April 2013 |
130407 |
ENERGIE-CHRONIK |
Den stärksten politischen Rückhalt genießt die Kohleverstromung bei Politikern der SPD. Greenpeace-Aktivisten demonstrierten deshalb am 14. April beim SPD-Bundesparteitag in Augsburg für einen raschen Umstieg auf erneuerbare Energiequellen. Neben Transparenten brachten sie ein fünf Meter hohes SPD-Logo mit. Davor errichteten sie eine rund zweieinhalb Meter hohe Mauer aus Kohlebriketts, hinter der die drei weißen Buchstaben symbolträchtig verschwanden, bis die Mauer zum Einsturz gebracht wurde. Foto: Daniel Müller/Greenpeace
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Die Umweltorganisation Greenpeace hat eine Kampagne gegen die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle gestartet. Am 3. April rechnete sie vor, wieviel Todesfälle jährlich durch die Emissionen deutscher Kohlekraftwerke verursacht würden. Am 11. April veröffentlichte sie ein "Schwarzbuch Kohlepolitik", das namentlich genannte Politiker als Lobbyisten der Kohleindustrie charakterisiert. Zugleich publizierte sie das Ergebnis einer Emnid-Umfrage, wonach "80 Prozent der Befragten für den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohlekraft bis 2040" seien.
Greenpeace will damit erreichen, daß die Kohleverstromung möglichst schnell reduziert und mittelfristig ganz beendet wird, anstatt die weitere Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Quellen zu behindern. Alle Kohlekraftwerke müßten die Auflage erhalten, mit der besten verfügbaren Regeltechnik ausgerüstet zu werden, um Schadstoffemissionen zu minimieren. Es dürften grundsätzlich keine neuen Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue mehr zugelassen werden. Greenpeace fordert außerdem von der Bundesregierung, ein Kohleausstiegsgesetz zu beschließen. Ähnlich dem Gesetz zum Atomausstieg soll es die Laufzeit der Kohlekraftwerke durch Reststrommengen effektiv begrenzen. Den Greenpeace-Vorstellungen zufolge geht das letzte Braunkohlekraftwerk im Jahr 2030 vom Netz, während die Steinkohleverstromung bis 2040 beendet wird. Nicht zuletzt müsse die Europäische Union dafür sorgen, daß die EU-Richtlinie über Industrieemissionen ohne Verzögerungen durch Übergangsregelungen umgesetzt wird.
Ihre Warnung vor der Gesundheitsschädlichkeit der Kohlekraftwerke stützt die Umweltorganisation auf eine Studie, die in ihrem Auftrag drei Mitarbeiter des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart erstellt haben ("Assessment of Health Impacts of Coal Fired Power Stations in Germany" von Philipp Preiss, Joachim Roos und Prof. Rainer Friedrich). Auf der Grundlage dieses Papiers, das die Stuttgarter Autoren im Design des Wissenschaftsbetriebs auf Englisch abgefaßt haben, hat Greenpeace für die praktische Agitation eine Broschüre verfertigt, die mit "Tod aus dem Schlot – Wie Kohlekraftwerke unsere Gesundheit ruinieren" betitelt ist.
Demnach sind 2010 durch die Emissionen der Kohlekraftwerke etwa 3.100 Menschen vorzeitig gestorben. Die Umweltverschmutzung der größten deutschen Kohlekraftwerke habe insgesamt ca. 33.000 Lebensjahre gekostet. Außerdem hätten Krankheiten und gesundheitliche Probleme aufgrund von Kohlekraftwerksemissionen schätzungsweise zu 700.000 verlorenen Arbeitstagen geführt. Allein die neun größten Braunkohlekraftwerke würden jährlich über 1.700 Todesfälle verursachen. Es handele sich dabei um die Kraftwerke Jänschwalde, Schwarze Pumpe, Boxberg, Lippendorf (alle Vattenfall), Neurath, Niederaußem, Frimmersdorf, Weisweiler (alle RWE) sowie Schkopau (E.ON).
