Dezember 2016 |
161207 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission hat am 30. November ein "Winterpaket" zur künftigen europäischen Klima- und Energiepolitik vorgelegt. Es handelt sich um vier Richtlinien und vier Verordnungen, die insgesamt mehr als tausend Seiten umfassen (siehe Links extern). Dazu gehören ein Vorschlag für eine Koordinierung der nationalen Energiepolitiken durch abgestimmte nationale Klima- und Energiepläne (sog. Governance-Verordnung), eine neue Energieeffizienzrichtlinie, die Weiterentwicklung der Gebäuderichtlinie, eine neue Erneuerbaren-Richtlinie und ein neues europäisches Strommarktdesign. Die Kommissionsvorschläge werden nun im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat der EU-Mitgliedstaaten diskutiert. Der Gesetzgebungsprozess soll bis zu den im Mai 2019 stattfindenden Europa-Wahlen abgeschlossen sein.
Das Paket soll sowohl die Beschlüsse des Europäischen Rats vom Oktober 2014 (141019) als auch die der Pariser Klimakonferenz vom Dezember 2015 (151209) umsetzen. Zugleich soll es dafür sorgen, "daß die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union trotz der Veränderungen, die sich durch den Übergang zu umweltfreundlicher Energie für die globalen Energiemärkte ergeben werden, erhalten bleibt". In der Praxis sieht das allerdings so aus, daß der Einspeisungsvorrang für Strom aus erneuerbaren Energien, wie er bisher in Deutschland gilt, für neue Anlagen ganz abgeschafft und nur noch Kleinanlagen gewährt würde. Die daraus sich ergebende Begünstigung von Kohle- und Kernkraftwerken würde durch die geplante Förderung von "Kapazitätsmärkten" noch verstärkt.
Die Umweltorganisation Greenpeace sieht "frostige Zeiten fürs Klima" voraus, falls die EU-Vorschläge verwirklicht werden. Das Paket klinge wie die Wunschliste der Kohleindustrie: Der Ausbau der Erneuerbaren solle erschwert, bewährte Fördermechanismen verboten und Kohlekraftwerke künftig subventioniert werden, auch wenn sie gar keinen Strom mehr liefern. "Das Paket legt die deutsche Energiewende in Ketten und tritt das Pariser Klimaabkommen mit Füßen", meinte der Greenpeace-Energieexperte Niklas Schinerl.
Für die Grünen vermittelt das Winterpaket den Eindruck, als ob die für Energie und Klima zuständigen Kommissare Sefkovic und Canete "die Zeit zurückdrehen und die Energiewende rückabwickeln" wollten. Die Kommission versäume mit ihren Entwürfen, die klima- und energiepolitisch völlig unzureichenden Vorgaben der Staats- und Regierungschefs von 2014 zu korrigieren, erklärten die beiden Parteisprecherinnen für Klima- und Energiepolitik, Annalena Baerbock und Julia Verlinden. Noch schlimmer sei die Absicht, den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien zu deckeln und so für Vorfahrt von Kohle und Atom zu sorgen.
"Die Vorschläge sind nicht geeignet, das Klimaabkommen von Paris umzusetzen und das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen", meinte auch Cornelia Ernst als energiepolitische Sprecherin der deutschen Linke-Abgeordneten im Europaparlament: "Es sind keine bindenden nationalen Ausbauziele für die Erneuerbaren vorgesehen, hier macht der überarbeitete Richtlinienentwurf sogar einen Rückschritt gegenüber der aktuellen Gesetzeslage. Das anvisierte EU-Ziel für den Ausbau der Erneuerbaren verbleibt weiterhin bei unzureichenden 27 Prozent."
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) lobte die Kommission dafür, daß sie mit ihren Vorschlägen die "deutsche Richtungsentscheidung" aufgegriffen habe, die mit dem sogenannten Strommarktgesetz (160604) getroffen worden sei. Sie stelle so die Weichen in Richtung mehr Flexibilität und freier Preisbildung als Impulsgeber für Innovation und Investition. Dennoch äußerte auch Gabriel Vorbehalte. "Der Vorschlag für die Erneuerbaren-Richtlinie verpaßt die Chance, konkrete Rahmenvorgaben für die nationalen Fördersysteme zu setzen", monierte er. "Mit einem Flickenteppich aus Einzelfallgenehmigungen werden wir nicht zur Nummer Eins im internationalen Rennen um die Arbeitsplätze von morgen." Auch dürfe man nicht solche Fragen, die bei der Umsetzung der Energieunion von zentraler politischer Relevanz seien, auf die technische Ebene in sogenannte Network-Codes oder in Leitlinien des Wettbewerbsrechts verlagern. Die Energieunion sei das zentrale politisches Vorhaben der EU. Deshalb müsse über sie im Rat und im Europäischen Parlament offen diskutiert und politisch entschieden werden.
Der Chef des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der frühere FDP-Politiker Stefan Kapferer (160115), lobte dagegen die Vorschläge der Europäischen Kommission als "logischen Schritt auf dem Weg zu einem funktionierenden EU-Energiebinnenmarkt". Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach von einem "überfälligen Zeichen gegen nationale energiepolitische Alleingänge". Allerdings hätte sich der BDI noch mehr Abstriche an den Ausgaben zur Förderung der erneuerbaren Energien gewünscht.
Der "legislative Tsunami", wie eine Sprecherin des Deutschen Naturschutzrings die mehr als tausend Seiten füllenden Gesetzgebungsvorschläge bezeichnete, kommt wieder mal ausschließlich in englischer Sprache daher, obwohl Englisch nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU nur noch für die 4,6 Millionen irischen EU-Bürger Amtssprache sein wird. Die Textflut wäre aber auch in deutscher Fassung nur schwer verständlich. Die dazu verfaßten Erläuterungen gibt es auch in anderen Sprachen. Sie sind indessen wenig konzis und deshalb wenig hilfreich. Zum Teil wirkt es sogar nur phrasenhaft und propagandistisch, wie die Kommission "saubere Energie für alle Europäer" verspricht.
Zur Verbesserung des unbefriedigenden Informationsstandes lud die Initiative "Agora Energiewende" für den 12. Dezember zu einem Gespräch nach Berlin ein, bei dem sie Schwerpunkte und Auswirkungen der Vorschläge erläuterte. Nach ihrer Ansicht müßte das Gesetzespaket von einer Reform des EU-Emissionshandels und einem Abbau von Überkapazitäten begleitet werden. Derzeit gebe es in den meisten Mitgliedsstaaten noch zu viele fossil befeuerte Kraftwerke. Dies konterkariere die Erreichung der geplanten Ziele zum Ausbau der Erneuerbaren, zur Energieeffizienz und zum Klimaschutz. "Wir sehen enorme und weiter wachsende Zertifikatsüberschüsse im europäischen Emissionshandel bis 2030; ohne erhebliche Reformen gibt es keine Investitionsanreize in CO2-neutrale Technologien", erklärte Matthias Buck, der bei der Initiative für Europäische Energiepolitik zuständig ist. Die Abschaffung des Einspeisungsvorrangs für neue EE-Anlagen sei dagegen kein grundsätzliches Hemmnis für den weiteren Ausbau der regenerativen Stromerzeugung, sofern sie mit detaillierten Vorgaben für die stufenweise Abregelung verbunden werde.
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