Mai 2019

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ENERGIE-CHRONIK


Die zwei- bis dreifache Überzeichnung der drei ersten Ausschreibungen für Windkraft an Land erwies sich schnell als Strohfeuer, nachdem die Mißbrauchsmöglichkeiten der Privilegien für "Bürgerenergiegesellschaften" beseitigt wurden. Seit der fünften Auktion wurde es sogar zur Regel, dass die Gebote für WKA-Projekte großteils nicht ausreichen, um die zur Vergabe anstehenden Megawatt-Mengen auszuschöpfen.

Windkraft an Land geht die Puste aus

Im ersten Quartal dieses Jahres wurden in Deutschland lediglich 41 landgestützte Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 134 Megawatt neu in Betrieb genommen. Im Vergleich mit den entsprechenden Quartalen der drei Vorjahre ist der Zubau um fast 90 Prozent zurückgegangen. Dies ergab eine Analyse der Fachagentur Wind an Land (FA Wind). Perspektivisch dümpelt der Zubau damit auf einem Niveau wie vor ungefähr zwanzig Jahren. Als Hauptproblem gilt inzwischen nicht mehr die 2017 eingeführte Deckelung durch gesetzlich festgelegte Ausschreibungen. Vielmehr gibt es bei diesen Ausschreibungen zu wenig Bieter und Projekte. Die Kapazität der Zuschläge, die von der Bundesnetzagentur vergeben werden, bewegt sich deshalb stark unterhalb der vorgesehenen Deckelung: Von insgesamt 4060 Megawatt Nennleistung, die seit Anfang 2018 zu vergeben waren, konnten nur 3090 MW durch Zuschläge abgedeckt werden. Bei den drei letzten Auktionen wurde die Ausschreibungsmenge von insgesamt 2020 Megawatt sogar nur mit 1109 MW ausgeschöpft. Es blieben somit 45 Prozent des gesetzlich vorgesehenen Rahmens ungenutzt, weil es zu wenig Biete rund Projekte gab.

"Wettbewerbsniveau hat eine neue besorgniserregende Dimension erreicht"

Am 13. Mai gab die Bundesnetzagentur das Ergebnis der neunten Ausschreibung für Windkraft an Land bekannt, die zum 1. Mai stattfand. Demnach wurden für die ausgeschriebenen Menge von 650 Megawatt lediglich 41 Gebote mit einem Volumen von 295 Megawatt eingereicht. Am Ende bekamen nur 270 Megawatt den Zuschlag, weil sechs Gebote die formalen Anforderungen nicht erfüllten. Die Ausschreibung war damit um 55 Prozent unterzeichnet. Die gesetzlich mögliche Zubaumenge wurde sogar zu über 58 Prozent nicht genutzt. Das Wettbewerbsniveau habe damit "eine neue besorgniserregende Dimension" erreicht, stellte die Behörde fest. Als Grund nannte sie "die schwierige Lage bei den Genehmigungen zur Errichtung von Windenergieanlagen durch die zuständigen Landesbehörden".

Regional entfielen die Zuschläge mehrheitlich auf Gebote in Nordrhein-Westfalen (10), Niedersachsen (7), sowie Brandenburg und Thüringen (jeweils 5). Süddeutschland war lediglich mit einem Projekt in Bayern vertreten. Der durchschnittliche Förderbedarf liegt mit 6,13 Cent/kWh leicht über dem Ergebnis der Vorrunde (6,11 Cent/kWh).

Bundesverband Windenergie hofft auf Besserung bei kommenden Ausschreibungen

"Die deutliche Unterdeckung der aktuellen Ausschreibungsrunde überrascht uns nicht", erklärte dazu der Bundesverband Windenergie (BWE) am 14. Mai. "Die Probleme sind bekannt. Allerdings hoffen wir, dass nun der Tiefpunkt des Zubaurückgangs erreicht ist, der durch den Fehlstart der Ausschreibungen 2017 verursacht wurde. Es ist schwierig, die aktuelle Runde positiv zu kommentieren. Für die kommenden Runden ist angesichts von mehr als 10.000 MW Wind an Land in den Genehmigungsverfahren und einer wieder ansteigenden Anzahl an Neuanträgen allerdings Besserung in Sicht."

"Bürgerenergie"-Projekte vergrößern Lücke in der Zubau-Statistik

Für einen Rückgang des Zubaues sorgen ausgerechnet die zahlreichen Projekte in der Rechtsform von "Bürgerenergiegesellschaften", die bei den drei ersten Ausschreibungen des Jahres 2017 bis zu 99 Prozent der Zuschläge erlangt haben (171112). Sie genießen nämlich das Privileg, die für den Bau erforderliche Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erst nachträglich vorlegen zu müssen. Mit der Erteilung dieser Genehmigungen ist aber in den meisten Fällen nur mit großer Verzögerung oder auch gar nicht zu rechnen. Wie der Bundesverband Windenergie am 30. April feststellte, wurden bislang nur 167 MW dieser Projekte genehmigt. Damit drohten Zuschläge in Höhe von 2500 MW wertlos zu werden. Die Politik müsse nun eine Lösung finden, "wie die verlorenen Mengen auf dem Ausbaupfad bis 2030 aufgefangen werden können".

