Juni 2011 |
110609 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission will ihre teilweise bereits überzogenen und kontraproduktiven Anforderungen an die Energieeffizienz noch verschärfen. Am 22. Juni legte Energiekommissar Günther Oettinger einen neuen Richtlinienvorschlag vor, der gewährleisten soll, daß das seit 2008 geltende Ziel einer Erhöhung der Energieeffizienz bis 2020 um 20 Prozent (081104) tatsächlich erreicht wird. Andernfalls werde die EU dieses Ziel nur zur Hälfte erreichen, hieß es zur Begründung. Dies werde die Wettbewerbsfähigkeit verringern, die CO2-Emissionen erhöhen und die Versorgungssicherheit gefährden. Außerdem werde eine höhere Energieeffizienz die Verbraucher entlasten. Daß die mögliche Entlastung der Verbraucher in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten der vorgeschlagenen Maßnahmen steht, verschwieg die Kommission wohlweislich (siehe Kommentar). Auch ihre anderen Argumente wirken nicht sehr überzeugend. Im wesentlichen bedient der Richtlinienvorschlag die Brancheninteressen bestimmter Wirtschaftskreise, wie sie sich neuerdings etwa in der "Initiative 2 Grad" (110614) artikulieren.
Die Kommission will die Erreichung des Effizienz-Ziels, das 2008 ziemlich willkürlich gesetzt wurde, hauptsächlich durch folgende Maßnahmen gewährleisten:
Zu Kosten und sonstigen Problemen der vorgeschlagenen Maßnahmen, die "starke Impulse für Energiesparen und Energieeffizienz" bewirken sollen, schwieg sich die Mitteilung der Kommission aus. Zum Beispiel würde es nach Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums allein schon 40 Milliarden Euro kosten, jährlich mindestens 3 Prozent der Gesamtgebäudefläche aller öffentlichen Einrichtungen zu renovieren. Hauptleidtragende wären die Gemeinden, die schon jetzt mangels Geld zahlreiche wichtige Aufgaben vernachlässigen und beispielsweise ihre Straßen verlottern lassen.
Rätselhaft bleibt ferner, wie die Energielieferanten die vorgeschriebene Energieeinsparquote von 1,5 Prozent erfüllen sollen und mit welchen Sanktionsmöglichkeiten dies erzwungen werden soll. Genauso realitätsfremd wirkt die Vorstellung, öffentliche Beschaffungen rechtlich bindend nicht mehr allein von der Preisgünstigkeit und technischen Qualität abhängig zu machen, sondern zusätzlich unter den Vorbehalt der Energieeffizienz zu stellen. Das würde zumindest zu erhöhtem Bürokratieaufwand führen und die Durchführung von Beschaffungen enorm verzögern. Über die Verpflichtung zur Durchführung von "Energieaudits" dürfen sich ebenfalls nur die einschlägigen Anbieter und Consulting-Unternehmen freuen.
Wie intelligent sind "intelligente Zähler"?(siehe oben) Überall wird inzwischen die "Energiewende" ausgerufen, kein Parteiprogramm kommt mehr ohne grüne Passagen aus, und auch Energiebosse sprechen lieber von Ökologie als von Ökonomie. Das ist sicher ein Fortschritt gegenüber früheren Zeiten, als den betroffenen Wirtschaftskreisen und ihrer Lobby jeder umweltpolitische Fortschritt erklärtermaßen gegen den Strich ging. Man denke nur etwa an die Rauchgasreinigung der Kraftwerke, die heute als selbstverständlich gilt, aber den deutschen Stromerzeugern aufgezwungen werden mußte. Oder an deren Widerstand gegen die erneuerbaren Energien, die sie als "additive Energien" abtaten und denen sie höchstens ein Plätzchen am Katzentisch der Energiewirtschaft einräumen wollten. Aber heute ist das natürlich alles anders. Aus den Saulussen wurden Paulusse, die nun selber in den höchsten Tönen die frohe Botschaft des grünen Evangeliums verkünden (110614). In den offiziellen Verlautbarungen wimmelt es nur so von Vokabeln wie "nachhaltig" und "umweltfreundlich". Unablässig wird einem vorgerechnet, wieviel Tonnen CO2 diese oder jene Maßnahme vermeiden helfe oder wieviele Haushalte durch eine neue Anlage mit Öko-Strom versorgt werden könnten. Hinter der Fassade der Öko-Begeisterung sieht es indessen nicht ganz so nachhaltig aus. Da geht es nach wie vor mehr ökonomisch als ökologisch zu. Der Profit verbindet sich mit ideologischem Schmus und blinder Gläubigkeit, als hätten amerikanische Erweckungsprediger das Regiment übernommen. Beispielsweise böte das Thema "Öko-Strom" reichlich Stoff für ein Theaterstück von umwerfender Komik. Neuerdings ist es vor allem die "Energieeffizienz", die als Deckmantel für wirtschaftliche Interessen dient, die der Umwelt wenig bringen und den Verbraucher schröpfen. Die EU-Kommission macht da keine Ausnahme, sondern geht mit schlechtem Beispiel voran. So war das Glühlampen-Verbot (090301) keine sinnvolle Maßnahme zur Steigerung der Energieeffizienz, wie