Juli 2014 |
140705 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die schwedische Regelung zur Förderung der erneuerbaren Stromquellen befindet sich im Einklang mit der EU-Richtlinie 2009/28. Sie verletzt auch nicht den Artikel 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der die Freiheit des Warenverkehrs zwischen den EU-Mitgliedstaaten garantiert. Solche nationalen Fördersysteme stellen zwar grundsätzlich eine Beschränkung des freien Warenverkehrs dar. Diese Beschränkung wird aber durch das im Allgemeininteresse liegende Ziel gerechtfertigt, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu fördern, um die Umwelt zu schützen und die Klimaänderungen zu bekämpfen. – So entschied am 1. Juli der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg. Das Urteil war vor allem mit Blick auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Deutschland mit Spannung erwartet worden. Es läßt sich zugleich als Ohrfeige für die EU-Kommission werten, die unter Berufung auf die EU-Richtlinie 2009/28 von der Bundesregierung verlangt hatte, Stromimporteure von der EEG-Umlage zu befreien (140602).
In dem Verfahren ging es um die Klage eines finnischen Windparkbetreibers, der für nach Schweden gelieferten Strom die dortige Förderung beanspruchte. Der schwedische Staat fördert die erneuerbaren Energien, indem er entsprechende Zertifikate für die regenerative Stromerzeugung auf seinem Territorium ausstellt. Stromlieferanten und bestimmte Stromverbraucher sind verpflichtet, diese Zertifikate in Höhe eines bestimmten Anteils ihrer Verkaufs- bzw. Verbrauchsmengen zu erwerben. Die Erzeuger von grünem Strom erhalten so zusätzliche Einnahmen. Auf diese Zertifikate glaubte auch der finnische Windstromerzeuger Anspruch zu haben, zumal sein auf den Åland-Inseln gelegener Windpark zwar auf finnischem Territorium steht, aber in das schwedische Verteilnetz einspeist.
Formal funktioniert die schwedische Regelung ähnlich wie der Handel mit EECS-Herkunftsnachweisen, der mit der EU-Richtlinie 2009/28 eingeführt wurde. Der Gerichtshof hatte deshalb zu prüfen, wieweit sich aus dieser Konkurrenzsituation möglicherweise ein Anspruch des Windparkbetreibers ergeben könnte. Er gelangte jedoch zu der Feststellung, daß der in der EU-Richtlinie verankerte Handel mit sogenannten Herkunftsnachweisen eindeutig von nationalen Förderregelungen zu unterscheiden ist und nicht zu deren Inanspruchnahme berechtigt:
"Diese Richtlinie zielt darauf ab, die grenzüberschreitende Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen zu erleichtern, ohne die nationalen Förderregelungen zu beeinträchtigen. Sie führt wahlweise Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten ein, in deren Rahmen die Mitgliedstaaten vereinbaren können, in welchem Maße ein Mitgliedstaat die Energieerzeugung in einem anderen Mitgliedstaat fördert und in welchem Umfang die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen auf die nationalen Gesamtziele des einen oder des anderen Mitgliedstaats angerechnet wird. Um die Wirksamkeit der beiden Maßnahmen zur Zielerfüllung, also der nationalen Förderregelungen und der Mechanismen der Zusammenarbeit, zu gewährleisten, ist es unbedingt notwendig, daß die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ihre nationalen Förderregelungen für in anderen Mitgliedstaaten erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen gelten, und sich durch die Anwendung der in der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Mechanismen der Zusammenarbeit darüber zu einigen. (...) Es ist wichtig, dass zwischen grünen Zertifikaten, die für Fördersysteme genutzt werden, und Herkunftsnachweisen unterschieden wird."
Der Generalanwalt gelangte ebenfalls zu der Ansicht, daß die schwedische Praxis im Einklang mit der EU-Richtlinie stehe. In seinen Schlußanträgen vom 28. Januar 2014 vertrat er jedoch den Standpunkt, daß der betreffende Artikel 3 Abs. 3 der Erneuerbaren-Richtlinie gegen den Artikel 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoße, in dem es heißt: "Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten." Der Gerichtshof müsse deshalb diesen Artikel für ungültig erklären, "soweit er den Mitgliedstaaten die Befugnis verleiht, Erzeugern, deren Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats belegen sind, den Zugang zu ihren Förderregelungen zu versagen oder den Zugang dieser Erzeuger zu ihren Förderregelungen zu beschränken". Die Ungültigkeit des Artikels habe zwei Jahre nach Verkündung des Urteils wirksam zu werden.