Mit dem kurz danach präsentierten "Schwarzbuch Kohlepolitik" will Greenpeace aufzeigen, "wie stark der klimaschädlichste Energieträger Rückhalt und Unterstützung in Teilen der Politik bekommt". Das Ergebnis sind 45 Kurz-Portraits von Politikern und Lobbyisten aus allen fünf Bundestagsfraktionen. Davon zählen 26 zur SPD (einschließlich des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller, der formal parteilos ist). Die CDU ist mit 14 Personen deutlich schwächer vertreten, und die CSU kommt gar nicht vor. Ferner hält Greenpeace je zwei Kohle-Lobbyisten bei Grünen und Linken sowie einen von der FDP für porträtierenswert (siehe Tabelle).
"Die persönliche Diffamierung von Politikern und Mandatsträgern ist in einer demokratischen Gesellschaft unüblich und nicht tolerierbar", erklärte dazu am 11. April der Bundesverband Braunkohle (DEBRIV). "Mit Instrumenten der Denunziation und des Populismus darf in Deutschland niemals wieder gesellschaftspolitische Meinungsbildung betrieben werden." Das Schwarzbuch zur Kohlepolitik sei eine undifferenzierte Polemik gegen den Energieträger Kohle. Greenpeace verlasse mit der Anti-Kohle-Kampagne "jede Plattform, auf der inhaltlich fundierte und ausgewogene Sachdiskussionen stattfinden".
In einer weiteren Stellungnahme vom 16. April bezeichnete DEBRIV-Hauptgeschäftsführer George Milojcic die Broschüre zu den Gesundheitsrisiken durch Kraftwerksemissionen als "gezielte Desinformation, mit der Ängste geschürt werden sollen". Ein Vergleich zwischen der zugrundeliegenden Studie der Universität Stuttgart und der Publikation "Tod aus dem Schlot" mache deutlich, daß Greenpeace den aus der Technikfolgenabschätzung stammenden Ansatz, Gesundheitsrisiken durch Staubbelastungen über verlorene Lebenszeit zu bewerten, "hinsichtlich seiner konkreten Aussagen und Interpretationsmöglichkeiten offensichtlich bewußt überdehnt" habe.
Seitenwechsler, Doppelspieler und Überzeugungstäter(Als Seitenwechsler bezeichnet Greenpeace im "Schwarzbuch Kohlepolitik" jene Personen, die aus der Kohleindustrie in die Politik gegangen sind – oder umgekehrt nach ihrer politischen Laufbahn zu einem Kohlekonzern wechselten. Doppelspieler sind Politiker, die gleichzeitig ein politisches Mandat innehaben und für die Kohleindustrie tätig sind, zum Beispiel als Aufsichtsrat. Überzeugungstäter schließlich sind Politiker, die sich in besonderem Maße für die Kohle einsetzen, ohne bisher direkt für einen Kohlekonzern gearbeitet zu haben.)
