Januar 2013 |
130101 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Nacht von Heiligabend zum 25. Dezember mußten die Übertragungsnetzbetreiber und andere Anbieter den Strom nicht nur zehn Stunden lang verschenken, sondern obendrein noch 43 Millionen Euro zahlen, damit sie einen Abnehmer fanden. In der folgenden Nacht wiederholte sich das Fiasko, wobei binnen neun Stunden 45 Millionen Euro "Draufgeld" fällig wurden. Auch am 27. Dezember wurde man den Strom vier Stunden lang nur gegen Aufzahlungen los, die sich auf vier Millionen Euro beliefen. Die Negativpreise wären sicher noch größer geworden, wenn die Übertragungsnetzbetreiber nicht gemäß § 8 AusglMechAV die Möglichkeit hätten, ab minus 150 Euro/MWh den weiteren Absturz durch Preislimitierung zu stoppen. Diese befristete Ausnahmeregelung wird jetzt zum zweiten Mal um zwei Jahre verlängert. |
Wegen geringen Stromverbrauchs und hoher Windstromeinspeisung rutschten an den Weihnachtsfeiertagen die Auktionspreise für Stundenkontrakte am "Day-Ahead-Markt" tief in den Börsenkeller. Es war der bisher größte Preiseinbruch an der Epex Spot, die seit Oktober 2009 als gemeinsame Tochter von EEX und Powernext die Spotmärkte für die Marktgebiete Deutschland/Österreich, Frankreich und Schweiz betreibt (091209). Allein am zweiten Weihnachtsfeiertag mußten im Marktgebiet Deutschland/Österreich dem verschenkten Strom noch 45 Millionen Euro hinterhergeworfen werden, damit sich ein Abnehmer fand. Das ist gut das Doppelte der bisherigen Rekordsumme von 22 Millionen Euro, die am 26. Dezember 2009 aufgelaufen war (100101). Bis zum Morgen des 27. Dezember summierten sich die Zuzahlungen für den verschenkten Strom auf rund 92 Millionen Euro. Hinzu kamen weitere Verluste in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro durch Negativpreise am "Intraday-Markt". Insgesamt wurden so rund 94 Millionen Euro aufgewendet, um in den deutschen Regelzonen das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot aufrechterhalten zu können. Im wesentlichen handelt es sich bei dieser Summe um EEG-Strom, zu dessen Verkauf an der Börse die Übertragungsnetzbetreiber gesetzlich verpflichtet wurden. Das heißt, daß der größte Teil dieser 94 Millionen Euro in die EEG-Umlage eingeht und diese weiter in die Höhe treibt.
Faktisch bedeutete der "Verkauf" zu Negativpreisen, daß der überschüssige Strom von den Übertragungsnetzbetreibern wie giftiger Sondermüll angeboten wurde, bis sich Abnehmer fanden, die ihn zu Höchstpreisen entsorgten. Anscheinend waren es vor allem Kraftwerksbetreiber in den Niederlanden, die sich auf diese Weise ein Schnäppchen sicherten, indem sie ihre eigene Erzeugung entsprechend verringerten. Unklar bleibt, ob die Übertragungsnetzbetreiber durch eine falsche Prognostizierung der weihnachtlichen Versorgungslage zu der mißlichen Situation beigetragen haben könnten: Der Rückgang des Stromverbrauchs an den Festtagen war jedenfalls genauso vorhersehbar wie das erhöhte Windstromaufkommen. Schon vor drei Jahren hatte eine solche Konstellation dazu geführt, daß die Netzbetreiberam ersten Weihnachtsfeiertag überschüssigen Windstrom zehn Stunden lang unter hohen Zuzahlungen verschenken mußten ( 100101).
