September 2016 |
160908 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Steag-Kraftwerk Voerde werden ausgerechnet die beiden moderneren Blöcke A und B bis Frühjahr 2017 stillgelegt. Durchgesetzt hat das der Miteigentümer RWE. Er wäre sonst zur kompletten Abnahme des erzeugten Stroms verpflichtet und müßte dafür einen Preis bezahlen, der wegen des Verfalls der Großhandelspreise über dem Marktniveau liegt. Foto: Daniel Ullrich
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Um seine desolate Ertragslage zu verbessern, will der Steinkohleverstromer Steag bis zu tausend Stellen abbauen, unrentable Kraftwerke stillegen und einzelne Unternehmensteile verkaufen. Im übrigen setzt er auf neue Geschäftsfelder außerhalb des Stammgeschäfts mit der Steinkohleverstromung, zum Beispiel als Energievermarkter, Energiedienstleister und Anbieter für den Rückbau von Nuklearanlagen. Dies ergibt sich aus dem "Projekt Steag 2022", das die Unternehmensleitung am 12. September verkündete.
Die Steag beschäftigt derzeit etwa 5.000 Mitarbeiter, davon etwa 3.500 in Deutschland. In der offiziellen Steag-Mitteilung heißt es lediglich, daß man "mehrere hundert Arbeitsplätze abbauen müsse". Auf Nachfrage von Pressevertretern räumte Steag-Chef Joachim Rumstadt aber ein, daß die derzeitigen Planungen den Abbau von 800 bis 1.000 Arbeitsplätzen vorsähen.
Die Steag ist der fünftgrößte Stromerzeuger Deutschlands. Im Inland betreibt sie neun Steinkohlekraftwerke an Rhein und Ruhr (Bergkamen, Herne, Lünen, Voerde, Walsum), im Saarland (Bexbach, Völklingen, Weiher) und in Sachsen-Anhalt (Raffinerie-Heizkraftwerk Leuna). Ferner besitzt sie drei Steinkohlekraftwerke in Kolumbien, der Türkei und auf den Philippinen. Sie gehört seit sechs Jahren den Städten Dortmund, Essen, Bochum, Oberhausen, Duisburg und Dinslaken, die sie Ende 2010 erst mehrheitlich (101203) und vier Jahre später komplett übernommen haben (140814). Wichtigster Eigentümer ist die Stadt Dortmund, die über zwei kommunale Unternehmen insgesamt 36 Prozent an der Beteiligungsgesellschaft KSBG hält.
Wegen der Verschlechterung der Marktbedingungen haben sich die anfänglichen Renditeerwartungen der kommunalen Käufer nicht erfüllt (130110). Zur Zeit können sie mit keinerlei Einnahmen aus diesem Investment rechnen. Und auch für die nächsten Jahre ist nicht mit Dividenden zu rechnen. Die Städte Duisburg, Essen und Oberhausen leiden hinzu unter der gestrichenen Dividende des RWE-Konzerns, an dem sie als Aktionäre beteiligt sind (160205). Für Dortmund und Bochum ergeben sich erhebliche zusätzliche Belastungen durch die mißglückte Beteiligung am Gemeinschaftskraftwerk Steinkohle (GEKKO) des RWE-Konzerns in Hamm (151202).
"Die Rahmenbedingungen für die Stromerzeugung in konventionellen Großkraftwerken haben sich durch die energiepolitische Neuausrichtung in Deutschland substanziell und nachhaltig geändert", heißt es in der Steag-Verlautbarung. "Die vorrangige Behandlung der Erneuerbaren Energien löst Mengen- und Preiseffekte aus, die speziell Eigner und Betreiber fossiler Kraftwerke unter erheblichen Ergebnisdruck setzen." Der Konzern habe darauf frühzeitig mit einer Optimierung der Kosten- und Erlösstruktur reagiert. Mit einem gesamtheitlichen Projekt, das alle Geschäftsfelder betrachte, wolle er sich nun noch umfassender auf diese "Auswirkungen des politisch determinierten Energiemarktes" einstellen.
Das Konzept "Steag 2020" sieht vor, "Kraftwerke, die keinen positiven Ertrag mehr erwirtschaften, zeitweise oder endgültig aus dem Markt zu nehmen". Namen und Standorte werden in der Verlautbarung nicht genannt. Es ist aber davon auszugehen, daß es vor allem um die Blöcke in Herne, Lünen, Voerde und an der Saar geht, deren Stillegung bereits vor mehr als drei Jahren in Erwägung gezogen wurde (130110). Laut Kraftwerksstillegungsanzeigenliste der Bundesnetzagentur wurden bisher die Blöcke Walsum 7 und Herne 2 endgültig stillgelegt. Die Blöcke Voerde A und B sind zur endgültigen Stillegung angemeldet.
Dagegen sollen solche Aktivitäten außerhalb des Stammgeschäfts, "die jetzt auf dem Zenit ihrer Wertschöpfung stehen" – genannt werden Fernwärme und Windkraftanlagen im Ausland – möglichst bald gewinnbringend verkauft werden. Bei neuen Investitionen in landgestützte Windkraftanlagen will man den Schwerpunkt stärker auf einen Einstieg in frühere Projektphasen und die wertsteigernde Veräußerung der Projekte an Dritte legen. Attraktive Wachstumsmöglichkeiten böten auch Fernwärmeprojekte in Polen.
