Januar 2024 |
240106 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Internet-Seite des bei der Weltbank in Washington angesiedelten internationalen Schiedsgerichts ICSID (210312) ist zu entnehmen, dass eine dort seit 2015 anhängige Schadenersatzklage des E.ON-Konzerns gegen die spanische Regierung am 18. Januar "zugunsten des Investors" entschieden worden sei. Mehr wird nicht mitgeteilt, denn Intransparenz ist ein fester Bestandteil derartiger Schiedsverfahren, über deren Ausgang nur die Beteiligten näheres sagen können oder auch nicht. Das will in diesem Fall aber zumindest E.ON nicht, und bei der spanischen Regierung ist ähnliche Zurückhaltung zu vermuten. Auf Nachfrage der ENERGIE-CHRONIK ließ der Konzern lediglich verlauten: "E.ON begrüßt die Entscheidung des ICSID. Sie stärkt international das Vertrauen in verlässliche Investitionen in Erneuerbare-Energien-Projekte." Man möge bitte Verständnis dafür haben, wenn außer dieser Stellungnahme nicht auf Details eingegangen werde. Auch gegenüber anderen Anfragern, etwa der FAZ (22.1.), verhielt sich E.ON derart zugeknöpft. Man weiß deshalb nur, dass sich die Summe, die E.ON seinerzeit bei Einreichung der Klage haben wollte, auf 324,7 Millionen Euro belief.
Grund der mangelnden Auskunftsfreudigkeit ist, dass derartige Schiedsklagen von der EU seit fünf Jahren für unzulässig gehalten werden (190107). Im September 2021 bekräftigte der Europäische Gerichtshof, dass Investitionsstreitigkeiten auf EU-Ebene vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten beigelegt werden müssen (210910). Im Juli 2023 befand auch der Bundesgerichtshof, dass ICSID und andere Schiedsgerichte das EU-Recht nicht ersetzen dürfen (230712). E.ON könnte deshalb den Schadenersatzanspruch, der ihm in Washington zugesprochen wurde, nirgendwo einklagen. Wenn Spanien dennoch zahlt, geschieht das freiwillig – zumindest hinsichtlich der Verbindlichkeit des ICSID-Urteils.
Im übrigen könnte es aber für die Regierung in Madrid und auch für E.ON vorteilhafter sein, wenn sich beide vor einem neuen langwierigen Prozess auf Grundlage des EU-Rechts auf einen Kompromiss einigen, der unterhalb der von ICSID festgelegten Summe für den Schadensersatz liegt. Zuständigkeitshalber würde eine solche neue Prozessrunde zunächst wohl vor spanischen Gerichten stattfinden, aber in letzter Instanz vom Europäischen Gerichtshof entschieden. Dabei hätte Spanien ziemlich schlechte Karten, weil es wirklich nicht die feine Art war, wie seine damaligen Regierungen vor gut einem Jahrzehnt ausländische Investoren behandelten.
Spanien hatte zunächst recht üppige Vergütungen für Solarstrom angeboten, der in diesem Land nicht nur mittels Photovoltaik-Anlagen, sondern auch mit solarthermischen Rinnenkollektoren sehr günstig erzeugt werden kann. Unter der Last der Finanzkrise, die dem Staatshaushalt ein Milliardendefizit bescherte, verfügte dann aber die Regierung des Sozialisten Zapatero zum Jahresende 2010 kräftige Abstriche an der Solarförderung. Im Sommer 2013 beseitigte die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Rajoy das bisherige System der garantierten Vergütungen sogar ganz. Stattdessen wurde ab 2014 nur noch eine Verzinsung von 7,5 Prozent auf die Anfangsinvestition gewährt, was vielen Investoren die Bilanz verhagelte. Neben finanziellen Nöten spielte bei dieser Kürzung sicher auch eine Rolle, dass es die Konservativen für opportun hielten, die Solarstromerzeugung zu bremsen. Die Rechtsunsicherheit, die sich mit diesen rückwirkenden Gesetzesänderungen offenbarte, schreckte verständlicherweise neue Investoren ab, weshalb die Errichtung von Solaranlagen in Spanien weitgehend zum Erliegen kam. Und sie zog einen ganzen Rattenschwanz von Schadenersatzklagen nach sich, den betroffene ausländische Unternehmen beim Washingtoner Schiedsgericht auf Grundlage der "Energie-Charta" einreichten.
Die "Energie-Charta" kam Anfang der neunziger Jahre als internationales Investitionsschutzabkommen zustande, um ausländische Unternehmen vor der in Russland schon damals herrschenden Rechtsunsicherheit zu schützen und ihnen so Investitionen in die dortigen Öl- und Gasvorkommen zu ermöglichen. Sinn der Konstruktion war es, den Kreml direkt für Verletzungen des in Russland weithin nur auf dem Papier stehenden Rechts verantwortlich machen zu können und über ein Verfahren vor dem Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington zu entprechenden Entschädigungszahlungen zu verpflichten.
