Januar 2022

220104

ENERGIE-CHRONIK


 


Um die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes erfüllen zu können, müsste vor allem der seit 2018 rückläufige Zubau bei Windkraft an Land und auf See wieder in Gang kommen. Wie diese Angaben aus Habecks "Eröffnungsbilanz" erkennen lassen, soll der 2017 erreichte Höchststand bis 2024 wieder erreicht und anschließend bis 2030 weiter gesteigert werden, wobei ab 2028 nur die Offshore-Windparks für noch höhere Zuwächse sorgen.

Habeck legt "Eröffnungsbilanz" zur Beschleunigung der Energiewende vor

Der neue Bundesminister für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck (Grüne), hat am 11. Januar eine "Eröffnungsbilanz Klimaschutz" vorgelegt. Mit dieser Wortwahl grenzte er sich bewußt von der Vorgänger-Regierung ab, die unter dem Druck der Klimadiskussion zwar den Kohleausstieg beschloss (200701), es aber völlig versäumt hat, den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien entsprechend voranzutreiben. Das von der schwarz-roten Koalition im Juli 2021 neu gefasste Ziel eines Erneuerbaren-Anteils vom 65 Prozent am Bruttostromverbrauch bis 2035 unterschied sich kaum von den bisherigen Vorgaben und blieb damit weit hinter den Erfordernissen zurück (200707). Vor allem basierte es auf der realitätsfremden Annahme, dass der Stromverbrauch in diesem Jahrzehnt bei etwa 580 Terawattstunden stagnieren werde (200901). Nur mit Hilfe dieses Rechentricks gelang es der schwarz-roten Koalition, die unzureichenden Ausbauziele im EEG 2021 mit der in § 1 Abs. 2 angestrebten Erneuerbaren-Quote scheinbar in Übereinstimmung zu bringen (210702).

Tempo der Emissionsminderung muss viel schneller werden

Habeck hält es in dem 37 Seiten umfassenden Papier (siehe PDF) für völlig unmöglich, auf dieser unrealistischen Basis die Ziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen, das der Bundestag im Juni vorigen Jahres auf Verlangen des Bundesverfassungsgerichts nachgebessert hat (210602). Hierzu sei fast eine Verdreifachung der bisherigen Geschwindigkeit der Emissionsminderung erforderlich: Im letzten Jahrzehnt habe diese Minderung im Durchschnitt jährlich 15 Millionen Tonnen betragen. Stattdessen müssten die Emissionen fortan jährlich bis 2030 um 36 bis 41 Millionen Tonnen pro Jahr sinken. Andernfalls würden sich die jährlichen Zielverfehlungen schon bis dahin zu einem Defizit von mehr als einer Gigatonne CO2-Äquivalent addieren. Die in § 3 des Klimaschutzgesetzes enthaltene Vorgabe einer Emissionsminderung um 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 würde so um 15 Prozentpunkte verfehlt. Gleichfalls illusorisch würde das Erreichen der bis 2040 vorgesehenen Minderung um mindestens 88 Prozent sowie der bis 2045 geplanten "Netto-Treibausgasneutralität".

Anstieg des Stromverbrauch auf 715 Terawattstunden bis 2030 erwartet

Das mit Abstand wichtigste Instrument zum Erreichen der notwendigen Emissionsminderung sieht Habeck in einer entsprechenden Ausweitung des Erneuerbaren-Anteils an der Stromerzeugung. Diesen will er bereits bis 2030 auf 80 Prozent erhöhen. Zugleich veranschlagt er den bis dahin zu erwartenden Stromverbrauch mit etwa 715 Terawattstunden. Infolge dieser Erhöhung des Prozentanteils bei gleichzeitiger Anhebung der Bezugsgröße steigt der bis 2030 erforderliche Mehrbedarf um mehr als die Hälfte von bisher 377 auf 572 Terawattstunden. Gegenwärtig beträgt die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien knapp 240 TWh. Um die neue Zielmarke bis 2030 erreichen zu können, wäre deshalb eine Verdoppelung bis zum Zweieinhalbfachen des heutigen Erneuerbaren-Anteils an der Bruttostromerzeugung erforderlich.

Windstrom soll mehr als verdoppelt und Solarstrom mehr als verdreifacht werden

Eine der größten Herausforderungen bei dieser "Herkulesaufgabe" sieht Habeck in der Beschleunigung des Baues von Windkraftanlagen, der seit 2018 stark rückläufig ist (siehe Hintergrund, November 2019). Um hier voranzukommen, werde man das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, zwei Prozent der Landesflächen für WKA-Standorte zu reservieren, gesetzlich verankern. Bis 2030 sei eine installierte Leistung von über 100 GW Windenergie an Land nötig. Unter Berücksichtigung des Rückbaues älterer Anlagen bedeute dies mehr als eine Verdopplung der derzeit installierten Leistung. Bei Wind auf See – wo 2021 keine einzige neue Anlage entstand – werde man die Ausbauziele bereits für 2030 von 20 auf 30 GW erhöhen. Bis 2035 sollen 40 GW und bis 2045 mindestens 70 GW erreicht werden. Bei der Photovoltaik soll die installierte Leistung bis 2030 auf 200 GW steigen und damit mehr als verdreifacht werden.

