April 2013

130401

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Mit dem Spruch "verboten günstig" warb Flexstrom sogar im Firmen-Logo (hier am Eingang der Berliner Zentrale). Das klang schon immer wie Galgenhumor und antizipierte das Verbot der Geschäftstätigkeit, das die Bundesnetzagentur am selben Tag verhängen wollte, an dem die Gebrüder Mundt den Insolvenzantrag stellten.

Fotos (2): Leuschner

Flexstrom macht Pleite, bevor die Bundesnetzagentur das Geschäft untersagt

Der Stromanbieter Flexstrom hat am 12. April Insolvenz angemeldet. Betroffen sind auch die Tochtergesellschaften OptimalGrün, Löwenzahn Energie und FlexGas. Damit verschwindet der größte und am übelsten beleumundete Internet-Stromanbieter Deutschlands von der Bildfläche. Die Bundesnetzagentur hatte im Januar ein Verfahren zur Untersagung der Geschäftstätigkeit eingeleitet. Wie sie auf Anfrage der ENERGIE-CHRONIK bestätigte, war das Unternehmen nicht in der Lage, die von ihm verlangten "belastbaren Nachweise für die finanzielle Leistungsfähigkeit" vorzulegen. Der Bescheid zur Untersagung der Geschäftstätigkeit sollte am selben Tag verschickt werden, an dem Flexstrom die Insolvenz beantragte. Das Unternehmen wählte also sozusagen in letzter Minute den "Freitod", bevor ihm amtlich das Handwerk gelegt worden wäre. Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft inzwischen, ob mit der Insolvenz auch strafrechtliche Tatbestände verbunden sein könnten.

Auch der Gasvertrieb war nicht mehr zu retten

In der Mitteilung über die Insolvenzanmeldung hatte es zunächst geheißen, das Geschäft von FlexGas werde durch einen Investor weitergeführt. Gemeint war damit der Schweizer Finanzinvestor AKO Capital, der das Unternehmen am Tag vor der Insolvenz gekauft hatte, um es nach komplettem Austausch des Managements unter dem neuen Namen "FairTrade Gas" weiterzuführen. Am 19. April teilte die AKO Capital AG jedoch mit, daß sie von ihrem im Kaufvertrag vereinbarten Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht habe. Leider hätten "neue Erkenntnisse nach der Beurkundung zu diesem Schritt geführt".


Seit Oktober 2010 residierte Flexstrom mit seinen rund 500 Beschäftigten in diesem Gebäude am Berliner Landwehrkanal.

Flexstrom hatte zuletzt rund 500.000 Strom- und 50.000 Gaskunden. Diese werden nun vorerst von den jeweils zuständigen Grundversorgern weiter beliefert. Soweit sie Vorauszahlungen geleistet haben oder auf Bonus-Verrechnungen warten, haben sie kaum Chancen, ihr Geld wiederzusehen. Nach Angaben der Insolvenzverwaltung ist mit einem Abschluß des Verfahrens ohnehin "nicht vor Ende 2017" zu rechnen.

Aktiengesellschaft im Familienbesitz

Das Unternehmen Flexstrom wurde 2003 gegründet und war seit 2004 am Markt aktiv. Ab Mai 2010 bot es auch Gas an. Nach dem zuletzt veröffentlichen Finanzbericht machte es 2010 einen Umsatz von 268,8 Millionen Euro, der zu 99 Prozent auf Strom entfiel. Ursprünglich eine GmbH, wurde es 2008 in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von 20,1 Millionen Euro umgewandelt. Eigentümer sind zu jeweils 45 Prozent die Gebrüder Robert und Thomas Mundt. Robert Mundt ist zudem Vorstandsvorsitzender, während sein Bruder im Aufsichtsrat sitzt. Jeweils fünf Prozent halten der Finanzvorstand Martin Rothe und der Geschäftsführer der Tochter Löwenzahn Energie, Andreas Felix.