Als der Vertrag schließlich unter Dach und Fach war, wurde er ausgerechnet von Russland nicht ratifiziert, weshalb er zunächst in Bedeutungslosigkeit versank. Etliche Jahre später haben ihn dann aber zunehmend international agierende Unternehmen als ideales Instrument entdeckt, um auch die Regierungen von Staaten mit intakter demokratischer Rechtsordnung vor dem ICSID-Schiedsgericht in Washington zu verklagen, wenn sie ihre Gewinnerwartungen durch politische Entscheidungen gemindert sahen (siehe Hintergrund, Oktober 2016).
Zugleich wurde es für die Europäische Union immer wichtiger, diese Fehlkonstruktion aus den neunziger Jahren zu beseitigen, weil die private Paralleljustiz der Schiedsgerichte die Umgehung und Mißachtung des europäischen wie des nationalen Rechts ermöglicht. Ein erster Schritt in dieser Richtung war eine gemeinsame Erklärung, die 22 EU-Staaten am 15. Januar 2019 in Brüssel unterzeichneten und mit der sie den Vorrang des Unionsrechts vor bilateralen Investitionsschutzverträgen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten unterstrichen (190107).
Das größte Ärgernis war aber zunehmend, dass dieser internationale Vertrag ausgerechnet Investitionen in fossile Energieträger langfristig ermöglichen und schützen soll. Zum Beispiel diente er RWE und Uniper als Rechtsgrundlage für die Klagen, die sie bei ICSID gegen das niederländische Kohleausstiegsgesetz einreichten (210207, 210409). Besonders fatal wirkt sich aus, dass die Unterzeichnerstaaten auch noch zwanzig Jahre lang nach einem Austritt nicht vor Schadenersatzklagen geschützt sind. Zum Beispiel hat Italien als bisher einziger EU-Staat 2015 seinen Austritt erklärt. Das hinderte aber den britischen Ölkonzern Rockhopper nicht daran, den italienischen Staat 2017 in Washington zu verklagen, weil er Ölbohrungen vor seiner Küste verboten hat. Der Ölkonzern forderte sogar die siebenfache Summe, die tatsächlich investiert wurde. Die "Energie-Charta" lässt es nämlich zu, dass nicht nur erlittene Verluste geltend gemacht werden können, sondern auch die Hochrechnung auf erwartete Gewinne, aus denen wegen Umweltschutzmaßnahmen oder ähnlichen staatlichen Eingriffen nichts geworden ist (siehe Hintergrund, Mai 2021).
Vermutlich wird E.ON unter diesen Umständen erst gar nicht versuchen, die von ICSID zugebilligte Entschädigung von Spanien zu verlangen oder gar einzuklagen, sondern sich mit der Madrider Regierung auf eine andere Lösung einigen. Diese hat sich in ähnlich gelagerten Fällen bereits entgegenkommend gezeigt. Das galt sogar für ein Konsortium aus Stadtwerke München, RWE, Rheinenergie und sechs weiteren Unternehmen, dessen Klage in Washington Ende 2019 abgelehnt wurde, Auch dieses Konsortium profitierte von einem Kompromissangebot, das die spanische Regierung im November 2019 allen ausländischen Investoren machte, wenn sie ihre wegen der Solarkürzungen eingereichten Klagen zurückziehen oder auf den Vollzug von bereits erwirkten Entschädigungsansprüchen verzichten (210805).
Eine Entschädigung gab es offenbar auch für die Steag, die 2012 von der insolventen Solar Millenium AG (111213) die Betriebsführung des solarthermischen Kraftwerks Arenales in Spanien übernommen hatte. Für die großen Verluste, die sie durch die Kürzungen der Solarvergütungen erlitt, billigte ihr das Washingtoner Schiedsgericht im August 2021 einen Schadenersatzanspruch von 27,7 Millionen Euro zu (210805). Es wurde indessen nie bekannt, ob die spanische Regierung tatsächlich Geld überwiesen hat oder ein anders gearteter Kompromiss gefunden wurde. Aus im Internet recherchierbaren Dokumenten geht hervor, dass Spanien die Annulierung der Entscheidung beantragt hatte und sich dabei auf den mittlerweile gefassten Beschluss der EU-Staaten berief, ICSID-Entscheidungen nicht mehr anzuerkennen, weil derartige Schadenersatzklagen nach EU-Recht entschieden werden müssen. Es wird aber nicht ersichtlich, wie diese bis ins Jahr 2023 reichende Auseinandersetzung endete. Eine Nachfrage bei der Steag – die seit vorigem Jahr einem spanischen Eigentümer gehört (230806) – brachte auch kein Licht ins Dunkel: Es hieß lediglich, es sei eine – wie auch immer geartete – "Lösung" gefunden worden, über deren Details die Beteiligten absolutes Stillschweigen vereinbart hätten.