Mai 2015 |
150510 |
ENERGIE-CHRONIK |
Mit der "thermischen Behandlung" von Abfällen hat die Stromerzeugung aus Müll zugenommen. Im vergangenen Jahr war sie fünfmal so groß wie 1990. Mit einem Anteil von einem Prozent an der gesamten Bruttostromerzeugung und von 3,8 Prozent im Rahmen der als "erneuerbar" geltenden Energiequellen blieb ihr Beitrag aber insgesamt bescheiden. Strom und Wärme sind bei der Müllverbrennung auch eher ein Nebenprodukt. Im Vordergrund steht die Beseitigung und "Inertisierung" der Abfälle. |
Der E.ON-Konzern hat auch die restlichen 49 Prozent seiner ehemaligen Abfallsparte "EEW Energy from waste" verkauft. Käufer ist wiederum der schwedische Finanzinvestor EQT, der bereits Ende 2012 eine Mehrheitsbeteiligung von 51 Prozent erworben hat (121208). Die Übernahme der restlichen Anteile wurde am 4. Mai von EQT bekanntgegeben. E.ON beschränkte sich darauf, sie auf Nachfrage zu bestätigen. Zum Kaufpreis machten beide Seiten keine Angaben. Laut "Börsen-Zeitung" (5.5.) soll er bei 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro liegen. Das wäre deutlich mehr, als E.ON für die erste Tranche erzielen konnte.
Die EEW ist der führende Müllverbrenner in Deutschland sowie in Luxemburg und den Niederlanden aktiv. Sie betreibt insgesamt 19 Müllverbrennungsanlagen, die im vergangenen Jahr 1.900 Gigawattstunden Strom sowie 3.000 Gigawattstunden Wärme erzeugten und mit 1.210 Beschäftigten einen Umsatz von 539 Millionen Euro erwirtschafteten. Davon sind 13 eigene Anlagen. Bei den übrigen ist EEW Betriebsführer.
Das Unternehmen entstand 2008 aus der ehemaligen Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke AG, unter deren Dach E.ON sowohl die Braunkohleverstromung im Helmstedter Revier als auch die Müllverbrennung angesiedelt hatte (080413).
In Deutschland gibt es rund siebzig Anlagen zur Verbrennung von Hausmüll und anderen Siedlungsabfällen, wobei die freiwerdende Energie als Strom, Prozeßdampf und/oder Fernwärme genutzt wird. Die meisten gehören mehrheitlich kommunalen Betreibern. Es handelt sich um ein durchaus einträgliches Geschäft. Schon vor Jahren untersuchte die ZDF-Sendung "frontal21" insgesamt neun der Anlagen und stellte fest, daß die verlangten Müllgebühren durchweg höher waren, als es die Kostendeckung erfordert hätte. Die Renditen übertrafen sogar deutlich die von DAX-Unternehmen. Spitzenreiter waren die E.ON-Müllverbrennungsanlagen Helmstedt und Stapelfeld bei Hamburg mit Bruttoumsatzrenditen von über 50 Prozent. Die Anlage Bielefeld-Herford, deren Betreibergesellschaft zu 51,2 Prozent der E.ON Energy from Waste gehörte, erzielte eine Umsatzrendite von 38 Prozent (140711).
Mit E.ON zieht sich der letzte der großen deutschen Energiekonzerne aus dem Entsorgungsbereich zurück. Müllheizkraftwerke waren traditionell eine Domäne von Stadtwerken, die als Querverbundunternehmen neben der Strom-, Gas- und Wasserversorgung auch die Abfallentsorgung übernahmen. Strom war dabei eher ein Nebenprodukt. Im Vordergrund standen Abfallbeseitigung und Fernwärmegewinnung. Anfang der neunziger Jahre interessierten sich mit RWE, VEW, Veba, Bayernwerk und Badenwerk aber auch die größten deutschen Stromkonzerne plötzlich für das Geschäft mit dem Müll (921007). Während RWE und VEW in großem Stil ins traditionelle Entsorgungsgeschäft einstiegen, setzte das Badenwerk auf die 1993 erworbene Lizenz für das sogenannte Thermoselect-Verfahren, das mit einer neuartigen Technik die "thermische Behandlung" von Abfällen mit Stromgewinnung verbinden sollte (950217). Das neue Abfallrecht honorierte dies nämlich als "energetische Verwertung" im Unterschied zur reinen Müllverbrennung (940417).
Der RWE-Konzern stieg sogar zum Marktführer im Bereich Entsorgung auf. Mit der 1989 gegründeten RWE Entsorgung AG, die seit 1998 RWE Umwelt AG hieß, lehrte er die sonst mittelständisch geprägte Branche das Fürchten. Als 1993 das sogenannte Duale System (DSD) zur Entsorgung von Verpackungsmüll vor dem Bankrott stand, weil es die Rechnungen der Entsorger nicht mehr bezahlen konnte, spielte RWE die wichtigste Rolle beim Verzicht der Entsorgungsfirmen auf die geschuldete Summe in Höhe von rund 870 Millionen Mark. Als Gegenleistung sicherte sich RWE ein Sechstel der Sitze im DSD-Aufsichtsrat und einen von vier Geschäftsführerposten (930914).
Das westfälische Verbundunternehmen VEW kaufte 1993 die Edelhoff AG, um ebenfalls ins Entsorgungsgeschäft einzusteigen (930422). Durch die Fusion von RWE und VEW gelangte Edelhoff im Jahr 2000 zur RWE Umwelt AG und stärkte deren Position als Marktführer. Zuletzt erzielte die RWE Umwelt AG mit über 12.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 1,9 Milliarden Euro. Sie war eine der Führungsgesellschaften unter dem Dach der Konzern-Holding und zählte damit zum Kerngeschäft. Ihre Rentabilität hielt aber nicht Schritt mit den üppigen Erträgen aus dem Strom- und Gasgeschäft, weshalb sie eher als Klotz am Bein der RWE-Aktien empfunden wurde (zumindest von den Vorständen, deren Bezüge zum Teil an die Kursentwicklung der RWE-Aktien gebunden waren). Im Jahr 2004 verkaufte RWE deshalb das gesamte Umweltgeschäft an den bisherigen Branchenzweiten Remondis (050202).
Als Nachfolgerin des Badenwerks plagte sich unterdessen die Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit dem "Thermoselect"-Verfahren herum. 1995 war mit dem Bau einer ersten Anlage in Karlsruhe begonnen worden, die bis 1999 fertig sein sollte. Die anderen EnBW-Vorläufer – EVS, Neckarwerke und TWS – hatten dagegen auf das konkurrierende Schwel-Brenn-Verfahren von Siemens gesetzt, das schon 1999 wegen technischer Probleme beerdigt wurde (990324). Nach der 1997 erfolgten Fusion von EVS und Badenwerk konzentrierte sich die neue EnBW ganz auf "Thermoselect". Trotz aller Anstrengungen geriet das Projekt aber zu einem endlosen Desaster (000918). Im Jahr 2004 zog der südwestdeutsche Energiekonzern endlich einen schmerzhaften Schlußstrich unter dieses Abenteuer, das ihn insgesamt über 400 Millionen Euro gekostet hatte (040306).