Ähnlich wie das Unternehmen Teldafax, das im Juni 2011 Insolvenz anmeldete und dessen Machenschaften derzeit strafrechtlich aufgearbeitet werden (130206), bot Flexstrom zunächst "Paket-Tarife" an, die gegen jährliche Vorauszahlungen die Lieferung einer bestimmten Strommenge zusagten. Zuletzt spielten solche Vorkasse-Angebote aber keine tragende Rolle mehr. Stattdessen operierte Flexstrom mit Bonus-Versprechungen, um in den Ergebnislisten der Tarifvergleicher als vermeintlich günstiger Anbieter an die Spitze zu gelangen. Durch irreführende Formulierungen wurde dabei den Kunden vorgegaukelt, daß sie den Bonus bereits bei einjähriger Vertragslaufzeit erhalten würden. Von den rund 14.000 Schlichtungsanträgen, die binnen eines Jahres bei der neu eingerichteten "Schlichtungsstelle Energie" eingingen, entfielen mindestens 3.500 auf Flexstrom.

Rechtsstreit um irreführende Bonus-Versprechungen ging bis zum Bundesgerichtshof

Um die Kosten des Schlichtungsverfahrens und vorhersehbare Niederlagen zu vermeiden, wählte das Unternehmen den billigeren und aussichtsreicheren Weg, seine unzufriedenen Kunden massenhaft vor Gericht zu verklagen (121117). Zur Abschreckung von klagebereiten Kunden konnte Flexstrom auf 46 Urteile von Amtsgerichten sowie vier Urteile des Berliner Landgerichts verweisen, die in der Rabulistik der Bonus-Versprechungen nichts Unrechtmäßiges zu erkennen vermeinten. Es gab aber auch andere Urteile, über die Flexstrom wohlweislich nicht berichtete. So bezeichnete das Landgericht Heidelberg die trickreich formulierte Bonus-Klausel als "versuchte Bauernfängerei" (111211). Ein Jahr später änderte auch das Berliner Landgericht seine Rechtsprechung und untersagte die irreführende Klausel, weil sie "intransparent" sei und die Kunden "entgegen Treu und Glauben" benachteilige (130112). Am 17. April – also fünf Tage nach der Insolvenzanmeldung – stellte der Bundesgerichtshof mit zwei Urteilen endgültig klar, daß die Flexstrom-Kunden den Bonus schon für ein Jahr Lieferzeit beanspruchen dürfen, weil Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen. Zuvor hatten auch die Landgerichte Ravensburg und Paderborn die mißverständlichen Bonus-Klauseln für rechtens gehalten, obwohl sie offensichtlich nur die Irreführung von arglosen und juristisch nicht vorgebildeten Kunden bezweckten.

Das Zerwürfnis mit Verivox war der Anfang vom Ende

Der rabiate Umgang mit empörten Kunden und der Dauerstreit mit Verbraucherschützern veranlaßte Ende 2011 den Tarifvergleicher Verivox, seine bisherige "Vertriebspartnerschaft" mit Flexstrom aufzukündigen (111211). In den Verivox-Ergebnislisten wurde Flexstrom nur noch dann angezeigt, wenn die Nutzer ausdrücklich auch solche Tarife zu sehen wünschten, die nicht den neuen Verivox-Richtlinien zum Verbraucherschutz entsprachen (120108). Das bedeutete für Flexstrom den Anfang vom Ende, weil das Geschäftsmodell nur funktionieren konnte, wenn trotz aller Abgänge von enttäuschten Kunden die Kundenzahl insgesamt weiter stark zunahm (130112). Dieses Ziel war aber ohne die Mithilfe des führenden Tarifvergleichers nicht zu erreichen, obwohl Flexstrom nun verstärkt auf die Kooperation mit anderen Tarifvergleichern setzte und sogar den Betreibern ganz normaler Webseiten anbot, ihnen bis zu 35 Euro für jeden vermittelten Kunden zu zahlen.

