November 2003

031117

ENERGIE-CHRONIK


Putin betreibt begrenzte Re-Nationalisierung der russischen Energiewirtschaft

Der russische Präsident Wladimir Putin betreibt anscheinend eine begrenzte Re-Nationalisierung der russischen Energiewirtschaft. Am 25. Oktober ließ er den Chef des Erdölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowskij, unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs festnehmen. Da Chodorkowskij regierungskritische Medien unterstützt hatte, wurde die Affäre zunächst nur als politische Abrechnung mit einem der "Oligarchen" gewertet. Am 30. Oktober beschlagnahmten die Behörden jedoch den größten Teil der Yukos-Aktien. Tags zuvor hatte Innenminister Boris Gryslow erklärt: "Die Rohstoffe Rußlands gehören weder bestimmten Firmen noch Personen, sondern dem russischen Volk. Und wenn eine Firma sich mit der Ausbeutung dieser Rohstoffe befaßt, so heißt dies nicht, daß sie auch unsere Profite daraus privatisieren darf." Damit verdichteten sich die Anzeichen, daß die Regierung die Kontrolle über Rohstoffe und Energie - den einzigen florierenden Wirtschaftszweig des Landes - zurückgewinnen möchte. Aktueller Anlaß war vermutlich, daß Chodorkowskij mit den US-Konzernen Exxon-Mobil und Chevron über deren Einstieg bei Yukos verhandelte. Schon bisher kontrollierte Chodorkowskij das weltweit viertgrößte Ölunternehmen über zwei Firmen, die ihren Sitz nominell im Ausland hatten. (SZ, 31.10.)

Da in Rußland sowohl die Politik als auch die Wirtschaft von mafiaähnlichen Interessengruppen beherrscht werden, ist die Auseinandersetzung nicht mit rechtsstaatlichen Maßstäben zu messen. Trotz seines reichlich willkürlichen Vorgehens gegen Chodorkowskij kann Putin mit dem Beifall der großen Bevölkerungsmehrheit rechnen, die im Gegensatz zu den neureichen Oligarchen in bitterer Armut lebt. Offenbar verfolgt er zwei Ziele: Zum einen will er den Oligarchen signalisieren, daß sie ihre Riesenvermögen, die sie unter dubiosen bis kriminellen Umständen zusammengerafft haben, nur dann behalten dürfen, wenn sie sich nicht in die Politik der Regierung einmischen und einen ansehnlichen Teil der Erlöse auch weiterhin der Staatskasse zukommen lassen. Zum anderen macht er deutlich, daß die Regierung einem Ausverkauf der russischen Gas- und Ölförderung an ausländische Konzerne nicht dulden wird. Eine Wiederverstaatlichung privatisierter Wirtschaftsbereiche scheint indessen nicht geplant zu sein. Die "Geheimdienst-Fraktion" um Putin empfiehlt sich vielmehr ausländischen Investoren als Garant für die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an politischer Stabilität in einem Land, in dem Willkür und Korruption schon jetzt jeder normalen wirtschaftlichen Tätigkeit den Garaus zu machen drohen. Auch im Energiebereich bleiben ausländische Investoren weiterhin willkommen, sofern sie sich auf Minderheitsbeteiligungen beschränken.

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