August 2015 |
150803 |
ENERGIE-CHRONIK |
In weißen Maleranzügen spazierten die Klima-Aktivisten durch die Mondlandschaft des Tagebaues Fotos (5): Ende Gelände
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Mehr als 800 Demonstranten sind am 15. August auf das Gelände des Braunkohle-Tagebaues Garzweiler II vorgedrungen und haben die Förderung zeitweilig zum Erliegen gebracht. Die Besetzung des Tagebaues erfolgte im Anschluß an ein "Klimacamp" in Erkelenz-Lützerath mit weit über tausend Teilnehmern aus rund 40 Ländern. Die angekündigte und detailliert vorbereitete Aktion stand unter dem Motto "Ende Gelände – Kohlebagger stoppen, Klima schützen!" Etwa 500 Teilnehmer des Klimacamps, die sich nicht an der Aktion beteiligten, demonstrierten gleichzeitig in Erkelenz-Immerath gegen die Braunkohleförderung, der in Kürze der Ortsteil Immerath zum Opfer fallen soll. Am folgenden Tag brachten drei Aktivisten im benachbarten Tagebau Hambach einen Bagger zwei Stunden lang zum Stillstand.
Auch 1200 Polizisten konnten die anstürmenden Demonstranten nicht aufhalten. |
Es sei an der Zeit, "sich auch mit mit massenhaftem zivilem Ungehorsam für den Klimaschutz einzusetzen", erklärte der Pressesprecher des Bündnisses "Ende Gelände", Martin Weis. "Im Sommer hat die Bundesregierung den Braunkohlekonzernen ein Milliardengeschenk gemacht, anstatt endlich mit dem Kohleausstieg ernst zu machen. Ende diesen Jahres sind auf der Klimakonferenz in Paris ebenfalls keine großen Schritte für den Klimaschutz zu erwarten. Deshalb nehmen Menschen den fossilen Ausstieg jetzt selbst in die Hand."
Die Polizei hatte rund 1200 Beamte aufgeboten, um ein Eindringen der Demonstranten in den Tagebau zu verhindern. Zuvor hatte die zuständige Staatsanwaltschaft das Vorhaben als Hausfriedensbruch eingestuft. Nach Polizeiangaben haben dennoch "mehrere hundert Menschen in Form geschlossener Marschsäulen die Sperrketten der Polizei gewaltsam durchbrochen". Die Strategie sei daraufhin der veränderten Lage angepaßt worden, indem die Polizei das Absteigen der Aktivisten in den Tagebau begleitet habe, und zwar auf "Zufahrten mit einem etwas geringeren Gefahrenpotential, aber immer noch auch unter Eigengefährdung der eingesetzten Beamtinnen und Beamten". Anschließend hätten die Polizeikräfte die eingedrungenen Demonstranten "gefahrenmindernd zusammengehalten".
Dennoch hätten einzelne Aktivisten versucht, "in die noch gefährlicheren Abbauflächen vorzudringen". In dieser Situation sei es erforderlich geworden, für den schnellen Transport von Einsatzkräften "auch Fahrzeuge und Fahrer von RWE in Anspruch zu nehmen". Die RWE-Fahrzeuge seien dann auch benutzt worden, um die 805 Personen abzutransportieren, die auf dem Gelände angetroffen wurden. Bei 565 Personen habe sich die Identität vor Ort feststellen lassen. Sie hätten daraufhin einen Platzverweis erhalten und seien entlassen worden. Weitere 240 Demonstranten habe man zur Identitätsfeststellung zum Polizeipräsidium Aachen bringen müssen. Wegen der großen Anzahl der Festgenommenen habe diese Prozedur aber nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von zwölf Stunden abgeschlossen werden können. Man habe deshalb 164 Demonstranten ohne Feststellung der Personalien wieder entlassen müssen. Insgesamt seien 797 Strafanzeigen erstattet worden. Neben Hausfriedensbruch würden die Straftatbestände Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Waffengesetz, Störung öffentlicher Betriebe und ein Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr geprüft.
Polizisten fesseln Demonstranten |
Einkesselung einer Gruppe |
Durch Pfefferspray verletzt |
Nach Angaben des Bündnisses "Ende Gelände" wurden über
200 Aktivisten durch Pfefferspray und Dutzende durch
Schlagstockeinsatz verletzt. Sechs mußten ins Krankenhaus gebracht werden.
Zehn erlitten Platzwunden am Kopf.
"Erschreckend" sei auch die intensive Zusammenarbeit der Polizei mit
dem privaten Sicherheitsdienst von RWE gewesen. So hätten Werkschutz und
Polizei gemeinsam Gruppen von Aktivisten umzingelt und in zeitweiligen Gewahrsam
genommen. Die Polizisten hätten den Abstieg der Demonstranten in die Grube
keineswegs nur begleitet, sondern weiterhin versucht, sie mit Schlagstöcken
und Pfefferspray zu vertreiben.
Am 19. August berichtete der Westdeutsche Rundfunk (WDR), daß die Polizei der RWE Power vorgeschlagen habe, den Tagebaubetrieb während des Protests ruhen zu lassen. RWE habe dies aber abgelehnt und damit eine Eskalation der Proteste offenbar bewußt in Kauf genommen. Ferner habe das RWE-Personal bei den Auseinandersetzungen mit den Aktivisten eine größere Rolle gespielt. Die Werkschützer seien teilweise mit Eisenstangen ausgerüstet und an Einkesselungen der Demonstranten beteiligt gewesen sein. Der Sender veröffentlichte dazu ein Bild, das den Einsatzleiter der privaten Sicherheitsfirma IWSM zeigt, wie er einen der Aktivisten mit Gewalt auf den Boden preßt und festhält. Ein anderer Mitarbeiter dieses Sicherheitsdienstes erklärte in einem Interview mit dem Sender, daß er Angriffe von Demonstranten gegen sich oder seine Kollegen nicht erlebt oder beobachtet habe. Meist seien die Demonstranten vor den Einsatzkräften weggelaufen. Das habe man versucht zu verhindern, und dabei sei dann auch von den Angehörigen der Firma IWSM Gewalt angewendet worden: "Zum Beispiel, indem Beine gestellt wurden, so daß Aktivisten drüber gestolpert sind, ein anderer hat Zugriff gemacht und mit Kabelbinder gefesselt." Er sei von Anfang an mit großen Bauchschmerzen in dieses Wochenende gegangen. Aber die meisten seiner Kollegen hätten das anders gesehen. Sie seien nach dem Einsatz teilweise regelrecht euphorisch gewesen. "Manche haben geprahlt damit – wie viele hast Du denn bekommen ... Es wurden halt Geschichten erzählt, von den Leuten, die da Aktivisten festgehalten haben."
RWE bezeichnete den Vorwurf einer bewußt in Kauf genommenen Eskalation des Konflikts als "schlicht falsch und durch keinerlei Fakten gedeckt", nahm aber keine Stellung dazu, weshalb der Betrieb nicht von vornherein für die Dauer der Aktion eingestellt wurde. Unter den "vielen friedlichen Demonstranten" hätten sich auch "nachweislich zahlreiche gewaltbereite Aktivisten" befunden, die RWE-Personal angegriffen und zum Teil erheblich verletzt hätten.