März 2011 |
110301 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi am fünften Tag nach dem Erdbeben: Wasserstoff-Explosionen haben bei den Blöcken 1, 3 und 4 das Reaktorgebäude gesprengt und im Innern von Block 2 das Containment beschädigt. Aus zwei Blöcken entweicht Dampf bzw. Rauch, der vermutlich radioaktiv verseucht ist. Die Blöcke 5 und 6 befinden sich rechts davon und sind auf diesem Foto nicht zu sehen (siehe Luftbild der Gesamtanlage). Foto: DigitalGlobe-Imagery
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Ein Erdbeben und die dadurch ausgelöste Flutwelle haben am 11. März an der Ostküste Japans enorme Verwüstungen angerichtet und schätzungsweise über 20.000 Tote gefordert. Dabei wurde auch das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi (siehe Karte) schwer beschädigt. Wegen Ausfalls der Kühleinrichtungen kam es in den Reaktoren und Abklingbecken teilweise zur Kernschmelze der Brennstäbe mit Freisetzung von Radioaktivität. Vier der sechs Siedewasserreaktoren wurden irreparabel zerstört. Nach Regierungsangaben werden auch die beiden anderen Reaktoren nicht mehr ans Netz gehen. Ende März war die Katastrophe noch nicht bewältigt und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) bezeichnete die Situation als "sehr ernst".
In Japan waren bisher 54 Reaktoren an 16 Standorten in Betrieb. In der Mehrzahl handelte es sich um Siedewasser-Reaktoren (rot). Zu den größten Anlagen gehörte das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi, das nun dem Erdbeben zum Opfer fiel. Der "Schnelle Brüter" Monju wurde nach dem schweren Störfall des Jahres1995 (951209) abgeschaltet, hat aber vor knapp einem Jahr den Testbetrieb wieder aufgenommen. |
Der Betreiber Tepco und die Behörden versuchten zunächst, das Ausmaß und die Konsequenzen der Katastrophe zu verharmlosen, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach geschehen war (020910, 070704). Erst am siebten Tag sprach die japanische Atombehörde von einem "ernsten Unfall" gemäß Stufe 5 der insgesamt sieben Stufen umfassenden Ines-Skala (021104). Vertreter der amerikanischen und französischen Atomaufsicht hielten indessen die Stufe 6 ("schwerer Unfall") für angemessener. Die japanische Reaktorkatastrophe würde damit nur noch vom bisher schwersten KKW-Unglück übertroffen, das sich 1986 im sowjetrussischen Kernkraftwerk Tschernobyl ereignete (Ines-Stufe 7).
Das in den siebziger Jahren errichtete Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi besteht aus sechs Siedewasser-Reaktoren, die von General Electric (GE) geliefert oder nach GE-Muster von den japanischen Kraftwerksbauern Toshiba und Hitachi errichtet wurden (siehe Tabelle). Die nach US-amerikanischen Maßstäben konzipierte Anlage war der Stärke des Erdbebens (9,0 auf der Richterskala) wie auch der der Flutwelle (13 bis 15 Meter) bauartbedingt nicht gewachsen. Die Reaktoren waren nur für ein Beben der maximalen Stärke 8,2 ausgelegt und die Schutzmauern am Pazifik (siehe Luftbild) nur 5,70 Meter hoch. Es half deshalb wenig, daß das Kernkraftwerk – wie die benachbarten Kernkraftwerke Fukushima-Daini, Onigawa und Tokai – sofort abgeschaltet wurde, als sich um 14.46 Uhr Ortszeit (06.46 MEZ) das Erdbeben ereignete, dessen Epizentrum etwa 155 Kilometer östlich der Stadt Sendai im Pazifik lag. Die automatische Schnellabschaltung brauchte nur bei drei der sechs Reaktoren ausgelöst zu werden. Die andere Hälfte war ohnehin schon seit längerem abgeschaltet.
In den ersten Minuten nach der Schnellabschaltung schien noch alles nach Plan zu verlaufen. Durch das Erdbeben war zwar die externe Stromversorgung des Kernkraftwerks zerstört worden. Sofort sprangen jedoch die Dieselgeneratoren der Notstromversorgung an, um die Kühlung aufrechtzuerhalten, die zur Abfuhr der Nachwärme in den abgeschalteten Reaktoren sowie zur Kühlung der Brennelemente in den Abklingbecken notwendig ist.