Anleihe wegen Aussichtslosigkeit wieder abgeblasen

Daß man nicht ungestraft Kunden, Verbraucherschützer und kritische Öffentlichkeit gegen sich aufbringt, bekam das Unternehmen spätestens im November 2012 zu spüren, als es die Aufnahme einer Anleihe in Höhe von 35 Millionen Euro ankündigte und drei Tage später wieder absagen mußte, weil das Scheitern mangels Kreditwürdigkeit vorhersehbar war (121117). Es war ihm somit nicht einmal mehr möglich, die durch die Abschwächung des Kundenzuwachses entstandenen Finanzierungslücken vorübergehend durch Kreditaufnahmen am Kapitalmarkt zu stopfen. Die Insolvenz war damit nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten. Der Stromanbieter löste das Liquiditäts-Problem auf seine Weise, indem er offene Rechnungen und Erstattungsansprüche mit enormer Verzögerung beglich, so daß dabei ein kostenloser Kredit herauskam. Außerdem suchte er nach Interessenten, um das marode Unternehmen möglichst gewinnbringend abzustoßen, bevor die Bundesnetzagentur endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und die Geschäftstätigkeit untersagen würde. Unter anderen sollen sich die RWE-Tochter Eprimo und der Eigentümer des Gasanbieters Goldgas für die 550.000 Namen umfassende Kundenliste interessiert haben.

Kampf mit dem "Handelsblatt" und anderen kritischen Medien

Allein die Auseinandersetzungen mit den Tausenden von Kunden, die sich betrogen fühlten, müssen ein Heer von Juristen beschäftigt haben. Nicht zu vergessen ist der moralische Schaden, den Flexstrom mit diesen Prozessen angerichtet hat, da zahlreiche Gerichte in blindem Rechtspositivismus tatsächlich der windigen Argumentation zur Rechtfertigung der Bonus-Klauseln folgten, obwohl diese offensichtlich nur der Irreführung dienten. Bei den düpierten Kunden wurde dadurch das Vertrauen in den bundesdeutschen Rechtsstaat in ähnlicher Weise erschüttert wie durch den seit Jahren andauernden Skandal des Abmahn-Unwesens (der auch mit der aktuell stattfindenden Gesetzesänderung keineswegs effektiv beseitigt wird).

Generell war Flexstrom für seine Prozeßfreudigkeit bekannt und berüchtigt. Verbraucherschützer und Medien mußten ebenfalls mit Abmahnungen, einstweiligen Verfügungen oder teuren Zivilprozessen rechnen, wenn sie über das Geschäftsgebaren des Stromhändlers berichteten. Zum Beispiel verlangte eine Berliner Anwaltskanzlei im Dezember 2012 von der ENERGIE-CHRONIK die Löschung ganzer Passagen in der Notiz 111211, weil sie angeblich "schmähende und diffamierende Äußerungen über unsere Mandantin" enthielten (siehe Hintergrund).

Der größte Intimfeind des Stromanbieters war das "Handelsblatt", das mit derselben Hartnäckigkeit, mit der es zuvor die unsauberen Geschäfte von Teldafax durchleuchtet hatte, nun den Ungereimtheiten im Imperium der Gebrüder Mundt nachging. Zum Beispiel verwies das Blatt darauf, daß die von Flexstrom ausgewiesenen Millionengewinne mehr oder weniger nur auf dem Papier standen (130112). Die Mundts revanchierten sich mit angeblichen Prozeßerfolgen gegen die "Falschberichterstattung des Handelsblatts" und entsprechenden Pressemitteilungen, die sie gegen Bezahlung über die DPA-Tochter Originaltext-Service GmbH (OTS) verbreiten ließen. Sie versuchten dabei den Eindruck zu erwecken, als ob da aus reiner Böswilligkeit oder aus Konkurrenzgründen einem ehrbaren Kaufmann am Zeug geflickt werden sollte.

