Februar 2012

120202

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Sowohl für Deutschland als auch für Frankreich lag der Strompreis Ende Januar noch bei 50 Euro/MWh, mit relativ geringen Schwankungsbreiten zwischen "base" (Stunde 1 - 24) und "peak" (Stunde 9 - 20). Infolge des Kälteeinbruchs bewegten sich dann beide Indexe nach oben. Im Handelsgebiet Frankreich war der Anstieg besonders drastisch: Am 9. Februar explodierte hier der Preis sogar auf 627,6 Euro/MWh (peak) und 376,6 Euro/MWh (base). In Deutschland hatten die Preisspitzen eine wesentlich geringere Ausprägung. Immerhin kletterte aber auch hier der Peak-Index an zwei Tagen auf über 100 Euro/MWh. Bei einem solchen Strompreisniveau wurde es für die Händler interessant, mehr Strom zu verkaufen als sie tatsächlich lieferten. Denn die Regelenergie, die ihnen von den Netzbetreibern für den Ausgleich von Abweichungen zwischen Ein- und Ausspeisung in Rechnung gestellt wird, war nun nicht mehr besonders teuer, sondern sogar billiger.

Stromhändler riskierten Stromausfall durch Mißbrauch von Regelenergie

Die deutsche Stromversorgung konnte trotz der Kältewelle in der ersten Hälfte des Monats Februar ohne spürbare Beeinträchtigungen aufrechterhalten werden. Allerdings war das Polster sehr knapp und bei der Regelenergie zeitweise gar nicht vorhanden. Erstmals mußten die Reserve-Kraftwerke eingesetzt werden, die im Sommer von der Bundesnetzagentur ausgewählt worden waren, um einem großflächigen Stromausfall infolge der Stillegung von insgesamt acht Kernkraftwerken vorzubeugen (110815). Trotz dieser zusätzlichen Kraftwerkskapazitäten wäre es aber fast doch zu einem Stromausfall gekommen, weil Stromhändler das zur Verfügung stehende Reservoir an Regelenergie für Arbitrage-Geschäfte ausschöpften. Um das dadurch verursachte Defizit zwischen Ein- und Ausspeisung auszugleichen, mußten die Netzbetreiber außergewöhnlich viel "Ausgleichsenergie" aufwenden. Dies ging zu Lasten der normalen Regelenergie, die zeitweise völlig aufgezehrt wurde und bei einer Netzstörung nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte.

Ausgleichsenergie war zeitweilig billiger als Börsenstrom zu haben


In Frankreich bewirkte die Kälte wieder einen Rekordverbrauch, der nur mit Importen gedeckt werden konnte. Für die Stunde 10-11 am 9. Februar stieg der Strompreis sogar auf 1938,5 Euro/MWh (rote Kurve). Im Marktgebiet Deutschland-Österreich wurden die höchsten Notierungen für den 8. Februar verzeichnet (blaue Kurve). Mit bis zu 210 Euro/MWh waren sie auch recht happig, obwohl sie im Vergleich mit der roten Kurve geradezu bescheiden wirken.

Der Mißbrauch der Regelenergie für Arbitrage-Geschäfte war allerdings nicht strafbar. Die Stromhändler verhielten sich lediglich "marktkonform", wenn sie zugunsten ihrer Profite einen Stromausfall riskierten. Sie nutzten die günstige Situation für ein "Schnäppchen", das im umfangreichen und unübersichtlichen Regelwerk des liberalisierten Strommarktes zwar nicht vorgesehen, aber bisher auch nicht unterbunden worden ist.

Normalerweise gibt es für die Stromhändler keinen Anreiz, mehr Regelenergie in Anspruch zu nehmen, als für den Ausgleich der unvermeidbaren Ungleichgewichte zwischen Ein- und Ausspeisung erforderlich ist. Im Gegenteil: Die "Ausgleichsenergie", die ihnen dafür von den Netzbetreibern in Rechnung gestellt wird, ist ungefähr doppelt so teuer wie der Großhandelspreis.

