Dezember 2019

191209

ENERGIE-CHRONIK


 


Dieses Mal ist der Partner kein Energiekonzern: Ardian-Direktor Michael Reuther und EWE-Chef Stefan Dohler (rechts) stellten am 6. Dezember den vereinbarten Einstieg des Investmentfonds vor, der das einst der EnBW gehörende Aktienpaket übernimmt. Hinter ihnen Heiner Schönecke, Geschäftsführer des EWE-Verbandes, Bernhard Bramlage, Vorsitzender des EWE-Aufsichtsrats, Andreas Radmacher (Ardian) und EWE-Finanzvorstand Wolfgang Mücher (v.l.n.r.).
Fotos (3): EWE

Französischer Infrastruktur-Fonds übernimmt 26 Prozent der EWE

Der Kommunalkonzern EWE überlässt dem französischen Infrastruktur-Investor Ardian 26 Prozent seiner Aktien. Wie beide Seiten am 6. Dezember in gleichlautenden Texten mitteilten, wollen sie "gemeinsam das Wachstum von EWE beschleunigen und insbesondere in die strategischen Bereiche erneuerbare Energien, Telekommunikation und Netze investieren". Der Vollzug der Beteiligung werde voraussichtlich im ersten Quartal 2020 stattfinden, wenn das Bundeskartellamt zugestimmt hat. Über finanzielle Details habe man Stillschweigen vereinbart. Nach Abschluss der Transaktion werde sich die derzeit noch hundertprozentige Beteiligung des EWE-Verbands an der EWE AG auf 74 Prozent verringern, wovon 59 Prozent auf die Weser-Ems-Energiebeteiligungen GmbH und 15 Prozent auf die Energieverband Elbe-Weser Beteiligungsholding GmbH entfallen.

Die gemeinsame Verlautbarung beschreibt Ardian als "eine der weltweit führenden unabhängigen Investmentgesellschaften, die für ihre Investoren aus Europa, Süd- und Nordamerika und Asien Vermögenswerte in Höhe von rund 96 Milliarden US-Dollar verwaltet – davon über 10 Milliarden Euro von 90 deutschen Pensionsfonds und Versicherungen". Beim Ardian Infrastrukturfonds V, der nun die Beteiligung an EWE erwirbt, stamme die größte Investorengruppe aus Deutschland und repräsentiere mehr als 20 Prozent des Fondsvolumens von insgesamt 6,1 Milliarden Euro. Für Ardian sei die Beteiligung an EWE "der Startpunkt für den Aufbau einer deutschen Wachstumsplattform mit Sitz in Düsseldorf, die von einem erfahrenen deutschen Management-Team betreut werden wird". Darüber hinaus werde der Versicherungskonzern Talanx als niedersächsischer Co-Investor Ardian und EWE begleiten.

"Mit Ardian haben wir künftig einen strategischen Wachstumspartner an unserer Seite, der europaweit über umfangreiche Erfahrungen im Infrastrukturbereich verfügt und ebenso langfristig, umsichtig und nachhaltig agiert, wie wir", liess sich der EWE-Vorstandsvorsitzende Stefan Dohler zitieren. "Uns war wichtig, dass der neue Investor die strategischen Ziele von EWE unterstützt und unseren Veränderungs- und Wachstumspfad mit Kooperationsmöglichkeiten aus seinem Beteiligungsportfolio stärkt."

Das Aktienpaket gehörte zuvor der EnBW, die gemeinsam mit EWE die VNG übernehmen wollte


Die Chefs von EWE und EnBW, Werner Brinker und Hans-Peter Villis bei der Unterzeichnung des Beteiligungsvertrags am 12. Juli 2008. Im Hintergrund Günther Boeckhoff und Henning Schultz als Vertreter der kommunalen Anteilseigner der EWE.

Das Aktienpaket, das jetzt Ardian übernimmt, hat eine interessante Vorgeschichte: Es gehörte einst der Energie Baden-Württemberg (EnBW), die sich diese strategische Beteiligung 2008 rund zwei Milliarden Euro kosten ließ. Beide Partner hatten dabei vor allem den ostdeutschen Gasnetzbetreiber VNG im Blick, bei dem die EWE ihre Beteiligung inzwischen auf auf knapp 48 Prozent aufgestockt hatte. Mit dem Erwerb der restlichen knapp drei Prozent bis zur Mehrheit tat sich die EWE dann aber unerwartet schwer, obwohl ihr ein Konsortialvertrag mit den zehn kommunalen Aktionären der VNG zunächst die unternehmerische Führung einräumte (031208). Anfang 2007 zerbrach dieses kommunale Bündnis ganz, und es entbrannte ein offener Machtkampf (070504).

In dieser Situation betrat die EnBW als neuer strategischer Partner der EWE die Bühne (080701) und machte sich bald auch anheischig, das VNG-Aktienpaket der EWE zu übernehmen (090504). Anscheinend glaubten beide, dass die EnBW mehr Chancen habe, weil einer der vier VNG-Großaktionäre neben der EWE (48 Prozent), der BASF-Tochter Wintershall (15,8 Prozent) und der russischen Gazprom (10,5 Prozent) die Gaz de France war. Deren Beteiligung von 5,26 Prozent hätte locker zur Erlangung der Mehrheit gereicht. Der südwestdeutsche Energiekonzern war damals nämlich faktisch eine Tochter der Electricité de France (EDF), und die Gaz de France – die noch im selben Jahr mit Suez zur GDF Suez verschmolzen wurde und sich 2015 den neuen Namen Engie zulegte – war deren staatliches Schwesterunternehmen.

