
Italien
7,5
18,3
17
10,7
0,8
0
0
Litauen
16,8
25,8
23
9,1
0,7
0
0
Ungarn
6,9
13,3
13
6,4
0,5
0
0
Rumänien
17,2
24,5
24
7,2
0,6
0
0
Finnland
28,8
41,0
38
12,2
0,9
0
0
Schweden
40,5
54,5
49
14,0
1,1
0
0
Mitgliedstaaten, deren Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch noch um weniger als 2 Prozentpunkte steigen muss
Griechenland
7,0
16,3
18
9,3
0,7
1,7
0,6
Lettland
32,3
39,0
40
6,7
0,5
1,0
0,3
Österreich
23,7
32,6
34
8,9
0,7
1,4
0,5
Mitgliedstaaten, deren Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch noch um 2 bis 4 Prozentpunkte steigen muss
Belgien
2,3
9,1
13
6,7
0,5
3,9
1,3
Deutschland
7,1
15,5
18
8,3
0,6
2,5
0,8
Spanien
8,4
17,5
20
9,1
0,7
2,5
0,8
Zypern
3,1
9,9
13
6,7
0,5
3,1
1,0
Malta
0,1
7,2
10
7,0
0,5
2,8
0,9
Portugal
19,5
28,1
31
8,6
0,7
2,9
1,0
Slowenien
16,0
21,5
25
5,5
0,4
3,5
1,2
Slowakei
6,4
11,5
14
5,1
0,4
2,5
0,8
Mitgliedstaaten, deren Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch noch um mehr als 4 Prozentpunkte steigen muss
Irland
2,8
10,7
16
7,8
0,6
5,3
1,8
Frankreich
9,6
16,3
23
6,7
0,5
6,7
2,2
Großbritannien
1,3
10,2
15
8,9
0,7
4,8
1,6
Luxemburg
1,4
6,4
11
5,0
0,4
4,6
1,5
Niederlande
2,5
6,6
14
4,1
0,3
7,4
2,5
Polen
6,9
10,9
15
4,0
0,3
4,1
1,4