Rückgang des Windkraft-Zubaues ist gravierender als erwartet

Es war schon immer klar, dass auf die enormen Zubau-Raten der Jahre 2014 bis 2017 ein deutlicher Rückgang folgen würde, zumal der Boom zu einem erheblichen Teil damit zu tun hatte, dass viele Investoren ihre Projekte schnell noch vor dem Außerkrafttreten der alten Einspeisungsvergütungs-Regelung fertigstellen wollten (180903). Das Ausmaß dieses Rückgangs wurde aber unterschätzt. Auf Anfrage der Grünen hatte die Bundesregierung für das Jahr 2018 ein Absinken auf 3000 bis 3500 MW prognostiziert. Tatsächlich zugebaut wurden lediglich 2402 MW. Illusorisch dürften auch die 1500 bis 2000 MW sein, die für das Jahr 2019 erwartet wurden. Wenn man vom Ergebnis des ersten Quartals ausgeht, dürfte die Zahl eher im dreistelligen Bereich liegen.

Korsett wurde zum Schlabberkleid

Bis 2018 sah es noch so aus, als ob der Zubau von Windkraftanlagen nur durch die Umstellung auf Ausschreibungen behindert würde. Die Windindustrie drängte deshalb – ebenso wie die Solarwirtschaft – auf die Vergabe zusätzlicher Kapazitäten durch Sonderausschreibungen. Im November 2018 gewährte die schwarz-rote Koalition beiden Branchen jeweils 4000 Megawatt, die in den drei Jahren von 2019 bis 2021 zusätzlich ausgeschrieben werden (181103). Bisher kann aber nur die Solarwirtschaft diesen erweiterten Spielraum problemlos mit Projekten füllen. Für die Windindustrie geriet die Aufschnürung des Korsetts zum Schlabberkleid, das die Diskrepanz zwischen möglicher Kapazitätsvergabe und tatsächlicher Nutzung unvorteilhaft unterstreicht.

Im Mai 2018 wurde die Ausschreibungsmenge erstmals unterzeichnet

Bei den ersten Auktionen, die 2017 stattfanden, wurden die Ausschreibungsmengen noch zwei- bis dreimal überzeichnet. Dieses massive Überangebot kam hauptsächlich durch die "Bürgerenergiegesellschaften" zustande. Dieses juristische Konstrukt sollte kleine private Investoren begünstigen. Tatsächlich konnte es aber ganz legal und fast komplett von professionellen Projektierern ausgenutzt werden (170504, 170801, 171112). Die damit verbundenen Vergünstigungen wurden deshalb ab 2018 gestrichen (170801, 180609). Danach erlosch das Strohfeuer: Bei der Ausschreibung zum 1. Februar 2018 war die nachgefragte WKA-Kapazität nur noch knapp 30 Prozent höher als das Angebot. Zugleich stieg der Förderbedarf von Windstrom, der infolge der scharfen Konkurrenz gesunken war, wieder deutlich an und war erstmals größer als der von Solarenergie (180201).

Eine solche maßvolle Überzeichnung wäre als Wettbewerbsniveau akzeptabel gewesen. Sie blieb aber nicht stabil: Bei der folgenden Ausschreibung zum 1. Mai 2018 standen den ausgeschriebenen 670 MW nur noch Gebote im Gesamtumfang von 604 MW gegenüber. Damit war die Ausschreibung für Windenergie zum ersten Mal unterzeichnet (180515). Bei der nächsten Auktion kam es noch einmal zu einer leichten Überzeichnung. Bei den übrigen drei Auktionen, die es bisher gab, wurde die Lücke aber am Ende so groß, dass nicht einmal mehr die Hälfte der Ausschreibungsmenge mit Geboten abgedeckt war (siehe Grafik).

Neue Anlagen vor der Küste sind sinnvoller als ein forcierter Zubau an Land

Die Vermutung der Bundesnetzagentur, dass der Mangel an Windkraft-Projekten mit der "schwierigen Lage bei den Genehmigungen zur Errichtung von Windenergieanlagen durch die zuständigen Landesbehörden" zu tun habe, ist sicher richtig. Sie greift aber zu kurz: Ganz allgemein müssen die Projektierer von landgestützten Windkraftanlagen zunehmend mit Gegenwind rechnen. Das liegt nicht an der Willkür von Behörden oder dem Opportunismus von Politikern, sondern hat nachvollziehbare Gründe. In der dicht besiedelten Bundesrepublik sind die möglichen Standorte für Windkraftanlagen nun mal begrenzt. Schon jetzt lassen sich neue Anlagen juristisch und politisch schwer durchsetzen (180811). Irgendwann wird sich ihre Errichtung auf das Ersatzgeschäft bzw. das "Repowering" beschränken müssen. Die pauschale Forderung nach einer Lockerung der behördlichen Genehmigungpraxis kann dieses Dilemma nicht lösen. Sie würde die Konflikte nur verschärfen, die in dieser Frage sogar erklärte Verfechter der erneuerbaren Energien entzweien (siehe Hintergrund, August 2015). Auch und gerade die Grünen könnten sich mit einer Forcierung des Zubaues landgestützter Windkraftanlagen gegen den Widerstand der Betroffenen eine blutige Nase holen, während Rechtspopulisten Aufwind bekämen.

Sinnvoller wäre es, die Offshore-Windenergie wieder stärker voranzutreiben. In der Nord- und Ostsee gibt es noch viel Platz für leistungsfähige Anlagen, die niemanden stören, solange sie von Land aus nicht zu sehen sind. Der 2015 verfügte Genehmigungsstopp (150501) und die seit 2017 praktizierten Ausschreibungen (170213) haben den Zubau vor der deutschen Küste in ein eng geschnürtes Korsett gezwängt, das dringend gelockert werden müsste. Einziges wesentliches Hindernis sind hier die noch fehlenden Kapazitäten für den Transport des erzeugten Stroms zu den Verbrauchsschwerpunkten. Im Netzentwicklungsplan ist der Bau entsprechender Leitungen aber bereits vorgesehen.

 

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