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Name | Partei | Geburtsjahr | Entscheidende Funktion | Typ | Überschrift des Kurz-Portraits | ||
Adamowitsch, Georg Wilhelm | SPD | 1947 | Chef der Staatskanzlei NRW | Seitenwechsler | Lobbyist und Chef der Staatskanzlei | ||
Arentz, Hermann-Josef | CDU | 1953 | CDU-Präsidium | Altes Eisen | Ein Spitzenpolitiker, bezahlt von RWE | ||
Bas, Bärbel | SPD | 1968 | Bundestagsabgeordnete aus NRW | Doppelspielerin | Als Aufsichtsrätin der Stadtwerke Duisburg im Bundestag | ||
Bischoff, Werner | SPD | 1947 | Energiepolitischer Sprecher der SPD NRW | Seitenwechsler | Vom Gewerkschafter zum Landtagsabgeordneten zum RWE-Aufsichtsrat | ||
Borghorst, Hermann | SPD | 1947 | Chef der Wirtschaftsinitiative Lausitz | Seitenwechsler | Von der SPD direkt zu Vattenfall | ||
Bsirske, Frank | Grüne | 1952 | Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di | Überzeugungstäter | Grüner Gewerkschafter im Aufsichtsrat bei RWE | ||
Budde, Katrin | SPD | 1965 | Landesvorsitzende SPD Sachsen-Anhalt | Überzeugungstäterin | Von der Schwermaschinenbauerin zur Kohlefreundin | ||
Christoffers, Ralf | Linke | 1956 | Wirtschaftsminister Brandenburg | Überzeugungstäter | Ein Linker kämpft für neue Braunkohletagebaue | ||
Clement, Wolfgang | SPD | 1940 | Bundeswirtschaftsminister | Seitenwechsler | Von RWE-Rheinbraun ins Wirtschaftsministerium | ||
Donnermeyer, Michael | SPD | 1960 | Wahlkampfmanager der SPD | Seitenwechsler | Vom Kohlelobbyisten zu Steinbrücks Pressesprecher | ||
Duin, Garrelt | SPD | 1968 | NRW-Wirtschaftsminister | Überzeugungstäter | Ein Wirtschaftsminister sichert der Industrie den Braunkohlestrom | ||
Freese, Ulrich | SPD | 1951 | Landtagsabgeordneter in Brandenburg | Doppelspieler | Ein Vattenfall-Aufsichtsrat kämpft im Landtag für die Braunkohle | ||
Glante, Norbert | SPD | 1952 | Industrieausschuss des EU-Parlaments | Überzeugungstäter | Ein Kohlefan im EU-Parlament | ||
Golland, Gregor | CDU | 1974 | Landtagsabgeordneter NRW | Doppelspieler | Multifunktionär und RWE-Angestellter | ||
Gräfingholt, Lothar | CDU | 1953 | Fraktionschef in Bochum | Doppelspieler | CDU-Fraktionsvorsitzender und RWE-PR-Texter | ||
Gregor-Ness, Martina | SPD | 1959 | Umweltpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Brandenburg | Doppelspielerin | Eine Umweltpolitikerin in Braunkohlemission | ||
Haseloff, Reiner | CDU | 1954 | Ministerpräsident Sachsen-Anhalt | Überzeugungstäter | Vom Umweltforscher zum Braunkohlefreund | ||
Hegemann, Lothar | CDU | 1947 | Landtagsabgeoierdneter NRW | Doppelspieler | CDU-Strippenzieher für Datteln und Garzweiler | ||
Hempelmann, Rolf | SPD | 1948 | Energiepolitischer Sprecher der SPD | Doppelspieler | Ein energiepolitischer Sprecher, der Kraftwerksbauer berät | ||
Holzschuher, Ralf | SPD | 1963 | Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg | Überzeugungstäter | Ein Fraktionsvorsitzender wirbt für den Kohlekurs | ||
Hombach, Bodo | SPD | 1952 | Chef des Bundeskanzleramtes | Doppelspieler | Strippenzieher aus dem Ruhrgebiet | ||
Klinkert, Ulrich | CDU | 1955 | Parlamentarischer Staatssekretär BMU | Seitenwechsler | Merkels Staatssekretär wird Vattenfall-Lobbyist | ||
