Oktober 2018 |
181015 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der RWE-Stromvertrieb Eprimo hat seine Stellung als Grundversorger in der Stadt Rüsselsheim verloren. Ab 2019 werden die Stadtwerke Rüsselsheim diese Rolle übernehmen. Diese sind erst seit acht Jahren auch als Stromanbieter tätig. In dieser Zeit konnten sie aber die Anzahl ihrer Kunden so vermehren, dass sie zum Stichtag 1. Juli 2018 mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent vor der Eprimo GmbH lagen.
Die kleinen Stadtwerke Rüsselsheim haben sich damit erfolgreich in einem Geschäftsbereich behauptet, in dem sie bei Null anfangen mußten. Wie schwierig das ist, erleben derzeit die Stadtwerke Mainz, die um ein Vielfaches größer sind. Diese mußten 2016 ebenfalls bei Null anfangen, nachdem sie 2010 ihre Anteile an der gemeinsamen Vertriebstochter "entega" der Darmstädter HSE überlassen hatten (161014). Als die Lokalpresse unlängst nachfragte, wie es um die Marktanteile bei den Strom- und Gaskunden bestellt sei, nannten die Stadtwerke eine Kundenzahl "im guten vierstelligen Bereich". Was wohl heißen soll: Deutlich weniger als zehntausend. Die Entega gab dagegen 81.000 Strom- und 23.000 Gaskunden an. Ihre Stellung als Grundversorger dürfte demnach in in Mainz auf lange Zeit noch nicht gefährdet sein.
Nach § 36 des Energiewirtschaftsgesetzes gilt als Grundversorger, wer in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung die meisten Haushaltskunden beliefert. Seit 2006 müssen die mehr als 800 Verteilnetzbetreiber im Niederspannungsbereich alle drei Jahre prüfen, auf welchen ihrer Kunden dieses Kriterium zum 1. Juli zutrifft. In der Regel sind dabei Verteilnetzbetreiber und Grundversorger insoweit noch immer identisch, als es sich bei beiden um die Nachfolger eines ehemals integrierten kommunalen Versorgers handelt, dessen Netz- und Vertriebsgeschäft inzwischen rechtlich eigenständige Gesellschaften bilden oder zumindest buchhalterisch getrennt worden sind.
In Rüsselsheim verhielt es sich ein bißchen anders: Hier waren die
Stadtwerke bis 2011 nur in den Bereichen Gas, Wasser und Verkehr tätig.
Die Stromversorgung überließen sie dem Überlandwerk Groß-Gerau (ÜWG),
das jeweils zur Hälfte den Stadtwerken Mainz und RWE gehörte. Erst 2008
nutzten die Stadtverordneten das Auslaufen des Konzessionsvertrags, um
den Betrieb des Stromnetzes den Stadtwerken zu übertragen. Es dauerte
dann noch bis März 2011, bis diese auch Stromanbieter wurden.
Schärfster Konkurrent war dabei der Stromvertrieb der ÜWG, der auch in
Rüsselsheim weiterhin der Platzhirsch blieb und seit 2005 Eprimo GmbH
hieß.
Ein Grund für diese Umbenennung und rechtliche Verselbständigung des
ÜWG-Stromvertriebs könnte gewesen sein, dass er als bundesweiter
Stromanbieter inzwischen mehr als hunderttausend Kunden gewinnen
konnte. Damit war jene Grenze überschritten, ab der eine bloß
buchhalterische Trennung der Geschäftsbereiche Netz und Vertrieb nicht
mehr ausreichte. Allerdings bezog sich diese neue Vorschrift des
Energiewirtschaftsgesetzes, die 2005 eingeführt wurde, nur auf die
Anzahl der Kunden im eigenen Verteilnetz. Insofern wäre eine rechtliche
Verselbständigung des ÜWG-Stromvertriebs nicht notwendig gewesen.
Bald löste sich Eprimo noch mehr von den lokalen Wurzeln. Im Jahr 2007 übernahm RWE das bisherige ÜWG-Vertriebsunternehmen komplett, während die Stadtwerke Mainz im Gegenzug das ÜWG-Netz bekamen. Aus Eprimo wurde nun die Antwort des RWE-Konzerns auf den soeben gestarteten E.ON-Energievertrieb "e wie einfach" (070201). Diese E.ON-Gründung zielte hauptsächlich auf die Masse der Stadtwerke-Kunden, die weiterhin mit der relativ teuren Grundversorgung vorlieb nahm, anstatt einen günstigeren "Sondertarif" zu wählen. Aber auch RWE fühlte sich herausgefordert und suchte nach einem geeigneten Online-Vertrieb, um seine bröckelnde Spitzenposition bei den Niederspannungs-Kunden zu behaupten. Der neuen Konzerntochter Eprimo fiel nun die Aufgabe zu, die nach Hunderttausenden zählenden Kundenverluste im herkömmlichen Vertriebsgeschäft zu kompensieren (080505). Die Werber bedienten sich dabei von Anfang an auch ziemlich unsauberer Praktiken (160916, 160811, 130113, 101008, 080505). Die rabiaten Geschäftsmethoden des Unternehmens führte sogar zu einem Aufsichtsverfahren der Bundesnetzagentur, die Eprimo ein "grundsätzliches Mißverständnis wesentlicher energiewirtschaftlicher Vorgaben" bescheinigte (180407).
Eprimo kann es sicher verschmerzen, in Rüsselsheim kein Grundversorger mehr zu sein. Immerhin behält das Online-Unternehmen in neun Gemeinden des Landkreises Groß-Gerau weiterhin dieses Status (während in Groß-Gerau selbst die Grundversorgung immer bei den Stadtwerken blieb). Vielleicht ist man sogar froh, die ungeliebten Problemkunden aus der Grund- und Ersatzversorgung wenigstens zum Teil losgeworden zu sein. Bei dem erwähnten Aufsichtsverfahren ging es nämlich um deren unerlaubte Abschiebung auf den Netzbetreiber. Angestoßen wurde dieses Verfahren übrigens von den Stadtwerken Mainz, denen Eprimo bis 2007 zur Hälfte gehörte hatte und die nun als Eigentümer der ÜWG Netz gegen die einstige Halbtochter klagten.
Zu einer gewaltigen Herausforderung – bis hin zur Überlebensfrage – wird für Eprimo hingegen die Aufteilung des Energiemarktes, die RWE und E.ON im März dieses Jahres vereinbart haben (180301). Der Online-Vertrieb gehört seit 2016 zur kurzlebigen RWE-Tochter Innogy, und zwar zu jenen Bestandteilen, die sich bis Ende 2019 der E.ON-Konzern einverleiben darf. Wird E.ON sich aber den Luxus von zwei ähnlich gearteten Stromvertrieben leisten? Wie groß sind die Chancen, bei dem Konkurrenten "e wie einfach" unterzukommen, gegen den Eprimo vor zwölf Jahren angetreten war? – Solche Fragen dürften in diesen Tagen vielen Eprimo-Mitarbeitern durch den Kopf gehen, die der Aufteilungsbeschluss der beiden Konzernvorstände kalt erwischt hat.