Schuld an der Insolvenz waren angeblich Kunden, Netzbetreiber und Lieferanten

Schier kabarettreif waren die Verrenkungen des Unternehmenssprechers Dirk Hempel, der etwa die schleppende Begleichung von Rechnungen damit begründete, daß die Rechnungen überaus sorgsam geprüft werden müßten. Als die geplante Millionen-Anleihe abgeblasen werden mußte, lag das angeblich nicht an der mangelnden Kreditwürdigkeit des Unternehmens, sondern an der mißgünstigen Berichterstattung. Ein besonderes Meisterstück war die letzte Pressemitteilung, mit der sich Flexstrom in die Insolvenz verabschiedete: Insgesamt sei das Unternehmen "nach wie vor profitabel, aber nicht mehr liquide", hieß es da. Schuld an der Pleite seien die Kunden, deren Zahlungsmoral sich aufgrund "der fehlerhaften und schädigenden Berichterstattung vereinzelter Medien dramatisch verschlechtert" habe. Deshalb würden Flexstrom und den beiden Töchtern nun insgesamt rund 100 Millionen Euro fehlen. Schuld seien ferner die Netzbetreiber und Lieferanten, die auf der Bezahlung ihrer Rechnungen bestanden und weitere Leistungen nur noch gegen Vorkasse gewähren wollten: Sie hätten die ungünstige Berichterstattung in den Medien "zum Anlaß genommen, rechtswidrige Forderungen aufzustellen und so das Marktgeschehen beeinträchtigt".

Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich mit Teldafax

Die Insolvenz von Flexstrom erinnert stark an den vorangegangenen Zusammenbruch von Teldafax. Dennoch kann man die beiden Unternehmen nicht einfach gleichsetzen. Was sie verbindet, ist lediglich das unseriöse Geschäftsmodell, das unablässiges Wachstum voraussetzt und deshalb kollabiert, wenn die Anzahl der Kunden stagniert oder zurückgeht. Man kann Strom eben nicht dauerhaft unter dem Einstandspreis verkaufen oder mit Gewinnmargen, die unter den Kosten für Vertrieb und Werbung liegen. Beide Billigstrom-Anbieter brauchten deshalb fortlaufend neues Geld durch den Zustrom neuer Kunden, um die Lücken zu stopfen, die sich am anderen Ende auftaten. Um diesen Zustrom zu erreichen, kombinierten sie relativ niedrige Preise mit Vorkasse, Boni und ähnlichen Faktoren, die ihre Angebote in den Ergebnislisten der Tarifvergleicher und damit in der subjektiven Wahrnehmung der Kunden wesentlich günstiger erscheinen ließen als sie es tatsächlich waren.

Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Im Vergleich mit dem Chaos bei Teldafax herrschte bei Flexstrom preußische Disziplin. Es gab bis zuletzt von Wirtschaftsprüfern abgesegnete Jahresabschlüsse und keine offenkundige Insolvenzverschleppung. Die Gebrüder Mundt hatten ihr Imperium eisern im Griff. Angeblich fuhren sie sogar Millionengewinne ein, wenn man den firmenoffiziellen Angaben im Bundesanzeiger Glauben schenkte. Die pompöse Firmenzentrale am Berliner Landwehrkanal, die 2010 bezogen wurde, belegte augenscheinlich den Erfolg des Unternehmen. Ob sich aus dem Insolvenzverfahren strafrechtliche Tatbestände ergeben, muß abgewartet werden.

"Die Kunden wußten, was sie taten" meint die FAZ – aber sie wußten es eben nicht

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Flexstrom gegenüber Teldafax war die ungewöhnliche Aggressivität, mit der das Unternehmen gegen widerspenstige Kunden und Kritiker vorging. Zum Eintreiben der Forderungen gründete Flexstrom sogar ein eigenes Inkasso-Tochterunternehmen. Die Kosten für Anwälte und Gerichte müssen einen erheblichen Teil des Budgets beansprucht haben. Diese Seite ihres Lieferanten lernten die Kunden freilich erst dann kennen, wenn sie die Bonus-Versprechungen einforderten oder sich in anderer Weise unbotmäßig zeigten. Die Internet-Seiten der Stromvertriebe Flexstrom, Löwenzahn und Optimalgrün machten dagegen einen blendenden Eindruck (siehe 120108). Während auf der Internet-Seite von Teldafax der Fußballer Rudi Völler als Marktschreier warb (siehe 101007), erblickte man bei Flexstrom anonym-sympathische Verbrauchergestalten, die der "Lichtblick"-Werbung nachempfunden waren. Die Mundt-Firmen präsentierten sich als "fairer Partner für alle Privathaushalte". Überdies gaben sie ihrer Werbung noch eine moralische Note, in dem sie sich als Vorkämpfer gegen Atomstrom und verkrustete Strukturen des Energiemarktes aufspielten: "Als mittelständisches Unternehmen wollen wir den Strommarkt bewegen und die Vorherrschaft von Stromkonzernen und Stadtwerken brechen."