Anfang Februar stiegen die Strompreise am deutschen Spotmarkt jedoch häufig auf über 100 Euro pro Megawattstunde. Sie überschritten damit den Preis für Ausgleichsenergie. Am 10. und 13. Februar lag sogar der "peak"-Index über dieser Marke. Die höchste Notierung wurde für den 8. Februar zwischen 9 und 10 Uhr im Intraday-Handel mit 380 Euro/MWh verzeichnet. Wer zu diesen Preisen mit Strom handelte, brauchte die Rechnung des Netzbetreibers für Mindereinspeisung nicht mehr zu scheuen. Er konnte sogar gewinnen, je höher die Diskrepanz wurde. Denn schließlich war die Ausgleichsenergie billiger.

Die Ausgleichsenergie muß nicht unbedingt billiger sein, um als Instrument für Arbitrage-Geschäfte zu dienen: Ein spekulativer Anreiz ist bereits gegeben, wenn der Händler bis zum Liefertermin mit einem Sinken der Preise rechnet. Er deckt sich dann nur zum Teil mit den benötigten Strommengen ein, um den Rest zu einem günstigeren Preis einzukaufen. Falls sein Kalkül nicht aufgeht, nimmt er eben mehr Ausgleichsenergie in Anspruch.

Die Regelenergie in Form der "Ausgleichsenergie" dient deshalb schon seit Jahren nicht nur dem Ausgleich der technisch unvermeidbaren Mengen-Differenzen zwischen Ein- und Ausspeisung, sondern zugleich als Mittel, um Preisdifferenzen zu nutzen. Neu ist lediglich, daß diese Arbitrage-Geschäfte jetzt in einer besonders kritischen Situation erfolgten und damit das deutsche Stromnetz an den Rand des Zusammenbruchs brachten.

Bundesnetzagentur darf jetzt besondere "Preisbildungsmechanismen" für Ausgleichsenergie festlegen

Die Bundesnetzagentur reagierte am 13. Februar mit einem Brief an die rund 900 "Bilanzkreisverantwortlichen". Dabei handelt es sich um Stromhändler, Erzeuger oder Einkäufer der Verteilerunternehmen, die nach § 4 StromNZV "für eine ausgeglichene Bilanz zwischen Einspeisungen und Entnahmen in einem Bilanzkreis in jeder Viertelstunde" zu sorgen haben und "die wirtschaftliche Verantwortung für Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen eines Bilanzkreises" übernehmen. Die Behörde beanstandete in ihrem Rundschreiben "erhebliche, über mehrere Stunden andauernde Unterdeckungen", die ab dem 6. Februar zu unterschiedlichen Tageszeiten aufgetreten seien. Sie drohte den Bilanzkreisverantwortlichen mit einem "behördlichen Aufsichtsverfahren" bei nachweislichem Fehlverhalten.

In einer Krisensitzung der Behörde mit dem Bundeswirtschaftsministerium wurde dann offenbar beschlossen, in die ohnehin anstehende "Verordnung zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts" schnell auch noch Vorkehrungen gegen den Mißbrauch der Regelenergie für Arbitrage-Geschäfte aufzunehmen: Die Verordnung, die das Kabinett am 15. Februar beschloß, ermächtigt die Bundesnetzagentur nun auch zur Festsetzung besonderer "Preisbildungsmechanismen für Ausgleichsenergiepreise". Außerdem wird den Bilanzkreisverantwortlichen eine erhöhte Sorgfaltspflicht abverlangt (120208). Die Bundesnetzagentur wird nun konkret festlegen müssen, wie sich der Mißbrauch der Regelenergie verhindern läßt. Eine Lösung wäre zum Beispiel, die Regelenergie mindestens so teuer zu machen wie Börsenstrom.

Reservekraftwerke traten erstmals in Aktion

Das Hoch, das die Kälte brachte, sorgte zugleich für strahlend blauen Himmel. Deshalb konnte der Solarstrom einen deutlichen Beitrag zur Stabilisierung des deutschen Netzes leisten, zumal er in jener Zeit anfällt, in der der Verbrauch am größten ist (120204). Dennoch wurde in Süddeutschland die Lage zeitweise so kritisch, daß die Bundesnetzagentur erstmals die Inbetriebnahme von einigen der dafür vorgesehenen Reserve-Kraftwerke anordnete (110815). Dem Vernehmen nach handelte es sich um Gaskraftwerke in Österreich und um den Kohleblock 3 in Mannheim.

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