Oktober 2019 |
191008 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bei negativen Strompreisen wird die mangelnde Elastizität der konventionellen Stromerzeugung besonders deutlich. Diese Grafik veranschaulicht, wie die Betreiber konventioneller Kraftwerke den Strom dann lieber verschenken oder sogar ein hohes Aufgeld für die Abnahme zahlen, anstatt die Produktion auf die netztechnisch erforderliche Mindesterzeugung (grüne Kurve) zu beschränken. Die Abbildung entstammt dem zweiten Bericht der Bundesnetzagentur über die Mindesterzeugung (S. 71) und zeigt einen der elf untersuchten Zeitabschnitte: Ende Oktober 2017 bewegte sich der Strompreis zwanzig Stunden lang ununterbrochen im negativen Bereich und sank bis auf minus 166,06 Euro pro Megawattstunde (die Original-Grafik wurde aus Darstellungsgründen leicht bearbeitet und um die grüne Kurve ergänzt). |
Netztechnisch ist die in Deutschland installierte konventionelle Kraftwerksleistung großteils entbehrlich. Dies ist die gute Botschaft aus dem zweiten Bericht zur Mindesterzeugung, den die Bundesnetzagentur am 7. Oktober veröffentlichte. Die schlechte lautet, dass es für die Kraftwerksbetreiber keine zwingenden Gründe gibt, die Stromerzeugung aus Kernenergie und fossilen Energieträgern zugunsten der Erneuerbaren zurückzufahren, wenn am Strom-Spotmarkt ein Überangebot besteht und deshalb die Preise unter die Erzeugungskosten sinken. Besonders deutlich wird dieses mangelnde Reaktionsvermögen bei Negativpreisen am Spotmarkt, wie sie beispielsweise in diesem Jahr über 19 Stunden hinweg für Stromlieferungen am Pfingstsonntag zu verzeichnen waren (190606).
Der "Bericht über die Mindesterzeugung" wurde 2016 mit dem sogenannten Strommarktgesetz (160604) neu eingeführt. Gemäß § 63, Absatz 3a des Energiewirtschaftsgesetzes hatte die Bundesnetzagentur den ersten Bericht bis 31. März 2016 und den zweiten bis 30. November 2019 vorzulegen. Anschließend ist er mindestens alle zwei Jahre zu erstellen.
Der nunmehr vorliegende zweite Bericht bestätigt im wesentlichen die Befunde des ersten, der fünf ausgewählte Stunden aus der zweiten Jahreshälfte 2015 untersuchte, in denen negative Preise bei einer hohen Einspeisung an Wind- oder Solarstrom auftraten (170404). Er beschränkt sich aber nicht auf einzelne Stunden, sondern untersucht insgesamt elf Perioden aus den Jahren 2016 bis 2018, in denen negative Day-Ahead-Börsenpreise auftraten. Diese Perioden umfassen 22 Tage und auch sogenannte Randstunden, in denen der Preis noch oder wieder positiv war (siehe Grafik). Die Bundesnetzagentur berücksichtigt damit die am ersten Bericht geübte Kritik, dass die Fokussierung auf eine Stunde die Fahrweise von Kraftwerken und damit deren Reaktion auf das Preissignal nur unzureichend abbilde.
Unter Mindesterzeugung versteht der Bericht diejenige konventionelle Kraftwerksleistung, die aus netztechnischen Gründen erforderlich ist. Dazu gehören insbesondere die abgerufene positive Redispatchleistung, die abgerufene positive Regelleistung, die vorgehaltene negative Regelleistung und die Besicherung der negativen Regelleistung. Davon unterschieden wird der deutlich größere konventionelle Erzeugungssockel, der aus anderen Gründen nicht oder nur eingeschränkt auf die Börsenstrompreise reagiert. Solche Gründe sind Kraftwerkstechnik, Wärmebelieferung, Erlöse aus KWK-Förderung, Eigenversorgung, Prozessbindung oder Erbringung von Besicherungsleistung zur Bilanzkreisbewirtschaftung.
Die gesamte preisunelastische Erzeugungsleistung unterschritt in den betrachteten Perioden mit negativen Day-Ahead-Preisen nie ein Niveau von ca. 18.400 MW und 24.300 MW. Die Energieträger Kernenergie, Braunkohle, Steinkohle und Erdgas hatten dabei einen Anteil von mindestens 71 bis 86 Prozent.
Die Befragung der Kraftwerksbetreiber ergab, dass die Kraft-Wärme-Kopplung der Hauptgrund war, negative Börsenpreise in Kauf zu nehmen. Rund die Hälfte verwies auf die notwendige Aufrechterhaltung der Wärmelieferung und drohende Einbußen aus der KWK-Förderung. KWK-Anlagen verhalten sich demnach bei negativen Preisen preisunelastischer als Kraftwerke, die keine Wärme auskoppeln können. Die KWK-Betreiber gaben zu 48 Prozent an, ihr Kraftwerk auch bei einem Preis von minus 100 Euro/MWh "nie" herunterzufahren. Bei Kraftwerken ohne Wärmeauskopplung waren dies 26 Prozent. Als zweithäufigster Grund, weshalb die Kraftwerke trotz negativer Preise weiterliefen, wurde in nahezu allen betrachteten Perioden die Eigenerzeugung genannt.
Wie die Bundesnetzagentur dazu bemerkt, darf nach den aktuell geltenden Regelungen zur Umsetzung des Einspeisevorrangs die mit einer Wärmeproduktion gekoppelte Erzeugung von KWK-Strom erst im Rahmen des "Einspeisemanagements" und somit nachrangig zu konventionellem Redispatch eingeschränkt werden (der ungekoppelte Kondensationsstrom genießt hingegen keinen Einspeisevorrang). Der Großteil des KWK-Stroms hat nach derzeit (noch) geltender Rechtslage den Vorteil eines zum Erneuerbaren-Strom gleichrangigen Einspeisevorrangs (§ 3 Abs. 2 KWKG), was dazu beiträgt, dass konventionelle Erzeugung im Fall einer Wärmekopplung häufig weiterläuft, obgleich Erneuerbaren-Strom mit höheren Engpasssensitivitäten per Einspeisemanagement abgeregelt wird.
Der Anteil der Mindesterzeugung an der gesamten preisunelastischen Erzeugungsleistung lag in den Stunden mit dem negativsten Börsenstrompreis zwischen 20 und 34 Prozent. Die Vorhaltung negativer Regelleistung durch konventionelle Kraftwerke hatte dabei mit Abstand den größten Anteil, gefolgt von der Besicherung von Kraftwerksausfällen und der Erbringung von positivem Redispatch. "Dieser Anteil könnte sich verringern, wenn mehr EE-Anlagen am Regelenergiemarkt teilnehmen", bemerkt dazu die Bundesnetzagentur. "So können technisch und regulatorisch auch Windkraftanlagenpools einen signifikanten Beitrag zur Bereitstellung negativer Regelleistung in Deutschland leisten. Praktisch entscheiden sich aber die Betreiber und Direktvermarkter kaum für eine Teilnahme am Regelenergiemarkt."