Bei den vortägigen Auktionen am "Day-Ahead-Markt" kam der höchste Negativpreis mit 221,99 Euro pro Megawattstunde für Stromlieferungen am frühen Morgen des 25. Dezember zustande. Die Zuzahlung wäre sicher noch deutlich größer ausgefallen, wenn es den Übertragungsnetzbetreibern nicht erlaubt wäre, bei extremen Negativpreisen ab 150 Euro/MWh aus der Abwärtsspirale auszusteigen, indem sie ihre Angebote mit einem Preislimit versehen. Sie sind dann nicht mehr verpflichtet, den EEG-Strom komplett und zu jedem Preis über die Börse zu verkaufen, sondern können auf der erreichten Kostenbasis nach anderen Möglichkeiten zur Bereitstellung der benötigten Regelenergie suchen (100201). Beispielsweise können sie Kraftwerksbetreibern hohe Entschädigungen für das Zurückfahren der Erzeugung anbieten. In diesem Fall lag das von den Übertragungsnetzbetreibern gesetzte Limit offenbar bei minus 220 Euro pro Megawattstunde.
Aufgrund des Preislimits am "Day-Ahead-Markt kam es am frühen Morgen des 15. Dezember zu einem Überangebot am "Intraday-Markt", an dem Strom bis zu einer Stunde vor der Lieferung gehandelt werden kann. Der Preis fiel hier ebenfalls unter null, und der Strom war nur noch gegen Aufgeld loszuwerden. Die höchste Zuzahlung wurde mit einem Negativpreis von 40,58 Euro pro Megawattstunde erreicht. Auch an den beiden folgenden Tagen folgten die Preise im untertägigen Handel der Entwicklung am Day-Ahead-Markt und sanken vorübergehend unter null.
An dem gemeinsamen Spotmarkt von Deutschland/Österreich, Frankreich und der Schweiz, den es zwar in der Realität noch nicht gibt, den aber die Epex Spot mittels des "European Electricity Index" (Elix) zu simulieren versucht, sank der Preis für die Megawattstunde am 25. Dezember sogar auf minus 473,82 Euro. Laut Epex Spot veranschaulicht der hypothetische Elix "den Preis einer Marktsituation ohne Engpässe an den Grenzkuppelstellen" und demonstriert so "den zusätzlichen Gewinn, der durch eine weitere Marktintegration erreicht werden könnte". Allerdings sollte man eigentlich erwarten dürfen, daß die Zusammenfassung der drei Spotmärkte zu einer Ausweitung des potentiellen Abnehmerkreises für überschüssigen Windstrom aus Deutschland führen und dadurch die Negativpreise verringern statt vergrößern würde. Die Epex Spot versuchte diesen Widerspruch auf Anfrage damit zu erklären, daß der Stromaustausch mit den Niederlanden, der am 25. Dezember stattfand, zwar den "Phelix" für das Marktgebiet Deutschland/Österreich beeinflußt habe, aber nicht vom "Elix" erfaßt worden sei.
Gemäß der "Verordnung zur Weiterentwicklung des bundesweiten Ausgleichsmechanismus" sind die Übertragungsnetzbetreiber seit Anfang 2010 grundsätzlich verpflichtet, die EEG-Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien "am vortäglichen oder untertäglichen Spotmarkt einer Strombörse" zu verkaufen. In der Praxis wurde so schon seit 2009 verfahren, weshalb seit vier Jahren ein deutlicher Rückgang der Preise am Spotmarkt zu verzeichnen ist (siehe Phelix). Der Endverbraucher hat von diesem Preisrückgang freilich überhaupt nichts. Er wird sogar zusätzlich belastet, weil der zwangsweise über die Börse verkaufte EEG-Strom entsprechend geringere Erlöse zur Folge hat (120204). Beispielsweise lag der Durchschnittspreis für Stundenkontrakte im Dezember bei 35,51 Euro/MWh (base) und 53,78 Euro/MWh (peak). Nach Angaben der Epex Spot traten im vergangenen Jahr an 15 Tagen sogar negative Preise auf. Das heißt, das an diesen Tagen der Strom nicht nur zu Niedrigpreisen verramscht oder nahezu verschenkt wurde, sondern zeitweilig nur gegen Zahlung eines Aufgelds abzusetzen war.
