März 2004 |
040306 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hat am 5. März ihren seit längerem erwarteten Ausstieg aus dem "Thermoselect"-Verfahren zur Abfallbeseitigung bekanntgegeben (siehe unten). Die ebenfalls defizitäre Stromvertriebstochter Yello erhält dagegen weiterhin eine Chance. Durch "Optimierung" des vor einem Jahr eingeführten Regionalpreismodells (030309) soll sie bereits im laufenden Jahr beim Ergebnis vor Steuern eine "schwarze Null" erwirtschaften (siehe unten). Allgemein soll die Konzernstruktur gestrafft und das operative Geschäft stärker von der Zentrale aus gesteuert werden.
Den Salamander-Teilkonzern Apcoa AG (Parkflächen-Betreiber) hofft die EnBW an einen englischen Investor verkaufen zu können. Dadurch würde sich die Zahl der Beteiligungen, von denen sie sich getrennt hat, auf 113 erhöhen. Bisher hat die EnBW 86 von ingesamt 395 Gesellschaften und Beteiligungen verkauft, verschmolzen, in Partnerschaften eingebracht, geschlossen oder anderweitig entkonsolidiert.
Infolge der "Altlasten", die der neue Konzernchef Utz Claassen Mitte 2003 vor allem infolge der Engagements bei Salamander, Thermoselect und den Stadtwerken Düsseldorf festgestellt hatte ( 030706), verbuchte die EnBW für das Jahr 2003 einen Verlust von nahezu 1,1 Milliarden Euro vor Steuern. Die Finanzverbindlichkeiten des Konzerns belaufen sich laut Geschäftsbericht auf über acht Milliarden Euro. Bei der Vorlage des Geschäftsberichts für 2003 versicherte die Konzernleitung, daß die Altlasten "zum überwiegend Teil keine operative Nachhaltigkeit" hätten. Man hoffe, bereits für das laufende Jahr wieder eine angemessene Dividende zahlen zu können.
Der Umsatz in den drei Kerngeschäftsfeldern Strom, Gas und energienahe Dienstleistungen erhöhte sich um insgesamt 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 10,6 Milliarden Euro. Die EnBW sieht sich damit "auf Rang 3 der deutschen Energiekonzerne". Der Umsatzzuwachs ergab sich vor allem aus dem Stromhandel und aus der Einbeziehung von Beteiligungsunternehmen in die Konzernbilanz. Hierzu gehörten der spanische Stromversorger Hidrokantabrico, der Heilbronner Regionalversorger ZEAG, der Wasserkraft-Vertrieb "Energiedienst" und die Gasversorgung Süddeutschland (GVS).
Wie aus Äußerungen bei der Bilanzpressekonferenz hervorging, gibt es einen Konflikt mit dem Management der Stadtwerke Düsseldorf, an denen sich die EnBW vor zwei Jahren mit 29,9 Prozent beteiligt hat ( 020107). "Die Kooperationsbereitschaft des lokalen Managements zu Kostensenkungen ist begrenzt", sagte EnBW-Chef Utz Claassen. Es gebe deshalb "Diskussionsbedarf". Der Marketing- und Vertriebvorstand Detlef Schmidt beklagte "fehlende Professionalität an der Spitze", die auf Dauer kaum getragen werden könne. Die überteuert eingekaufte Beteiligung an den Stadtwerken Düsseldorf belastet den Geschäftsbericht 2003 der EnBW mit Abschreibungen in Höhe von 210 Millionen Euro. (Handelsblatt, 8.3.; FAZ, 6.3.)
Die im August 1999 gestartete Stromvertriebstochter Yello hat allein bis Ende 2002 Verluste in Hohe von 700 Millionen Euro angehäuft. Diese Zahl nannte EnBW-Chef Claassen im März vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf. "Beim Start wurde auf deutlich sinkende Marktpreise und Durchleitungsentgelte gesetzt. Beide Wetten sind nicht aufgegangen." Immerhin sei Yello mit einem Bekanntheitsgrad von 97 Prozent und mit einer Million Kunden das weitaus erfolgreichste der neuen Stromhandelsunternehmen. Unter den gegebenen Umständen sei es bereits ein Erfolg, daß Yello die erreichte Kundenzahl halten konnte. "Die Zukunft der Marke Yello steht nicht zur Disposition." Claassen äußerte die Hoffnung, daß Yello in diesem Jahr aus den roten Zahlen herauskommen und 2005 erstmals einen Gewinn verbuchen werde. (FAZ, 26.3.)