Nach dem Auslaufen der langfristigen Stromliefer- und Leistungsvorhaltungsverträge mit RWE habe die Steag erfolgreich eine eigene Handelsorganisation zur Vermarktung der erzeugten Strommengen aufgebaut hat, heißt es in der Verlautbarung weiter. Der Rückgang der inländischen Kraftwerksleistung erfordere jedoch eine Neuausrichtung des Handelsbereichs durch "eine gezielte und sukzessive Ausweitung der Vermarktung von ausländischen Erzeugungskapazitäten" – eine etwas erläuterungsbedürftige Formulierung, da damit kaum der in Kolumbien oder auf den Philippinen erzeugte Steag-Strom gemeint sein dürfte.
Weitere Chancen erhofft sich die Steag als Energiedienstleister. Dazu gehören Planung und Bau, Betrieb, Instandhaltung sowie Vermarktung von Kraftwerken und Kraftwerksnebenprodukten. Schon vor einigen Monaten hatte sie sich anheischig gemacht, die von Vattenfall zum Verkauf angebotenen Braunkohlekraftwerke unter dem Dach einer neu zu gründenden Stiftung als Betriebsführer zu übernehmen (160306).
Ein erfolgversprechendes Geschäftsfeld sieht sie auch im Rückbau von Kerntechnik. Dieser Markt wachse im In- und Ausland sehr stark und bietet somit große Marktpotentiale. Die Steag sei bereits ein gesuchter Servicepartner für den sicheren Rückbau von Nuklearanlagen. Dies Kompetenz gelte es weiter zu entwickeln, solo und gemeinsam mit spezialisierten Partnern.
Die Steinkohlen-Elektrizität AG (Steag) entstand 1937 als Verstromungsunternehmen des Ruhrbergbaues, das industrielle Großabnehmer belieferte und den übrigen Strom ins Netz von RWE einspeiste. Auch nach dem Krieg blieb sie ein gewinnträchtiges Unternehmen, das mit seinen Gewinnen den defizitären Steinkohlebergbau stützte. Bei der Aufspaltung der Ruhrkohle AG wurde sie dann mit anderen profitablen Bereichen den neuen Evonik-Konzern eingegliedert (070907). Als dieser sie Ende 2010 an ein Konsortium aus sechs Stadtwerken verkaufte, lag der Börsenpreis für die Megawattstunde Grundlaststrom bei über 50 Euro. Die Ertragslage des Unternehmens schien damit mehr als gesichert. Die bisherige Bindung an den Abnehmer RWE erschien sogar eher als Hindernis bei der Vermarktung des Stroms. RWE verzichtete denn auch erst unter dem Druck des Bundeskartellamts auf die Ausübung einer Option zur Verlängerung der bestehenden Strombezugsverträge (110213).
Inzwischen ist der monatliche Durchschnittspreis für Grundlaststrom auf bis zu 22 Euro abgerutscht. Der RWE-Konzern will den Steinkohle-Strom nicht einmal mehr auf der Basis von Erzeugungskosten abnehmen: Schon im November 2015 verlangte er von der Steag die Stillegung der Blöcke A und B im Steinkohlekraftwerk Voerde bis Ende September 2016. Dabei konnte er sich auf entsprechende vertragliche Vereinbarungen berufen. Er ist an den beiden Blöcken, die eine Leistung von jeweils 710 MW erbringen, zu einem Viertel beteiligt. Vor allem verfügt er über das alleinige Bezugsrecht für den damit erzeugten Strom. Das bedeutet, daß er die Differenz zum Verfall der Großhandelspreise in vollem Umfang selber tragen muß. Für den Betreiber Steag ergibt sich dagegen kein Risiko, solange es bei den vereinbarten Konditionen für die Stromabnahme bleibt.
Die Steag lehnte deshalb das Ansinnen von RWE ab, und zwar schon deshalb, weil die Stillegung der beiden moderneren und leistungsfähigeren Blöcke aus den achtziger Jahren zugleich ein Menetekel für die beiden älteren Blöcke West 1 und 2 wäre, die über eine Leistung von jeweils 350 MW verfügen und seit Anfang der siebziger Jahre in Betrieb sind. Diese beiden Blöcke gehören der Steag zu hundert Prozent. Insgesamt wären knapp 300 Mitarbeiter betroffen, wenn es zu einer kompletten Stillegung des Kraftwerks Voerde käme. Ein von der Steag angefordertes Rechtsgutachten scheint aber zugunsten von RWE ausgefallen zu sein. Jedenfalls wurden die Blöcke A und B inzwischen bei der Bundesnetzagentur zur endgültigen Stillegung angemeldet. Da sie nicht als systemrelevant gelten, hat die Behörde auch keinen Einspruch gegen die Stillegung erhoben, die für das Frühjahr 2017 vorgesehen ist. Wie es mit dem Blöcken West 1 und 2 weitergeht, bleibt vorläufig ungewiß.