Deshalb lag die "Frankfurter Allgemeine" (13.4.) ziemlich schief, als sie die Kunden selber dafür verantwortlich machen wollte, daß sie der Flexstrom-Werbung auf den Leim gegangen waren. "Die Kunden wußten, was sie taten" hieß es in dem Kommentar . "Mehr staatlicher Schutz ist deshalb jedenfalls nicht nötig." – Sie wußten es eben nicht, sonst hätten sie die Finger davon gelassen. Und nach dem Teldafax-Skandal zeigt die Insolvenz von Flexstrom ein weiteres Mal, daß es geradezu zynisch ist, die Verbraucher dafür verantwortlich machen zu wollen, wenn sie im Haifischbecken des neoliberalisierten Energiemarktes zu Schaden kommen.

Links (intern)

 

 

Hintergrund

Angriff auf die Pressefreiheit

Wie Flexstrom eine unliebsame Notiz der ENERGIE-CHRONIK zu unterdrücken versuchte

(siehe oben)

Die Adresse des Berliner Absenders klang nobel ("Unter den Linden"). Der Inhalt des Schreibens war es nicht. Im barschen Ton eines Großinquisitors verlangte die Anwaltskanzlei von der ENERGIE-CHRONIK, "schmähende und diffamierende Äußerungen über unsere Mandantin" unverzüglich aus dem Internet zu löschen. Gemeint war die im Dezember 2011 erschienene Notiz 111211 über den Berliner Stromanbieter Flexstrom, dessen Geschäftspraktiken vom Heidelberger Landgericht als "versuchte Bauernfängerei" bezeichnet worden waren und dem der Tarifvermittler Verivox die "Vertriebspartnerschaft" aufgekündigt hatte, um nicht von Verbraucherschützern der Komplizenschaft bezichtigt zu werden.

Das anwaltliche Schreiben datierte vom 10. Dezember 2012. Die Notiz stand zu diesem Zeitpunkt ein Jahr lang im Netz. Daß der Stromanbieter erst jetzt daran Anstoß nahm, war wohl damit zu erklären, daß er kurz zuvor mit dem Versuch gescheitert war, sich über eine Mittelstandsanleihe 35 Millionen Euro frisches Geld zu besorgen (121117). Aus der Sicht von Flexstrom lag das nämlich nicht an der tatsächlich fehlenden Kreditwürdigkeit des Unternehmens, sondern allein an der mißgünstigen Berichterstattung in den Medien, die "eine faire Bewertung der Emission nicht mehr möglich erscheinen läßt".

Flexstrom war bereits als Prozeßhansel bundesweit bekannt und berüchtigt. Anscheinend gaben die Gebrüder Mundt nun aber Anweisung, verstärkt alles unter Beschuß zu nehmen, was als Kritik an ihren Geschäftspraktiken verstanden werden konnte, auch wenn es sich nur um Tatsachenfeststellungen und durchaus zulässige Wertungen wie in der erwähnten Notiz handelte.

Die beauftragte Anwaltskanzlei machte sich nicht einmal die Mühe, die verlangten Streichungen näher zu begründen. Sie beließ es bei der pauschalen Behauptung, das "Unternehmenspersönlichkeitsrecht" ihrer Mandantin werde durch "zahlreiche Tatsachenbehauptungen, Meinungsäußerungen auf Grundlage unwahrer Anknüpfungstatsachen sowie schmähende und diffamierende Äußerungen" verletzt.