In der Einladung zur Hauptversammlung am 29. April in Karlsruhe empfehlen Vorstand und Aufsichtsrat den EnBW-Aktionären, den früheren Unternehmenschef Gerhard Goll sowie den beiden ehemaligen Vorstandsmitgliedern Bernd Balzereit (030706) und Gerhard Jochum (030117) die Entlastung für das Jahr 2003 zu verweigern. Auf Nachfrage begründete die EnBW diese Empfehlung mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen Goll wegen Verdachts der Bilanzverschleierung (031113). Eine Bewertung der Vorwürfe sei damit nicht verbunden.
Das Thermoselect-Projekt im Karlsruher Hafen hat die EnBW bisher über 400 Millionen Euro gekostet. Es war 1995 unter dem damaligen Badenwerk-Chef Gerhard Goll gestartet worden und sollte eine bei Verbania am Lago Maggiore errichtete Musteranlage erstmals im großtechnischen Maßstab verwirklichen (950217). Beim Thermoselect-Verfahren wird der Müll in einem mehrstufigen Prozeß in energetisch nutzbares Synthesegas und umweltverträglich verwertbare Stoffe umgewandelt. Die Karlsruher Anlage sollte auf diese Weise jährlich bis zu 225.000 Tonnen Haus- und Gewerbemüll verarbeiten. Baubeginn war im Frühjahr 1997, die Inbetriebnahme erfolgte mit Verzögerung Ende 1999, nachdem es bereits bei den Bauarbeiten etliche Probleme gegeben hatte (990428). Zwischenzeitlich hatte die EnBW als Nachfolgerin des Badenwerks die Entsorgungsverträge mit den beteiligten Kommunen übernommen. Bei der Fusion des Badenwerks mit der Energie-Versorgung Schwaben (EVS) zur neuen Energie Baden-Württemberg im Jahr 1997 war das von der EVS favorisierte Schwel-Brenn-Verfahren der Firma Siemens (950217) zugunsten von Thermoselect fallengelassen geworden.
In ein ungünstiges Licht rückte "Thermoselect" erstmals, als die baden-württembergische CDU von der Lizenzgeberin Thermoselect S.A. nach Vertragsabschluß im Jahre 1995 eine Parteispende von 100.000 Mark erhielt. Schon ein halbes Jahr nach der Inbetriebnahme wurde die Anlage vorläufig stillgelegt, weil die Dauer des Notbetriebes und die Emissionswerte an der Notbrennkammer nicht den genehmigungsrechtlichen Auflagen entsprachen (000727). Der Schweizer Kanton Tessin entzog daraufhin der EnBW den Auftrag für ein ähnliches Projekt ( 000918), und auch anderenorts erlahmte das Interesse. Nach einer Änderung des Brennkammer-Konzepts genehmigten die Behörden Anfang 2002 den Dauerbetrieb der Anlage. Sie genügte nunmehr zwar den umweltrechtlichen Auflagen, konnte aber weniger als die Hälfte der vorgesehenen Abfallmengen verarbeiten und war damit nicht rentabel.
Bei seinem Amtsantritt hatte der neue EnBW-Chef
Claassen im Juli 2003 das Ende der Entsorgungstochter Thermoselect angekündigt,
falls diese binnen eines halben Jahres nicht ein deutlich besseres Bild
bieten sollte (030706). Die jetzt beschlossene
endgültige Einstellung wird damit begründet, daß weitere
Investitionen zur technischen Ertüchtigung notwendig seien und die
Anlage dennoch "auch langfristig nur unter großen Risiken zu betreiben"
sei. Vor allem hätten die beteiligten Kommunen - unabhängig vom
Erfolg der Maßnahmen zur Ertüchtigung - von der EnBW eine zwanzigjährige
Entsorgungsgarantie verlangt. Die EnBW verhandele nunmehr mit den Kommunen
über eine einvernehmliche Lösung des Entsorgungsvertrags. Vom
Ergebnis dieser Verhandlungen hänge der genaue Termin der Stillegung
ab.