Der französischen Regierung war die Beteiligung an Nord Stream wichtiger als die EDF-Tochter EnBW

Die EnBW verkaufte damals sogar ihre ostdeutsche Gastochter Geso, um vom Bundeskartellamt grünes Licht für die neue Partnerschaft mit der EWE und für den geplanten Einstieg bei VNG zu bekommen (100310). Ihr Kalkül ging aber nicht auf. Der französischen Regierung war es wichtiger, eine EDF-Beteiligung an der Ostsee-Pipeline Nord Stream zu erlangen. Als Gegenleistung überließ sie den Russen die Beteiligung der GDF Suez an VNG (091102), womit die Gazprom ihr bisheriges Aktienpaket auf 10,52 Prozent verdoppeln konnte (100211). Die Gegner in Leipzig waren damit noch stärker geworden. Sie waren nicht einmal bereit, eine Übertragung des VNG-Aktienpakets von EWE auf EnBW zu genehmigen. Schon der Preis für die EnBW-Beteiligung an EWE war mit Blick auf VNG sehr großzügig bemessen worden. Nun stellte sich auch noch die vereinbarte Kaufsumme für die Übertragung des Aktienpakets als überhöht heraus. In der Chefetage von EnBW scheint es daraufhin mächtig gekracht zu haben. Nach außen drang aber nur, daß der Finanzvorstand bis auf weiteres beurlaubt sei und daß dies ausschließlich gesundheitliche Gründe habe (091216).

Aus dem Bündnis zwischen EWE und EnBW wurde ein abgrundtiefes Zerwürfnis


Der EnBW-Vorstandsvorsitzende Frank Mastiaux und der EWE-Vorstandsvorsitzende Matthias Brückmann unterzeichnen 2015 die Vereinbarung zur Beilegung des jahrelangen Streits, der unter ihren Vorgängern Hans-Peter Villis und Werner Brinker entstanden war. Hinter ihnen der EWE-Aufsichtsratsvorsitzende Stephan-Andreas Kaulvers und der Geschäftsführer des EWE-Verbands, Heiner Schönecke (v.l.n.r)

Damit war die VNG-Beteiligung der EWE für die EnBW völlig uninteressant geworden, und der vereinbarte Preis für deren Übernahme wurde sogar zu einer großen finanziellen Belastung. Hinzu stellte sich nun der Preis für die strategische Beteiligung an EWE, der mit Blick auf VNG sehr üppig bemessen worden war, als Handel mit Zitronen heraus. Offiziell zeigte sich die EnBW zwar weiterhin bereit, den vereinbarten Kaufvertrag mit EWE zu erfüllen (110408). Ende 2011 wurde aber klar, daß sie nicht gewillt war, die bis Jahresende laufende Option auf den Anteilserwerb auszuüben und den dafür vereinbarten Kaufpreis von 1,4 Milliarden Euro zu zahlen (111105). Aus Sicht der EWE besaß die EnBW dagegen keine Optionsmöglichkeit, sondern war zum Kauf verpflichtet. Die EWE ließ deshalb eine Hauptversammlung der VNG einberufen, die grünes Licht für den beabsichtigten Zwangsverkauf an EnBW geben sollte. Dazu waren die übrigen VNG-Aktionäre aber nicht bereit (111205). So blieb die EWE auf ihrer 48-prozentigen Beteiligung an VNG vorerst sitzen, bis ihr infolge einer unverhofften strategischen Neuorientierung von Wintershall und Gazprom doch noch plötzlich die Chance zum Erwerb einer satten Mehrheit an VNG in den Schoß fiel (140301, 150402).

Gütliche Trennung im Oktober 2015 mit Tausch und Barausgleich

Aus dem Bündnis zwischen EWE und EnBW war aber inzwischen ein abgrundtiefes Zerwürfnis geworden. Der jahrelange Streit, der spätestens seit 2011 die Partnerschaft vergiftete und zu einer Art Zwangsehe machte, konnte erst im Oktober 2015 beigelegt werden. Die Lösung des Konflikts bestand darin, daß die EnBW ihre 26-prozentige Beteiligung an der EWE wieder abgab und dafür von EWE die Mehrheit am ostdeutschen Ferngasunternehmen VNG bekam. Zusätzlich zahlte sie einen Barausgleich in Höhe von insgesamt 125 Millionen Euro. Die EnBW erlangte so 74 Prozent an VNG und wurde zum drittgrößten Gasversorger in Deutschland nach E.ON und Wintershall (151001). Im Juni 2019 überließ die EnBW der EWE vereinbarungsgemäß die restlichen sechs Prozent, die die seit 2016 noch besaß (160414). Damit war der Weg frei für die Übertragung des Gesamtpakets an den französischen Infrastruktur-Fonds.