Das eigentliche Verhängnis begann, als um 15.30 Uhr die vom Erdbeben ausgelöste Flutwelle die Küste bei Fukushima-Daiichi erreichte. Dieser "Tsunami" überflutete das KKW-Gelände. Um 15.41 Uhr fiel durch den Wasserschaden die Notstromversorgung der soeben abgeschalteten drei Blöcke aus. Damit setzte die Nachkühlung der Reaktoren aus. Zugleich unterblieb die Kühlung jener Brennelemente, die außerhalb der Reaktoren in Abklingbecken lagerten. Das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi verfügte neben einem zentralen Abklingbecken über sechs einzelne solcher Anlagen, die jeweils oberhalb der Reaktorbehälter angebracht waren. Infolge des notwendigen und nunmehr unterbrochenen Wasseraustauschs begannen diese Abklingbecken sich zu erhitzen und teilweise zu sieden.
Es begann nun ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit, um die Überhitzung der Brennelemente zu stoppen und eine Kernschmelze zu verhindern. Wegen der überhitzten und teilweise freiliegenden Brennstäbe bildete sich in den Reaktordruckbehältern unter anderem Wasserstoff, der per Druckentlastung in die Sicherheitsbehälter und von dort in in das Containment gelangte. Am 12. März kam es deshalb in Block 1 zu einer Knallgas-Explosion, die den oberen Teil des Reaktorgebäudes wegsprengte. Am 14. März folgten ähnliche Explosionen in den Blöcken 3 und 4, die ebenfalls die Reaktorgebäude beschädigten. Eine weitere Wasserstoff-Explosion ereignete sich am 15. März in Block 2, wobei zwar das Reaktorgebäude standhielt, aber die innere Hülle des Containments beschädigt wurde (siehe Foto).
In ihrer Not verwendeten die Rettungsmannschaften mit Bor vesetztes Meerwasser, um es in noch intakte Teile des Kühlsystems einzuleiten und die Abklingbecken aus Wasserwerfern zu besprühen. Vorübergehend wurde auch versucht, das Meerwasser aus Hubschraubern aufs Reaktorgebäude zu schütten. Besonders kritisch war die Situation bei Block 4, da hier sämtliche Brennelemente des stillgelegten Reaktors im Abklingbecken lagerten. Die Salzkruste, die allmählich durch Verdampfen des Meerwassers an den Brennstäben entstand, komplizierte das Kühlproblem noch. Auch nach Wiederherstellung der externen Stromversorgung gelang es nur teilweise, die Kühlung mit Pumpen bzw. Ersatzpumpen erneut in Gang zu bringen.
Nach der Reaktorkatastrophe wurden in Proben von Milch, Gemüse und Wasser erhöhte Konzentrationen der Radionuklide Jod 131 und Cäsium 137 festgestellt, die als Betastrahler mit der Nahrung aufgenommen werden. Die japanischen Behörden begnügten sich indessen damit, die Bevölkerung in einem Umkreis von zwanzig Kilometern um die Anlage zu evakuieren und ihr bis zum Alter von vierzig Jahren die Einnahme von Jod-Pillen zu empfehlen. In mehr als dreißig Kilometer Abstand würden die gemessenen Radioaktivitäts-Werte keine gesundheitlichen Risiken bedeuten, hieß es. Später wurde zeitweilig sogar für die Hauptstadt Tokio Trinkwasseralarm wegen erhöhter Belastung mit radioaktivem Jod-131 gegeben. Am 24. März mußten drei Arbeiter in eine Klinik gebracht werden, weil ihnen bei Arbeiten an Block 3 radioaktiv verseuchtes Wasser in die Schuhe gelaufen war. Die Information durch die japanischen Behörden und durch die internationale Atomenergieorganisation IAEA (110303) blieb insgesamt unvollkommen, unübersichtlich und in der Tendenz eher verharmlosend. Zum Teil mag dies damit zu tun haben, daß ihnen selber der Überblick fehlte.
Vergleichsweise gering blieben die Schäden in den Kernkraftwerken Fukushima-Daini, Onigawa und Tokai, die nach dem Erdbeben ebenfalls automatisch abgeschaltet worden waren. Im Kernkraftwerk Onagawa brach ein Brand in der Turbinenhalle aus, der in der Nacht zum 12. März gelöscht wurde. In Tokai fiel am 13. März eine Kühlpumpe aus. Erheblich gravierendere Probleme gab es in Fukushima-Daini, wo bei dreien der vier Blöcke die ordnungsgemäße Abfuhr der Nachzerfallswärme versagte, bevor die Reaktoren doch noch in einen unkritischen Zustand gebracht werden konnten. Die japanische Atomaufsicht bewertete dieses Versagen mit Stufe 3 der Ines-Skala (siehe Tabelle). Auch hier wurde eine Evakuierung angeordnet, wobei sich der Radius von zehn Kilometern allerdings größtenteils mit der Zwanzig-Kilometer-Zone um das benachbarte Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi überschnitt.
Luftbild des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi aus dem Jahr 1975: Ganz rechts wird soeben das Gebäude für Block 6 errichtet. Foto: Qurren/Japan Ministry of Land,
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