Auf den beiden folgenden Seiten listete das anwaltliche Schreiben die "rechtswidrigen Inhalte" auf, die bis Montag, den 17. Dezember 2012 aus dem Internet gelöscht werden sollten. Wen es interessiert, kann HIER den Originaltext samt den verlangten Streichungen nachlesen. Mit bombastischem juristischen Getöse wurde sodann ein kostspieliger Prozeß angedroht, falls man dem Ansinnen nicht Folge leisten sollte: "Wir weisen Sie darauf hin, daß Sie bei der Verbreitung von Inhalten in Kenntnis deren Rechtswidrigkeit als Störer in Haftung genommen werden können und etwaige Kosten unserer hierfür erforderlichen Inanspruchnahme zu tragen haben."

Das war nichts anderes als ein Einschüchterungs- und Zensurversuch, der noch erheblich massiver vorgetragen wurde als das Ansinnen des Gazprom-Managers Strehober, die Erwähnung seiner Stasi-Vergangenheit aus der ENERGIE-CHRONIK zu tilgen (siehe Hintergrund, November 2012). Völlig rätselhaft blieb dabei, wie die Kanzlei, die ausweislich ihres Briefbogens auf Urheber- und Medienrecht spezialisiert ist, die behauptete Rechtswidrigkeit der beanstandeten Passagen eigentlich konkret begründen wollte. Aber das kam wohl nicht von ungefähr: Eine kleine Umfrage bei Verbraucherschützern ergab, daß die Kanzlei dort bereits bekannt war. Ihr Schreiben bestand offenbar aus Textbausteinen, mit denen nicht zum ersten Mal Flexstrom-Kritiker zum Schweigen gebracht werden sollten.

Zum Schluß folgte noch der Hinweis: "Dieses Schreiben ist allein zur äußerungsrechtlichen Interessenwahrnehmung bestimmt und darf weder ganz noch in Teilen veröffentlicht werden."

Das mag für die Ohren von juristischen Laien so klingen, als drohe ein Erpresser mit Sanktionen, falls man den Erpresser-Brief an die Polizei – in diesem Falle wäre das die Öffentlichkeit – weiterleiten würde. Aber es gehört tatsächlich zu den Absurditäten des deutschen Medienrechts, daß die Dokumentation solcher anwaltlichen Einschüchterungsversuche untersagt werden kann. Und zwar unter Berufung auf das Urheberrecht, das prinzipiell jede Form "geistigen Eigentums" schützt, auch wenn es sich sprachlich nur um Schrott und inhaltlich um Unsinn handelt. Zum Beispiel konnte deshalb der Versicherer Ergo das "Handelsblatt" verklagen, nachdem das Blatt aus internen Revisionsprotokollen zu einer Rotlicht-Affäre zitierte, bei der die Versicherung ihre erfolgreichsten Vertreter mit Gratis-Diensten von Prostituierten belohnt hatte. Wer juristisch gegen unliebsame Veröffentlichungen zu Felde zieht, hat somit ein wunderbares Mittel zur Hand, um die Pressezensur, die es laut Grundgesetz nicht geben darf, durch die Hintertür des Urheberrechts wieder einzuführen.

Dankenswerterweise hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diesem Mißbrauch endlich einen Riegel vorgeschoben. Mit einer vom 10. Januar 2013 datierten Entscheidung hat er deutlich gemacht, daß diese Interpretation des Urheberrechts mit der Freiheit der Meinungsäußerung unvereinbar ist, wie sie in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird. Die in Straßburg verhandelte Klage richtete sich gegen den französischen Staat mit seinem besonders repressiven Urheberrecht. Aber auch der deutsche Gesetzgeber ist damit aufgefordert, das nationale Urheberrecht so zu ändern, daß es nicht mehr gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstößt.

 

Link (extern, ohne Gewähr)

  • PDF Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 10.1.2013: "Affaire Ashby Donald et autres c. France" (der Text ist nur auf französisch verfügbar)