Zwei Prozent der Landesfläche werden gesetzlich für Windenergie reserviert

Alle dafür notwendigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen sollen bis Ende 2022 abgeschlossen werden. Ein erstes Paket mit besonders eilbedürftigen Gesetzen und Vorhaben soll im Frühjahr vom Kabinett verabschiedet werden. Dazu gehört eine Novellierung des EEG, welche die Ausschreibungsmengen erhöht und gesetzlich verankert, dass der Erneuerbaren -Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient. Hinzu kommt ein "Solarbeschleunigungspaket", das unter anderm die Nutzung der Solarenergie bei gewerblichen Neubauten zur Pflicht und bei privaten Neubauten zur Regel macht. Ein spezielles Wind-an-Land-Gesetz soll "zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie reservieren, den Windenergieausbau mit dem Artenschutz versöhnen und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen". Weitere geplante Maßnahmen sind die völlige Abschaffung der EEG-Umlage ab 2023, die Einführung von sogenannten "Klimaschutzdifferenzverträgen" mit der Industrie, eine neue "Wärmestrategie", die Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes sowie Änderungen an der bisherigen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.


Bei der Photovoltaik soll die installierte Leistung bis 2030 auf 200 GW steigen und damit mehr als verdreifacht werden. Ab 2028 würde ein jährlicher Zuwachs an 20 Gigawatt Nennleistung erreicht, der die bisherigen Zuwachs-Rekorde der Jahre 2009 /2012 um das Zweieinhalbfache übertrifft.

 

Agora-Direktor Graichen kehrte in den Staatsdienst zurück...

Habeck präsentierte die "Eröffnungsbilanz" gemeinsam mit Patrick Graichen, der in seinem Ministerium seit Mitte Dezember als beamteteter Staatssekretär für Energie- und Klimapolitik zuständig ist. Graichen hat 2012 die Denkfabrik Agora Energiewende mitgegründet und seit 2014 geleitet. Zuvor war er vom 2001 bis 2012 unter den Ministern Trittin (Grüne), Gabriel (SPD) und Röttgen (CDU) im Bundesumweltministerium tätig – seit 2007 als Referatsleiter – und hatte sich ab Juni 2012 für seine neue Tätigkeit beurlauben lassen (180510). Ende November teilte Agora Energiewende mit, dass er unter der rot-grünen Bundesregierung in den Staatsdienst zurückkehren werde.

...und sein Vorgänger wurde neuer Chef der Kölner Rheinenergie

In seiner neuen Position löst Graichen den CDU-Mann Andreas Feicht ab, der 2019 von Habecks Vorgänger Altmaier als Ersatz für den Grünen Rainer Baake ausgesucht wurde (180304) und zuvor die Wuppertaler Stadtwerke leitete. Als politische Beamte können Staatssekretäre trotz ihrer privilegierten finanziellen Absicherung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Bei Feicht kam es dazu aber erst gar nicht, da er noch vor Jahresende von der Rheinenergie AG zum Nachfolger von Dieter Steinkamp bestellt wurde, der altersbedingt die Leitung des Kölner Kommunalkonzerns abgab.

Grünen-Politiker unterstützen Habeck als Staatssekretäre

Weitere personelle Unterstützung in anderen Bereichen seines Ressorts sicherte sich Habeck durch die Ernennung der Grünen-Politiker Anja Hajduk, Sven Giegold und Udo Philipp zu beamteten Staatssekretären. Hajduk war früher Umweltsenatorin in Hamburg und bis vor kurzem Bundestagsabgeordnete, Giegold sitzt seit 2009 im Europa-Parlament und Philipp war bisher Staatssekretär im Finanzministerium von Schleswig-Holstein. Ferner wurden die grünen Bundestagsabgeordeten Franziska Brantner, Michael Kellner und Oliver Krischer zu den drei Parlamentarischen Staatssekretären ernannt, die Habecks Ministerium laut Koalitionsvertrag zustehen. Für den Bereich Energie- und Klimapolitik ist Krischer zuständig. Parlamentarische Staatssekretäre erhalten außer ihren Abgeordneten-Diäten 75 Prozent der Bezüge eines Ministers, gelten aber wie diese nicht als Beamte.

 

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