August 2013 |
130801 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Die seit 2009 andauernde Talfahrt der Strompreise am Spotmarkt (130702) hat im ersten Halbjahr 2013 ein noch nie erreichtes Ausmaß angenommen. Die Zahl der Stunden, in denen der Strom nur zu Niedrigpreisen (zwischen 10 und 0 Euro pro Megawattstunde) verkauft werden konnte, hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr 2012 fast vervierfacht. Die Zahl der Stunden, in denen er sogar unter Zahlung eines Aufpreises verschenkt werden mußte, hat um etwa die Hälfte zugenommen. Die von den Stromverbrauchern zu zahlende EEG-Umlage erhöht sich dadurch erheblich, da sie seit der Neuregelung des EEG-Ausgleichs reziprok zum Börsenpreis steigt und fällt (091201). Ursache ist aber nicht etwa ein Überangebot an Strom aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energien, sondern ein starker Überschuß an Strom aus konventionellen Kraftwerken, die von den Betreibern nicht so abgeregelt werden, wie es die Einspeisung aus erneuerbaren Energien erfordern würde. – Das ist die Quintessenz einer Studie, die das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion erstellt hat.
Die Studie liefert auch eine Erklärung dafür, weshalb Gaskraftwerke so stark an Rentabilität eingebüßt haben, obwohl sie eigentlich die "Energiewende" in idealer Weise ergänzen, da sich mit ihnen die fluktuierende Einspeisung an Wind- und Solarstrom am besten ausgleichen läßt: Strom aus Braunkohle und Kernkraft ist für die Kraftwerksbetreiber profitabler, zumal die Kohleverstromung durch niedrige Brennstoffkosten und sehr geringe Preise für Emissionszertifikate (130712) begünstigt wird. Zu Zeiten niedriger Preise an der Börse (zwischen 0 und 10 Euro pro Megawattstunde) laufen deshalb Braunkohle- und Kernkraftwerke mit hoher Auslastung weiter, während Gas- und Steinkohlekraftwerke ihre Gesamtleistung stark reduzieren. In der Studie heißt es dazu:
"Die zunehmende Kohleverstromung, begünstigt durch niedrige Brennstoffkosten und geringe Preise für Emissionszertifikate, verdrängt derzeit flexible Gaskraftwerke vom Markt. Bestehende Gaskraftwerke werden daher abgeschaltet und Investitionen in neue Kraftwerke bleiben aus. Der Kraftwerkspark in Deutschland wird dadurch mittelfristig weniger flexibel, da nach wie vor ein hoher Anteil an Grundlastkraftwerken (Braunkohle- und Atomkraftwerke) am Netz ist."
Im Vergleich mit dem gleichen Zeitraum des Vorjahres hat im ersten Halbjahr 2013 vor allem die Kohleverstromung deutlich zugenommen: Braunkohlekraftwerke haben 2,0 TWh, Steinkohlekraftwerke 4,0 TWh mehr Strom produziert. Gleichzeitig ging die Produktion aus Gaskraftwerken um 4,6 TWh zurück. Witterungsbedingt wurden im ersten Halbjahr 2013 auch 2,4 TWh weniger Windstrom produziert, während die Produktion aus Photovoltaik ungefähr auf Vorjahresniveau lag. |
Sogar bei negativen Börsenstrompreisen – wenn also der Preis unter 0 Euro/MWh fiel und der Strom mit Draufzahlung verschenkt werden mußte – war in dem untersuchten Zeitraum der Braunkohle-Kraftwerkspark bis zu 73 Prozent ausgelastet. Eine Mindestauslastung von 42 Prozent wurde nie unterschritten. Die Kernkraftwerke wurden mit bis zu 96 Prozent der installierten Leistung gefahren. Die minimale Auslastung lag bei 49 Prozent (diese Angaben beziehen sich wohlgemerkt auf die installierte Gesamtkapazität des jeweiligen Kraftwerksparks und nicht auf die übliche oder technisch machbare Minimallast für einen einzelnen Kraftwerksblock).
Die so entstehende Überproduktion erklärt, weshalb Deutschland im vergangenen Jahr trotz der Abschaltung von acht Kernkraftwerken soviel Strom exportierte wie noch nie (130402). Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2012 hat sich im ersten Halbjahr 2013 der bereits hohe Exportüberschuß nochmals fast verdoppelt (siehe Grafik). Betrachtet man nur den Zeitraum der Niedrigpreis-, hat er sich sogar von 226 auf 778 Gigawattstunden (GWh) erhöht und damit wie die Zahl der Niedrigpreisstunden fast vervierfacht. In der Studie heißt es dazu:
"Schreibt man den derzeitigen Trend fort, werden sowohl die Exportüberschüsse, als auch die Stunden mit extrem niedrigen oder negativen Börsenstrompreisen weiter zunehmen und langfristig zu einem unüberwindbaren Systemkonflikt führen. Eine frühzeitige Koordinierung des Zubaus von Erneuerbaren mit der Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks an die veränderten Anforderungen ist für ein gelingen der Energiewende essentiell."
Mit 72,9 Terawattstunden (TWh) dominierten Braunkohlekraftwerke im ersten Halbjahr 2013 die Palette der Stromerzeuger, gefolgt von Steinkohle (57,4 TWh) und Kernkraft (46 TWh). Gas trug mit 21,9 TWh zur Stromerzeugung bei. Windkraftanlagen lieferten 22,4 TWh, Solarmodule 14,3 TWh und Wasserkraft 9,2 TWh.
Zum Schluß ziehen die Verfasser der Studie unter anderem folgendes Fazit:
"Die in dieser Studie aufgezeigte Entwicklung ist insofern bedenklich, als eine Renaissance der Kohleverstromung den Umwelt- und Klimaschutzzielen zuwider läuft. Darüber hinaus ist die Zunahme negativer bzw. niedriger Börsenstrompreise ein deutliches Signal mangelnder Flexibilität im Erzeugungspark konventioneller Kraftwerke, welche den Ausbau der fluktuierenden erneuerbaren Energien im Zuge der Energiewende flankieren sollte. Die auf hohe Volllaststundenzahl ausgelegten Braunkohle- und Atomkraftwerke sind als klassische Grundlastkraftwerke zur Flankierung der Energiewende ungeeignet."
Dieser Befund deckt sich mit der jüngst vom "Forschungsverbund Erneuerbare Energien" getroffenen Feststellung, daß das bestehende Stromsystem nicht für hohe Anteile erneuerbarer Energien geeignet ist, weil sich die fluktuierende Erzeugung von Wind- und Solaranlagen nicht in grenzkostenbasierte Märkte integrieren läßt (130614).