Knauber, Rainer | SPD | 1968 | Verhinderter Landesminister im Saarland | Seitenwechsler | Ein Parteisprecher wird zum Vattenfall-Sprachrohr | ||
Kraft, Hannelore | SPD | 1961 | Ministerpräsidentin NRW | Überzeugungstäterin | Die Ministerpräsidentin für die große Kohle | ||
Krahmer, Holger | FDP | 1970 | Europaabgeordneter | Überzeugungstäter | Vom Banker zum Klimaskeptiker im EU-Parlament | ||
Krauß, Alexander | CDU | 1975 | Landtagsabgeordneter in Sachsen | Doppelspieler | Vattenfall-Aufsichtsrat im Kampf gegen Solarenergie in Sachsen | ||
Lambertz, Johannes F. | CDU | 1949 | Vorsitzender für Energie im CDU-Wirtschaftsrat | Überzeugungstäter | ieChef von RWE Power im CDU-Wirtschaftsrat | ||
Linsler, Rolf | Linke | 1942 | Landesvorsitzender der Linkspartei im Saarland | Überzeugungstäter | Linker Funktionär als Kohlespeerspitze | ||
Meiser, Klaus | CDU | 1954 | CDU-Fraktionsvorsitzender im Saarland | Doppelspieler | Ein Exminister und Kohlefan | ||
Moron, Edgar | SPD | 1941 | Fraktionsvorsitzender SPD NRW | Doppelspieler | Oppositionschef im Landtag und nebenbei Spitzenverdiener | ||
Müller, Hans-Peter | SPD | 1955 | Landtagsabgeordneter NRW | Seitenwechsler | Vom RAG-Mitarbeiter zum Landtagsabgeordneten | ||
Müller, Hildegard | CDU | 1967 | Enge Mitarbeiterin der Bundeskanzlerin | Seitenwechslerin | Merkels Vertraute als Cheflobbyistin | ||
Müller, Werner | parteilos (SPD-nah) | 1946 | Bundeswirtschaftsminister für die SPD | Seitenwechsler | Vom Energiemanager zum Regierungsmitglied und zurück | ||
Oettinger, Günther | CDU | 1953 | EU-Energiekommissar | Überzeugungstäter | Ein Stuttgarter Bahnhofsbauer als EU-Energiekommissar | ||
Palmer, Boris | Grüne | 1972 | Bürgermeister von Tübingen | Überzeugungstäter | Ein grüner Hoffnungsträger als Kohlekraftwerksbauer | ||
Pfeiffer, Joachim | CDU | 1967 | Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU | Doppelspieler | Energiepolitischer Koordinator als Beirat im Atom- und Kraftwerkskonzeiern | ||
Platzeck, Matthias | SPD | 1955 | Ministerpräsident Brandenburg | Überzeugungstäter | Vom Umweltschützer zum Braunkohlefan | ||
Poß, Joachim | SPD | 1948 | Stv. SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag | Doppelspieler | Kohlelobbyist und Steinmeiers Stellvertreter | ||
Römer, Norbert | SPD | 1947 | SPD-Fraktionsvorsitzender in NRW | Doppelspieler | Ein Fraktionsvorsitzender in Aufsichtsräten der Kohlebranche | ||
Schmoldt, Hubertus | SPD | 1945 | Vorsitzender der IG BCE | Überzeugungstäter | Gewerkschaftsboss, E.ON-Aufsichtsrat, Regierungsberater | ||
Semmler, Jochen | CDU | Oberstadtdirektor in Mönchengladbach | Doppelspieler | Mönchengladbachs Oberstadtdirektor macht PR für RWE | |||
Tacke, Alfred | SPD | 1951 | Kohlekraftwerkserbauer | Seitenwechsler | Vom Staatssekretär zum Chef des Kohlekonzerns STEAG | ||
Tillich, Stanislaw | CDU | 1959 | Ministerpräsident Sachsen | Überzeugungstäter | Verantwortlich für die Umsiedelung sorbischer Dörfer | ||
Vassiliadis, Michael | SPD | 1964 | Vorsitzender der Gewerkschaft IG BCE | Überzeugungstäter | Ein Gewerkschafter für Kohle und gegen Erneuerbare | ||
Widder, Gerhard | SPD | 1940 | Oberbürgermeister in Mannheim | Überzeugungstäter | Mannheimer Oberbürgermeister baut Kohlekraftwerk |