Januar 2018 |
180101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundesnetzagentur hat die technisch möglichen Höchstpreise für Regelenergie auf ein Zehntel gekürzt. Wie die sechste Beschlußkammer der Behörde am 2. Januar mitteilte, wurden die Übertragungsnetzbetreiber angewiesen, ihre jeweiligen Ausschreibungsplattformen für Gebote zur Sekundär- und Tertiärregelung entsprechend zu verändern. Bisher lag der technische zulässige Arbeitspreis, den die Anbieter in die Merit-Order-Server einspeisen konnten, in beiden Fällen bei 99.999 Euro pro Megawattstunde. Nunmehr können nur noch solche Angebote auf die Merit-Order-Liste gelangen, deren Arbeitspreis maximal 9.999 Euro/MWh beträgt. Dieselbe Obergrenze gilt schon bisher für den Stromhandel am Intra-Day-Markt.
Die Behörde reagierte damit auf verschiedene Versuche, das bisherige System der Ausschreibungen in einer quasi betrügerischen Weise auszunutzen, die strafrechtlich jedoch nicht faßbar ist (171201). Das bisher geltende Prozedere läßt es nämlich zu, die technischen Grenzen der elektronischen Ausschreibungsplattformen bis zum Anschlag ausreizen. Die Anbieter von Regelenergie können auch reine Phantasiepreise einspeisen, die hundert- und tausendfach über dem tatsächlichen Marktwert liegen. Dabei kommt ihnen zustatten, dass die Gebote zunächst nach dem Leistungpreis sortiert werden. Bei Verzicht auf einen Leistungspreis haben deshalb auch irrwitzig hohe Arbeitspreise eine Chance, auf die Merit-Order-Liste zu gelangen. Die automatische Aktivierung der Wucher-Angebote setzt dann nur noch voraus, daß die Liste relativ wenig andere Anbieter mit günstigeren Arbeitspreisen enthält bzw. ein besonders hoher Bedarf an Regelenergie besteht.
Am 17. Oktober hatte deshalb der Preis für die Minutenreserve, die von den Übertragungsnetzbetreibern für die Tertiärregelung benötigt wird, kurzfristig eine Höhe von bis zu 24.455 Euro pro Megawattstunde (MWh) erreicht. Das war mehr als dreihundert Mal soviel wie der Preis, den eine Megawattstunde zur selben Zeit in der Day-Ahead-Auktion und im Intraday-Markt kostete. Ursache war eine korrumpierte Merit-Order-Liste für die Zeitscheibe zwischen 16 und 20 Uhr: Bei vollständiger Abarbeitung hätte sie den Preis von 72,30 Euro auf 99.999 Euro explodieren lassen. Ganz so weit kam es nicht. Immerhin wurde aber ein erheblicher Teil von insgesamt 125 Angeboten aktiviert, die jeweils 77.777 Euro/MWh kosteten und die anstandlos auf die Merit-Order-Liste gelangt waren, weil sie innerhalb des technisch möglichen Arbeitspreises blieben (siehe Hintergrund, Dezember 2017).
"Ein erneuter sehr teurer Abruf von Regelarbeit kann auf Basis der vorliegenden Informationen nicht ausgeschlossen werden", begründete die Bundesnetzagentur ihre Entscheidung. "Dies gilt für die Sekundärregelleistung und die Minutenreserve gleichermaßen. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass in einigen Fällen über 24 Prozent des Bedarfs zu Preisen über 10.000 Euro/MWh bezuschlagt wurden. Knappheitssituationen, die diese sehr teuren Gebote begründen könnten, sind für die Beschlusskammer nicht ersichtlich."
Nach Auffassung der Beschlusskammer ist es "vor dem Hintergrund der dadurch erneut möglichen massiven Auswirkungen auf den Ausgleichsenergiepreis geboten, alle Möglichkeiten zu nutzen, die geeignet sind, ein nochmaliges Auftreten der teuren Arbeitspreise potenziell zu verhindern". Einen erheblichen Beitrag hierzu leiste die Harmonisierung der technisch zulässigen Arbeitspreise für die Sekundärregelleistung und die Minutenreserve mit den Strommärkten. Im Intraday-Markt mit Lieferung in eine der deutschen Regelzonen (kontinuierlicher Handel) seien Gebote bis 9.999 Euro/MWh erlaubt. Die Europäische Energieagentur ACER habe am 14. November 2017 einen solchen Höchstpreis für die einheitliche Intraday-Marktkopplung bestätigt. Insofern halte auch die Bundesnetzagentur "zunächst eine Harmonisierung der technisch zulässigen Regelarbeitspreise mit den Preisen am Intraday-Markt für sachgerecht und geboten".