Der Generalanwalt ignorierte dabei den qualitativen Unterschied zwischen einem Zertifikate-System, wie es Schweden im nationalen Rahmen praktiziert, und dem European Energy Certificate System (EECS), wie es 2009 mit der Erneuerbaren-Richtlinie eingeführt wurde. Beim letzteren handelt es sich um ein völlig ineffizientes System, das lediglich eine Art Etikettenschwindel ermöglicht (siehe Hintergrund). Da die EECS-Zertifikate spottbillig zu haben sind, würde ihre Anerkennung im Rahmen nationaler Fördersysteme den Ruin jeder effizienten Förderung bedeuten. Das gilt auch für ein erweitertes nationales System, wie es zwischen Schweden und Norwegen seit 2012 besteht (in diesem Falle funktioniert der grenzüberschreitende Zertifikatehandel nicht im Rahmen des EECS-Systems, sondern auf Grundlage eines Vertrags zwischen beiden Staaten, während es zwischen Schweden und Finnland keinen solchen Vertrag gibt).
Vor allem ignorierte der Generalanwalt, daß just jener Artikel der EU-Richtlinie, den er für ungültig erklären lassen wollte, als Ergebnis einer heftigen politischen Auseinandersetzung zustande gekommen ist: Unter massiven Protesten vor allem aus Deutschland mußte 2008 die EU-Kommission darauf verzichten, die Wirksamkeit der nationalen Fördersyteme mittels der neu eingeführten EECS-Zertifikate zu unterminieren (080103). Es gab dazu sogar eine Entschließung des Bundestags, die von allen Parteien mit Ausnahme der FDP getragen wurde (080207). Der Unionsgesetzgeber hat also das Prinzip des freien Warenverkehrs durchaus bewußt eingeschränkt.
Wäre das Gericht – wie sonst üblich – der Argumentation des Generalanwalts gefolgt, hätte dies wahrscheinlich auch das Ende des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland bedeutet. Notorische EEG-Gegner wie die "Frankfurter Allgemeine" frohlockten bereits. Auch das arrogante Auftreten des EU-Wettbewerbskommissars Almunia findet so eine Erklärung: Noch kurz vor dem EuGH-Urteil hatte er von der Bundesregierung verlangt, Stromimporte von der EEG-Umlage zu befreien (140602).
Auf der anderen Seite löste der Antrag des Generalanwalts Unbehagen bis Entsetzen bei allen aus, die auf eine nationale Förderung der Erneuerbaren nicht verzichten wollten oder zumindest die politischen Komplikationen erkannten, die sich aus einer solchen Entscheidung ergeben würden. Um die verhängnisvolle Weichenstellung des Generalanwalts zu korrigieren, beantragten das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die schwedische Regierung die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens. Der Gerichtshof lehnte dies mit der Begründung ab, daß ihm alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen vorlägen und die Wiedereröffnung des Verfahrens keine neuen Gesichtspunkte eröffnen würde. Dennoch dürfte diese Intervention nicht wirkungslos geblieben sein. Am Ende entschied der Gerichtshof jedenfalls anders, als die meisten erwartet hatten.
Schon im März 2001 hatte der Europäische Gerichtshof die Vereinbarkeit
der deutschen Erneuerbaren-Förderung mit dem EU-Recht bestätigt. Damals
hatte die E.ON-Vorläuferin PreussenElektra AG gegen das 1991 in Kraft getretene
Stromeinspeisungsgesetz geklagt (010302). Auf dieses
Urteil wurde in der jetzigen Verhandlung mehrfach Bezug genommen. Die damalige
Begründung, weshalb das Stromeinspeisungsgesetz keine verbotene staatliche
Beihilfe sei und auch nicht gegen den freien Warenverkehr verstoße, ist
inzwischen durch die Veränderung des EU-Rechts obsolet geworden. Weiterhin
gültig bleibt aber nach Ansicht des Gerichtshofs die seinerzeit von ihm
getroffene Feststellung, daß "es in der Natur der Elektrizität
liegt, daß sich ihre Herkunft und insbesondere die Energiequelle, aus
der sie gewonnen wurde, nach der Einspeisung in ein Übertragungs- oder
Verteilernetz kaum noch bestimmen lässt". Dieser Sachverhalt könne
auch nicht durch die EU-Richtlinie 2009/28 in Frage gestellt werden, mit der
die sogenannten Herkunftsnachweise für Strom eingeführt wurden. In
der Praxis sei "die systematische Separation von Strom als grünem
Strom in den Stadien der Verteilung und des Verbrauchs weiterhin kaum durchführbar".