Juni 2010

100606

ENERGIE-CHRONIK


Rußland baut neue Reaktoren in der Ukraine und der Türkei

Sieben Wochen nach der Unterzeichnung des Flottenvertrags und der Gewährung stark verbilligter Gaspreise für die Ukraine (100402) hat der Kreml der neuen Regierung in Kiew auch den Bau von zwei neuen Reaktoren zugesagt. Am 9. Juni unterzeichneten der Chef der russischen Atomenergie-Holding Rosatom, Sergej Kirijenko, und der ukrainische Energieminister Juri Bojko in Kiew ein entsprechendes Abkommen. Die Reaktoren sollen im Kernkraftwerk Chmelnizki in der Westukraine errichtet werden. Auf politischer Ebene war die Vereinbarung von den Ministerpräsidenten beider Staaten, Wladimir Putin und Juri Asarow, bereits am 30. April eingefädelt worden.

In der Ukraine sind derzeit an vier Standorten 15 Druckwasserreaktoren des Typs WWER in Betrieb, die über eine Netto-Leistung von insgesamt 13.100 MW verfügen. Wie die inzwischen stillgelegten vier RBMK-Reaktoren in Tschernobyl stammen alle noch aus der Zeit, als die Ukraine zur Sowjetunion gehörte. Die drei Reaktoren Chmelnizki 2, Rowno 4 und Saporoschje 6 bilden dabei insofern eine Ausnahme, als sie erst nach dem Ende der Sowjetunion und einem zeitweiligen Baustopp (931016) mit westlicher Unterstützung vollendet und in Betrieb genommen wurden (970215). In Chmelnizki sollen nun die beiden WWER-Reaktoren, die in den Jahren 1987 und 2004 in Betrieb gingen, durch zwei weitere Reaktoren desselben Typs ergänzt werden, die ebenfalls über eine Netto-Leistung von 950 MW verfügen. Die Vergabe des Auftrags an die russische Atomstroyexport scheiterte bisher an Geldmangel. Dieses Problem besteht nun nicht mehr, da sich Rußland bereiterklärte, der Ukraine das Geld vorzuschießen. Die Ukraine mußte sich dafür unter anderem verpflichten, den Brennstoff für ihre Kernkraftwerke 25 Jahre lang nur aus Rußland zu beziehen.

Auch das neue türkische Kernkraftwerk Akkuyu wird weitgehend von Rußland finanziert

In der Türkei kommt Atomstroyexport ebenfalls zum Zuge: Hier soll schon seit langem in einem erdbebengefährdeten Gebiet das Kernkraftwerk Akkuyu mit vier Reaktoren und einer Gesamtleistung von 4000 MW errichtet werden. Das Projekt war vor zehn Jahren wegen Geldmangels auf Eis gelegt worden(000718). Als es vor zwei Jahren reaktiviert wurde, erhielt Atomstroyexport den Zuschlag, da sich alle anderen Anbieter aus der Ausschreibung zurückzogen. Im August 2009 nahmen die Regierungschefs Putin und Erdogan das Projekt in ihre energiepolitischen Vereinbarungen auf (090804). Schon ein Vierteljahr widerrief die türkische Regierung aber die Ausschreibung, da man sich mit den Russen wohl doch nicht über die finanziellen Konditionen einigen konnte (091106). Offiziell berief sich die Regierung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der das Fehlen von Wettbewerbern bei der Ausschreibung beanstandet hatte.

Bei einem Besuch in Ankara unterzeichnete der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew mit seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül am 14. Juni nun ein neues Abkommen über die Durchführung des Projektes. Die Reaktoren sollen in sieben Jahren ans Netz gehen. Der Vertrag muß noch von den Parlamenten beider Länder ratifiziert werden. Die Baukosten von rund 16 Milliarden Euro werden anscheinend weitgehend von den Russen getragen. "Zum ersten Mal wird Rußland das Kraftwerk nicht nur bauen, wie wir das schon in Indien und im Iran getan haben, sondern wird es auch besitzen", sagte Rosatom-Chef Sergej Kirijenko.

In Bulgarien soll das KKW Belene nun doch gebaut werden

In Bulgarien scheint der russische Atomkonzern ebenfalls bereit zu sein, die Kosten für das seit langem geplante Kernkraftwerk Belene selbst zu tragen oder vorzuschießen. Ministerpräsident Bojko Borissow hatte nach seinem Regierungsantritt das Projekt wegen Geldmangels gestoppt (090809), worauf sich der RWE-Konzern aus der Projektgesellschaft zurückzog (091002). "Das Projekt wird umgesetzt", erklärte Borissow nun am 25. Juni vor dem Parlament. Die Gründe für diesen Schwenk sind noch unklar. In jedem Fall müßte die bulgarische Regierung einen ausländischen Geldgeber gefunden haben, da der Staat selber kein Geld für einen KKW-Neubau erübrigen kann.

Tschechien will im Kernkraftwerk Temelin zwei neue Blöcke errichten

In Tschechien soll das Kernkraftwerk Temelin um zwei Blöcke erweitert werden. Darauf verständigten sich die drei Parteien, die gemeinsam die neue konservative Regierungskoalition bilden wollen. Vorbereitungen dafür liefen bereits unter der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek, der dem tschechischen Energiekonzern CEZ in besonderer Weise verbunden war (091017). Neben Westinghouse und Areva gilt auch hier die russische Atomstroyexport als Favorit.

In Temelin gibt es bisher zwei Reaktoren Druckwasserreaktoren des Typs WWER, die bereits geplant und in Angriff genommen wurden, als Tschechien noch ein Vasall der Sowjetunion war. Das Kernkraftwerk ist nur etwa sechzig Kilometer von den Grenzen zu Österreich und Deutschland entfernt. Die Weiterführung des Baues nach der Auflösung des Ostblocks stieß deshalb in beiden Ländern auf heftigen Protest (010714, 020110). Nach zwei Jahren Probebetrieb und zahlreichen Pannen befinden sich die fertiggebauten Blöcke seit Herbst 2004 im Vollbetrieb (041008). Zusammen mit vier weiteren Blöcken am Standort Dukovany, die bereits in den achtziger Jahren in Betrieb gingen, verfügt Tschechien derzeit über eine KKW-Leistung von insgesamt 3600 MW.

Japan nimmt Schnellen Brüter Monju wieder in Betrieb

In Japan ging am 6. Mai das Kernkraftwerk Monju wieder in Betrieb, das als "Schneller Brüter" konstruiert ist. Die Anlage stand seit 14 Jahren still. Sie mußte Ende 1995 nach nur einem Vierteljahr Betriebszeit abgeschaltet werden, weil das Kühlmittel Natrium ausgetreten war und sich entzündet hatte (951209). Der schwere Störfall und seine versuchte Vertuschung hatten die kernkraftfreundliche Stimmung in Japan zeitweilig erheblich gedämpft (960817). Mit der Wiederinbetriebnahme bekundet die japanische Regierung ihre Entschlossenheit, an der hochgefährlichen Brütertechnologie festzuhalten und bis zum Jahr 2025 einen noch größeren Plutonium-Reaktor zu bauen.

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