Forschungsverbund hält neues "Stromsystemdesign" für erforderlich
Im Unterschied zur Forderung der Stromwirtschaft nach einem neuen "Marktdesign"
hält der Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE) ein neues "Systemdesign"
für notwendig. Am 24. Juni veröffentlichte er ein Positionspapier,
mit dem er aus seiner Sicht die wichtigsten Anforderungen an das künftige
System der Stromversorgung skizziert. Er verwendet dabei bewußt die Bezeichnung
"Systemdesign", weil diese der Komplexität der Aufgabenstellung
und möglicher Lösungen weit besser gerecht werde.
Weshalb der Begriff "Strommarktdesign" der anstehenden Aufgabe nicht
gerecht wird, begründet der Forschungsverbund so:
"Niemand wird ernstlich Märkte für Stromnetze verlangen,
niemand wird die netztechnischen Systemdienstleistungen in Gänze über
Märkte beschaffen wollen, und immer mehr Ökonomen gelangen zu der
Erkenntnis, daß das öffentliche Gut Versorgungssicherheit nicht
quasi nebenbei über die bestehenden Teilmärkte bereitgestellt werden
kann, sondern explizit nachgefragt werden muß."
Gegenwärtiges Stromsystem ist für hohen
Anteil erneuerbarer Energien nicht geeignet
Es bestehe sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Handlungsbedarf zur
Veränderung des bestehende Stromsystems. In seiner derzeitigen Auslegung
sei es für hohe Anteile erneuerbarer Energien nicht geeignet, weil sich
die fluktuierenden erneuerbaren Energien Wind und Sonne (FEE) nicht in grenzkostenbasierte
Märkte integrieren lassen. Dies zeige sich besonders beim Merit-Order-Effekt,
wo die Einspeisung der Erneuerbaren die Großhandelspreise senkt, aber
dadurch gleichzeitig die Differenz zu den Fördersätzen erhöht,
was in widersinniger Weise die EEG-Umlage erhöhe. Die
Senkung der Großhandelspreise bewirke zugleich eine mangelnde Rentabilität
von Kraftwerken, die zur Deckung der "Residuallast" bereitgehalten
werden müssen, die sich aus der schwankenden FEE-Einspeisung ergibt. Ferner
sei das bestehenden Systemdesign einseitig auf maximale Dauerleistung ausgerichtet.
Zum Beispiel fehle es bei der Photovoltaik an Anreizen, die weniger ergiebigen
Stunden der Sonneneinstrahlung besser zu nutzen, indem auch nach Osten und Westen
gerichtete Dächer mit Solarmodulen bestückt werden.
Das bestehende Systemdesign belaste so die gesellschaftliche Akzeptanz für
die Energiewende. Kostentransparenz und Vergleichbarkeit für alle Energiearten
seien gegenwärtig nicht gegeben. Die EEG-Umlage sei "ein verzerrter
Indikator" für die tatsächlich notwendigen Kosten der Erneuerbaren
Energien. Zudem müßten die bestehenden Ausnahmeregelungen
für Unternehmen im Sinne einer gerechten und sozialen Kostenverteilung
überprüft werden.
Die wichtigsten Voraussetzungen für ein Gelingen der "Energiewende"
Ein neues Systemdesign muß nach Ansicht des Forschungsverbundes folgende
neun Voraussetzungen erfüllen, um ein Gelingen der "Energiewende"
zu ermöglichen:
- Die fluktuierenden erneuerbaren Energien Sonne und Wind (FEE) werden die
Hauptsäule der künftigen Stromversorgung bilden.
- Die FEE erzeugen Strom annähernd grenzkostenfrei und mit zumeist hohen
Fixkosten (Investitions- und Kapitalkosten). Daher benötigen sie geeignete,
hinreichende und verläßliche Refinanzierungsmechanismen.
