Januar 2016 |
160108 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Marktteilnehmer haben 2015 flexibler auf negative Preise an der Strombörse reagiert. Sie erreichten damit aber nur eine Umschichtung von weniger Stunden mit höheren Negativpreisen zu mehr Stunden mit geringeren Negativpreisen. Das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das die negativen Strompreise hervorbringt, wurde damit nicht beseitigt. Dieses Problem kann erst gelöst werden, wenn die Erzeugung der konventionellen Kraftwerke elastischer als bisher der Einspeisung aus erneuerbaren Stromquellen angepaßt wird. |
Die Zahl der Stunden mit negativen Preisen an der Strombörse hat sich 2015 gegenüber den drei Vorjahren verdoppelt: Während sie seit 2012 jährlich zwischen 56 und 64 betrug (140608), waren es im vergangenen Jahr 126 Stunden. Zugleich ging die durchschnittliche Höhe der negativen Strompreise deutlich zurück: Während beispielsweise 2012 der Durchschnittswert der 56 Stunden mit negativen Preisen bei minus 60,51 Euro pro Megawattstunde lag, waren es 2015 nur noch minus 9 Euro (siehe Grafik).
Für die Initiative "Agora Energiewende", die diese Zahlen in ihrem Rückblick auf das Jahr 2015 veröffentlicht, ergibt sich daraus ein gemischtes Bild hinsichtlich der Flexibilität des Stromsystems: "Immer mehr Marktteilnehmer versuchen, stark negative Preise zu vermeiden, also im Rahmen ihrer Möglichkeiten flexibel zu reagieren." Mit steigenden Anteilen von Wind- und Solarenergie werde sich diese Flexibilitätsherausforderung noch vergrößern. Zu ihrer Bewältigung seien weitere Anstrengungen der Kraftwerksbetreiber und der Regulierungsbehörde erforderlich.
Die Initiative verwies darauf, daß negative Strompreise nicht nur durch das Zusammentreffen einer niedrigen Nachfrage mit einer hohen Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien entstehen, sondern auch durch die mangelnde Flexibilität von konventionellen Kraftwerken, die ihre Erzeugung nicht in angemessener Weise zurückfahren. Die Anzahl solcher Stunden und die absolute Höhe der negativen Preise seien Indikatoren für die (mangelnde) Flexibilität des Stromsystems, da es in diesen Stunden eigentlich betriebs- und volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, die Stromproduktion aus konventionellen Kraftwerken zu reduzieren. Verschiedene Hemmnisse verhinderten jedoch, dass dies immer geschieht. Dazu zählten die An- und Abfahrkosten bei Braunkohle- und Kernkraftwerken, mangelnde Wärmespeicher bei KWK-Anlagen und das Design des Regelleistungsmarktes.
Insgesamt sei die Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen "nach wie vor recht niedrig". Auch die 125 Stunden des vergangenen Jahres würden nur 1,4 Prozent aller Stunden des Jahres ausmachen.
Der bislang höchste Negativpreis kam am frühen Morgen des 25. Dezember 2012 zustande: Damals mußte man einer Megawattstunde zusätzlich 221,99 Euro hinterherwerfen, um sie loszuwerden. Die Zuzahlung wäre noch größer gewesen, wenn den Übertragungsnetzbetreibern nicht inzwischen erlaubt worden wäre, den Pflichtverkauf des EEG-Stroms bei besonders extremen Negativpreisen einzustellen (siehe 130101). |
Ob und wieweit sich durch diese Entwicklung die Verluste verringerten, die den Verkäufern von Wind- und Solarstrom durch Negativpreise entstehen, läßt sich schlecht beurteilen, da man hierzu neben der Anzahl der Negativstunden und den Durchschnittspreisen auch die gehandelten Mengen kennen müßte. Vermutlich hat aber das flexiblere Verhalten der Marktteilnehmer am grundlegenden Problem des Mißverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage nicht allzuviel geändert. Es dürfte eher eine Umschichtung als eine Verringerung der Einbußen bewirkt haben.
Diese Umschichtung von einer geringeren Anzahl Negativstunden mit hohen Durchschnittspreisen zu einer hohen Anzahl mit geringeren Durchschnittspreisen könnte sich für die EEG-Stromverkäufer sogar negativ auswirken: Seit 1. Januar entfällt gemäß § 24 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes für neue EEG-Anlagen die Förderung komplett, wenn die Preise an der Epex Spot in Paris (091209) an mindestens sechs aufeinanderfolgenden Stunden negativ sind. Diese Bestimmung gilt für Windkraftanlagen ab 3 Megawatt und für sonstige Neuanlagen ab 500 Kilowatt. Im Jahr 2015 gab es sieben solcher Zeiträume mit insgesamt 56 Stunden. Wenn diese Bestimmung bereits 2015 gegolten hätte, wäre somit den Betreibern neuer Anlagen in fast der Hälfte aller Negativstunden die EEG-Förderung gestrichen worden.
Bis September 2008 gab es an allen Strombörsen nur positive Preise. Offenbar konnte man sich bis dahin nicht vorstellen, daß ein Anbieter den Strom einfach verschenken und für die Abnahme sogar einen enormen Aufpreis zahlen würde. Das änderte sich mit der Umstellung des EEG-Ausgleichsverfahrens in Deutschland, das die Übertragungsnetzbetreiber zum Zwangsverkauf der enormen EEG-Strommengen an der Börse verpflichtete (091201). Da die Übertragungsnetzbetreiber den eingespeisten EEG-Strom unabhängig vom jeweiligen Börsenpreis verkaufen müssen, ergab sich durch diese gesetzliche Verpflichtung ein starker Druck auf die Spotmarkt-Preise, der sogar eine Erweiterung der Skala in den negativen Bereich opportun erscheinen ließ. Schon vor der offiziellen Neuregelung des EEG-Ausgleichsverfahrens wurde deshalb am Spotmarkt für das Marktgebiet Deutschland/Österreich die technisch mögliche Obergrenze von 3000 Euro pro Megawattstunde spiegelbildlich um 3000 Euro in den Minusbereich erweitert. Erst später hat man die Übertragungsnetzbetreiber wenigstens von der Verpflichtung befreit, den EEG-Strom um jeden Preis – also auch mit einem exzessiv hohen Aufgeld von 3000 Euro pro Megawattstunde – verschleudern zu müssen (100201, 130216).
Mit dem Pflichtverkauf des EEG-Stroms an der Börse begann die Talfahrt der Großhandelspreise, von der die Endverbraucher freilich schon deshalb wenig spüren, weil sie diese indirekt über die stark gestiegene EEG-Umlage finanzieren müssen (100708, 120204). Hinzu sind die Stromvertriebe wenig geneigt, gesunkene Beschaffungskosten an die Kunden weiterzugeben (150207,141005, 120806). Mittlerweile wird der EEG-Strom größtenteils nicht mehr über die Netzbetreiber, sondern per "Direktvermarktung" an der Börse angeboten. Die Direktvermarkter unterliegen keiner Verkaufsverpflichtung, sondern können individuell und vergleichsweise flexibel entscheiden, wie sie sich bei negativen Preisen am besten aus der Affäre ziehen. Wie man sieht, bewegt sich aber auch diese Flexibilität innerhalb enger Grenzen.