Allerdings liegen auch 9.999 Euro/MWh weit über dem Durchschnittspreis für Regelenergie, der beispielsweise für positive Minutenreserve rund 50 Euro/MWh beträgt. Damit bleibt es grundsätzlich weiterhin möglich, daß durch einen Mangel an miteinander konkurrierenden Anbietern oder kartellähnliche Absprachen überhöhte Preise zustande kommen. Es müßte deshalb vor allem die bisherige Regelung reformiert werden, derzufolge die Aufnahme der Gebote in die Merit-Order-Liste zuerst nach dem Leistungspreis und anschließend nach dem Arbeitspreis erfolgt. Dies kann nämlich dazu führen, daß die Liste nur noch aus Angeboten besteht, die völlig auf den Leistungspreis verzichten, aber teilweise irrwitzige Arbeitspreise verlangen. So war es auch am 17. Oktober.
Der Verband Deutscher Energiehändler (EFET Deutschland) kritisierte die Entscheidung der Bundesnetzagentur insofern zu Recht. "Ohne vorherige Konsultation oder Vorwarnung eine Preisobergrenze festzulegen, wird das Problem der falsch konstruierten Zuschlagsregel nicht lösen", erklärte der Verbandsvorsitzende Jörg-Stefan Göbel (Statkraft) am 22. Januar. Stattdessen müsse das Marktdesign so angepaßt werden, dass ein funktionierender Wettbewerb zustande kommt. Zudem sei die Einführung von Obergrenzen grundsätzlich abzulehnen. Sie verstoße auch gegen die vorgesehene Neufassung des EU-Rechts, wie sie die EU-Kommission mit dem "Clean Energy Package" (161207) Ende 2016 vorgeschlagen hat.
Der zuletzt genannte Argument kann allerdings nicht überzeugen, sondern würde nur die Bedenken gegenüber dem sintflutartig angeschwollenen "Winterpaket" der Kommission bestätigen. Weshalb sollen im Energiehandel keine technischen Preisgrenzen zulässig sein, die weit außerhalb des normalen Marktgeschehens liegen und dieses in keiner Weise behindern? Das neue Limit von 9.999 Euro/MWh ist zwar sicher kein ausreichender Ersatz für ein besseres Ausschreibungsverfahren. Es verhindert aber mit sofortiger Wirkung die Wiederholung von derart extremen Wucherpreisen wie am 17. Oktober. Aus der Mitteilung der Bundesnetzagentur geht außerdem hervor, daß es sich nur um eine erste Maßnahme handelt, der weitere Schritte folgen sollen.
Zu Wort meldete sich auch der Stromhändler "Next Kraftwerke", der die Direktvermarktung für Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien besorgt: "Keine Frage - bei der Bestimmung der Arbeitspreise für Regelenergie sind einigen Akteuren im vergangenen Jahr immer wieder die Pferde durchgegangen", erklärte der zuständige Bereichsleiter Johannes Päffgen via "energate" (9.1.) – gerade so, als ob die Jockeis ihre Pferde nicht durchaus zielstrebig in den Sumpf der Wucherpreise geritten hätten. Päffgen hatte aber auch einen Schuldigen anzubieten: Die Wurzel des Übels sei, daß "konventionelle Überkapazitäten nicht nur die Klimaziele blockieren, sondern auch die Merit Order an den Leistungsmärkten". Deshalb müsse man nun möglichst schnell konventionelle Überkapazitäten abbauen. Als Alternative schlug er "die Einführung einer langfristigen Leistungsausschreibung bei gleichzeitigem Zulassen von kurzfristigen Regelarbeitsgeboten, sogenannten Free Bids" vor.