Oktober 2014

141004

ENERGIE-CHRONIK


Strom- und Gaspreiserhöhungen müssen auch gegenüber Tarifkunden begründet werden

Auch solche Verbraucher, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht mit Strom und Gas beliefert werden, müssen vor Inkrafttreten einer Preiserhöhung rechtzeitig über deren Anlaß, Voraussetzungen und Umfang informiert werden. Nur dann können sie in voller Sachkenntnis eine Entscheidung darüber treffen, ob sie die Preiserhöhung akzeptieren, sie anfechten oder lieber zu einem anderen Lieferanten wechseln wollen. Es reicht nicht aus, dem Tarifkunden die Preiserhöhung nur mit angemessener Frist mitzuteilen und gegebenenfalls die rechtzeitige Lösung des Liefervertrags zu ermöglichen. So entschied am 23. Oktober der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg. Er verwarf damit die bisherige Praxis der Grundversorger, in den Lieferverträgen für ihre Tarifkunden lediglich die Minimalanforderungen aus § 5 der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) und § 5 der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) zu berücksichtigen.

Die seit acht Jahren geltenden Grundversorgungsverordnungen für Strom und Gas (061103) reichen demnach nicht aus, um die Verbraucherschutzvorschriften in den EU-Richtlinien für Strom und Gas zu erfüllen. Erst recht gilt das für die Vorgänger-Regelungen: Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) und die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV). Diese alten Vorschriften, die von Juni 1979 bis November 2006 gültig waren, spielten in dem vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls eine Rolle, da er bis ins Jahr 2005 zurückreicht.

Bundesgerichtshof ließ Vereinbarkeit mit europäischem Recht prüfen

Auslöser des Luxemburger Urteils waren zwei Klagen von deutschen Tarifkunden. Beide Kläger waren in Deutschland sowohl vor dem Amtsgericht als auch in der Berufungsinstanz gescheitert. Sie hatten jedoch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen. Dieser hatte daraufhin den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage aufgefordert, wieweit solcher Grundversorger-Verträge mit den Anforderungen der EU-Richtlinien für Strom und Gas vereinbar sind.

Im einen Fall hatte eine Gaskundin der Technischen Werke Schussental (TWS) den Jahresabrechnungen für die Jahre 2005 bis 2007 widersprochen, da sie die Preiserhöhungen für unbillig hielt. Im anderen Fall hatte ein Strom- und Gaskunde der Stadtwerke Ahaus (SWA) die Rechnungen für die Jahre 2005 bis 2007 nur unter Vorbehalt gezahlt und Rückforderungen geltend gemacht, weil er die Preiserhöhungen für ungerechtfertigt hielt. Die Versorger beriefen sich dagegen auf die abgeschlossenen Verträge, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechen würden.

Keine zeitliche Begrenzung der Urteilswirkung

Auf der Grundlage des Luxemburger Urteils wird der Bundesgerichtshof demnächst den Klagen der beiden Tarifkunden wohl stattgeben. Darüber hinaus ist mit zahlreichen anderen Klagen von Kunden zu rechnen, deren Grundversorgungsverträge ähnlich mangelhaft sind und die deshalb die Rückgängigmachung von Preiserhöhungen verlangen können. Die beiden Versorger hatten beantragt, die Wirkung des Urteils um 20 Monate aufzuschieben, um dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen dieses Urteils zu ermöglichen. Zur Begründung führten sie an, daß andernfalls durch rückwirkend erhobene Forderungen die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland erschüttert würde. Sie wurden dabei durch eine Stellungnahme der Bundesregierung unterstützt. Das Gericht lehnte aber eine zeitliche Begrenzung der Urteilswirkung ab. Es wird nun aber wohl von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs abhängen, wieweit in ähnliche gelagerten Fällen die Preiserhöhungen rückwirkend angefochten werden können.

Neue EU-Richtlinien stellen ähnlich hohe Ansprüche an den Verbraucherschutz

Konkret ging es in den strittigen Fällen um die Strom- und Gasrichtlinien aus dem Jahr 2003 (030704), die inzwischen aufgehoben wurden. Der Bundesgerichtshof wollte wissen, wie in der Strom-Richtlinie der Artikel 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A und in der Gas-Richtlinie der Artikel 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A auszulegen ist. Die genannten Passagen verpflichten die Mitgliedsstaaten jeweils auf "hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren", wobei der Anhang A näheres für Haushaltskunden regelt.

Mittlerweile wurden beide Richtlinien durch die seit 2009 gültigen Neufassungen ersetzt (090401). Aber auch diese enthalten ähnliche Formulierungen, auf die sich das jetzt ergangene Urteil sinngemäß übertragen läßt. In der neuen Strom-Richtlinie sind das der Artikel 3 in Verbindung mit Anhang 1 und in der Gas-Richtlinie der Artikel 3 in Verbindung mit Anhang 1.

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