Bis 2008 gab es an allen Strombörsen nur positive Preise. Offenbar konnte man sich bis dahin nicht vorstellen, daß ein Anbieter den Strom einfach verschenken und für die Abnahme sogar einen enormen Aufpreis zahlen würde. Das änderte sich mit der Umstellung des EEG-Ausgleichsverfahren in Deutschland, das die Übertragungsnetzbetreiber zum Zwangsverkauf der enormen EEG-Strommengen an der Börse verpflichtete (siehe Hintergrund). Da die Übertragungsnetzbetreiber den eingespeisten EEG-Strom unabhängig vom jeweiligen Börsenpreis verkaufen müssen, ergab sich durch diese gesetzliche Verpflichtung ein starker Druck auf die Spotmarkt-Preise, der sogar eine Erweiterung der Skala in den negativen Bereich opportun erscheinen ließ. Schon vor der offiziellen Neuregelung des EEG-Ausgleichsverfahrens wurde deshalb am Spotmarkt für das Marktgebiet Deutschland/Österreich die technisch mögliche Obergrenze von 3000 Euro pro Megawattstunde spiegelbildlich um 3000 Euro in den Minusbereich erweitert. Für die Marktgebiete Frankreich und Schweiz blieb es vorerst bei der alten Regelung. Inzwischen hat die Epex Spot auch für den französischen Spotmarkt Negativpreise bis zu 3000 Euro eingeführt. In der Praxis spielen diese Negativpreise aber weiterhin keine Rolle, da es am französischen Spotmarkt keinen Zwangsverkauf von EEG-Strom und damit auch keinen vergleichbaren Preisdruck wie in Deutschland gibt.
Beim "Probelauf" für die neue EEG-Ausgleichsregelung wurde im Oktober 2009 ein Negativpreis-Rekord von minus 500 Euro erreicht (091201). Das war deutlich mehr, als man den Endverbrauchern zuzumuten können glaubte. Vor allem sahen Politiker und Lobby die Notwendigkeit, das geänderte EEG-Ausgleichsverfahren und die Praxis der Negativpreise vor der öffentlichen Empörung retten. Die Bundesnetzagentur erlaubte deshalb den Übertragungsnetzbetreibern den Ausstieg aus der gesetzlich auferlegten Verkaufsverpflichtung, sobald ein unzumutbarer Tiefpunkt auf der Negativpreis-Skala erreicht sein würde. Bei der nächsten Talfahrt der Preise in den Negativbereich wurde daraufhin die Spitze bei knapp 200 Euro/MWh gekappt (100101).
Die im Februar 2010 erlassenen Ausgleichsmechanismus-Ausführungsverordnung (AusglMechAV) hat diese vorläufige Regelung offiziell in Paragraph 8 verankert. Es handelte sich aber zunächst nur um eine "Übergangsregelung", die bis Jahresende befristet war (100201). Erst auf Drängen der Übertragungsnetzbetreiber leitete die Bundesnetzagentur ein Konsultationsverfahren ein, das zur Verlängerung bis 28. Februar 2013 führte (100809). In der seitdem gültigen Fassung macht der Paragraph die Preislimits unter anderem davon abhängig, daß sie sich im Bereich zwischen minus 150 und minus 350 Euro/MWh bewegen.
Inzwischen arbeitet die Bundesnetzagentur an einer Neufassung der Ausgleichsmechanismus-Ausführungsverordnung (AusglMechAV), die in Kürze in Kraft tritt und die Gültigkeit von § 8 AusglMechAV ("Preislimitierung in Ausnahmefällen") um weitere zwei Jahre bis 28. Februar 2015 verlängert. In dem dazu vorliegenden Referentenentwurf wird die Verlängerung als unumgänglich bezeichnet: Es sei einfach "nicht tragbar", daß die Übertragsnetzbetreiber generell verpflichtet sein sollen, "auch bei irrational negativen Preisen den EEG-Strom stets preisunabhängig zu verkaufen". Die von den Übertragungsnetzbetreibern zu verkaufende Menge an EEG-Strom sei zwar durch die Direktvermarktung stark reduziert worden. Dennoch bestehe weiterhin die Möglichkeit von negativen Preisen unterhalb von minus 150 Euro/MWh. Auch werde die erneuerbare Erzeugungskapazität insgesamt zunehmen, was den Preisdruck zu wind-und sonnenintensiven Zeiten zusätzlich steigern könne. Insgesamt müsse man weiterhin mit "extrem negativen Preisspitzen" rechnen, aus denen "ungerechtfertigte Belastungen der zukünftigen EEG-Umlagen und damit letztlich der Verbraucher resultieren".