- Das EEG ist in Deutschland ein bewährtes Instrument, welches auch
weiterhin den sich ändernden Randbedingungen angepasst werden kann. Das
Prinzip des EEG, d.h. eine festgelegte Vergütung der eingespeisten Arbeit
über einen vorab definierten Zeitraum zur Deckung der Fixkosten von EE-Anlagen,
bietet eine verläßliche Refinanzierungsmöglichkeit und damit
die erforderliche Investitionssicherheit. Um den gewünschten Zubau an
FEE zu erzielen, sollte dieses Grundprinzip bei einer Weiterentwicklung des
EEG beibehalten werden.
- Die FEE benötigen im neuen Stromsystem vielfältige Flexibilitätsoptionen
zur Überbrückung kurz-, mittel- und langfristiger Angebotslücken
und -überschüsse. Die Flexibilitätsoptionen haben dementsprechend
eine "dienende" Funktion und müssen sich den Anforderungen
der FEE anpassen. Zu diesen Flexibilitätsoptionen zählen erdgasbetriebene
Gas-und-Dampf- sowie Gasturbinenkraftwerke und andere fossile Bestandsanlagen
(ggf. nach Retrofit), Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (nach Flexibilisierung
durch Wärmespeicher), verbrauchsseitige Maßnahmen (Demand-Side-Management),
Biomasse-Anlagen sowie mittelfristig Speicher und der Austausch im Rahmen
des europäischen Verbundes.
- Um dem Einsatz der Flexibilitätsoptionen gerecht werden zu können,
sollten bereits kurzfristig die Dispatchmärkte (Großhandels- und
Regelenergiemärkte) an die Gegebenheiten des zukünftigen Stromsektors
angepasst werden (z.B. durch verkürzte Fristigkeiten der Märkte).
- Die Flexibilitätsoptionen benötigen geeignete Finanzierungsmechanismen.
Perspektivisch erscheint ein Mechanismus für die Vergütung von Kapazitätsvorhaltung
für Flexibilitätsoptionen als notwendig. Die Konzipierung solcher
Kapazitätsmechanismen sollte aufgrund der Wechselwirkungen mit dem Energy-Only-Markt
(z.B. höhere Börsenpreise
bei Verdrängung von Altanlagen mit moderaten Brennstoffkosten) und den
Risiken hoher Mitnahmeeffekte sehr sorgfältig erfolgen.
- Der Einsatz von Speichern als Flexibilitätsoption ist gegenwärtig
vor allem dort zu nutzen, wo – bevorzugt mittels einer bereits bestehenden
Infrastruktur – Strommengen aus EE-Anlagen eingespeichert werden können,
die andernfalls von Einspeisemanagement-Maßnahmen betroffen wären.
Erst wenn das Dargebot erneuerbarer Energien den Verbrauch
im Gesamtnetz in großem Umfang übersteigt, sollte es notwendig
sein, diese überschüssige Energie zu speichern und zu einem späteren
Zeitpunkt zu verwerten.
- Der netzdienliche Einsatz von Speichern (um z.B. in Verteilnetzen die Aufnahmekapazitäten
zu erhöhen und Spannung sowie Frequenz zu stabilisieren) kann im Einzelfall
heute schon angemessen und im Effizienzvergleich zu alternativen Technologien
durchaus überlegen sein. Dennoch sollte der Speichereinsatz nicht zu
einer Vernachlässigung des
Netzausbaus führen. Um für künftige Aufgaben als umweltfreundliche
und kostengünstige Alternative zur Errichtung zusätzlicher brennstoffbasierter
Kraftwerke zur Verfügung zu stehen, sollten alle aussichtsreichen Speichertechnologien
und ihre Vermarktungsmöglichkeiten mit Nachdruck erforscht und erprobt
werden.
- Weiterhin werden verschiedene Typen von Erzeugungsanlagen, so genannte
Must-Run-Funktionen, zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität (z.B.
zur Spannungshaltung) benötigt. Die Inflexibilitäten der Must-Run-Anlagen
müssen reduziert werden, ihre Funktionen sollten sukzessive von den (F)EE
übernommen werden.
Links (intern)n
- BDEW verlangt "neues Marktdesign, das konventionelle und erneuerbare
Energien verbindet" (130406)