sie etwa die Minimierung des Stromverbrauchs von Standby-Schaltungen (090409) darstellt, sondern ein unverhältnismäßiger und deshalb unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. Nach derselben Logik könnte die EU bestimmte Tapetenmuster vorschreiben, weil sie besonders energiesparend sind. Bei der Beleuchtung kommt erschwerend hinzu, daß die Entscheidung für bestimmte Lichtquellen nicht nur eine Frage des Geschmacks und individueller Vorlieben ist, sondern auch gute medizinische und umweltmäßige Gründe gegen die sogenannten Energiesparlampen sprechen, die die Kommission den Bürgern aufzwingen möchte. Das Glühlampen-Verbot kam unter der Ägide des vormaligen Energiekommissars Andris Piebalgs zustande, der für Energiesparlampen eine ähnliche Begeisterung hegte wie für die Kernenergie. Daß dem Letten das notwendige Fingerspitzengefühl für bürgerliche Freiheiten und individuellen Gestaltungswillen fehlte, wäre vielleicht noch zu verstehen gewesen, da er ja aus dem postsowjetischen Raum kam. Noch peinlicher und enttäuschender war aber, wie auch das Europäische Parlament, von vereinzeltem Widerstand abgesehen, das Glühlampen-Verbot absegnete. Eine Grünen-Sprecherin schmähte die Kritiker der Verordnung gar als "Fortschrittsfeinde" (090208). Piebalgs Nachfolger Oettinger will nun die EU-Bürger mit sogenannten intelligenten Zählern beglücken. Und wiederum soll das nicht den sonst so hochgepriesenen Marktkräften überlassen bleiben, sondern zwangsweise geschehen. Dabei hat es nicht den geringsten Einfluß auf die Energieeffizienz, in welcher Weise etwa der Stromverbrauch erfaßt und abgerechnet wird. Der indirekt erhoffte Nutzen durch bessere Verbrauchskontrolle bzw. Verlagerung des Stromverbrauchs in lastschwache Zeiten ist vorläufig nichts weiter als Spekulation und würde meistens einen Komfortverlust voraussetzen. Die so vielleicht erzielbaren Effizienzgewinne rechtfertigen jedenfalls nicht die erhöhten Kosten für die Zählertechnik, den obligatorischen Internet-Anschluß oder die Datenübertragung per "Powerline". Natürlich entsprechen die alten Ferraris-Zähler (080410) längst nicht mehr dem Stand der Technik. Es liegt auch durchaus nahe, die schrittweise Umstellung auf elektronische Zähler fakultativ mit einer Fernauslesung der Daten zu verbinden oder nun auch bei Haushaltskunden zusätzlich zur klassischen Verbrauchsmessung die viertelstündlichen Leistungswerte zu ermitteln. Eine forcierte, mit gesetzlichem Zwang verbundene Umstellung nach dem Muster des Glühlampen-Verbots bringt aber nichts außer erhöhten Kosten. Den Nutzen davon haben allenfalls die Anbieter und Betreiber von Meßtechnik sowie jene Stromanbieter, die von der neu eingeführten Leistungsmessung bei Kleinverbrauchern durch eine entsprechende Tarifgestaltung zu profitieren vermögen (110312). Weitergehende Pläne sehen sogar eine Abkehr von der bisher bedarfsorientierten Stromerzeugung vor, indem der Stromverbrauch mittels "intelligenter" Netze und Zähler sowie "marktwirtschaftlicher" Druckmittel möglichst den vorhandenen Erzeugungskapazitäten angepaßt wird. Schmackhaft gemacht wird das als "interaktives Stromnetz" mit einer "internetähnlichen Kommunikationsstruktur". Notfalls beruft man sich auf die notwendige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien, die nur so zu bewerkstelligen sei. Dieses Totschlagargument darf und muß bezweifelt werden. Im übrigen ist das alles sicher technisch machbar. Die Frage bleibt aber, ob es auch sinnvoll ist und außer vermehrten Kosten und Aufwand einen Energieeffizienzgewinn beschert, der in einem vernünftigen Verhältnis dazu steht. Bisher erinnert das mehr an die energetische Mangelwirtschaft der DDR, die den Stromverbrauch ebenfalls reglementierte, nach Möglichkeit begrenzte und gegebenenfalls kappte. Das Glühlampenverbot wies bereits in diese Richtung einer genauso brutalen wie sinnlosen gesetzgeberischen Brachialgewalt. Oettinger wies die vielfache Kritik an dem von ihm vorgelegten Richtlinientwurf mit den Worten zurück: "Wer weniger ehrgeizig ist, soll in Sonntagsreden das Stichwort Energieeffizienz besser gar nicht mehr erwähnen." Von Sonntagsreden versteht der Energiekommissar freilich etwas, wie er erst unlängst mit seinen lichtvollen Ausführungen zu den Stromtransportmöglichkeiten zwischen Deutschland und Frankreich bewiesen hat (101104, 101217). Die persönliche Fachkompetenz Oettingers in Fragen der Energieeffizienz dürfte dagegen ungefähr so groß sein wie bei der Netzinfrastruktur und anderen Milliardenprojekten.
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