Februar 2023

230208

ENERGIE-CHRONIK


Frankreich setzt noch mehr auf Kernkraftwerke

Der vor knapp einem Jahr wiedergewählte französische Präsident Macron verwirklicht seine Ankündigung, bei der Energieversorgung noch mehr auf Kernkraftwerke zu setzen. Ein im November von der Regierung vorgelegter Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Baues neuer Reaktoren wurde am 24. Januar vom Senat in erster Lesung angenommen und wird auch in der Nationalversammlung mit Zustimmung rechnen können. Greenpeace und das Netzwerk "Sortir du nucléaire" kündigten daraufhin ihre Beteiligung an einem im Oktober begonnenen Konsultationsverfahren, dessen Ergebnisse am 27. Februar veröffentlicht werden sollten: Mit dem "Durchpeitschen" des Gesetzentwurfs habe die Regierung gezeigt, dass es ihr nur um eine "demokratische Maskerade" gehe und sie in Wirklichkeit die öffentliche Debatte sabotieren wolle.

EU und Deutschland müssen nun als Sündenböcke für die Malaise herhalten


Mit diesem Plakat rufen die französischen Anti-Atomkraft-Initiativen in verschiedenen Städten zu Versammlungen gegen die Neubelebung der Kernenergie auf.

Propagandistisch begleitet wird der Gesetzentwurf von einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die seit November unter Vorsitz der konservativen Partei "Les Républicains" die Gründe ermitteln soll, die zum "Verlust der Souveränität und Unabhängigkeit Frankreichs im Energiebereich" geführt hätten. Macron und die Regierung versuchen nämlich, den jämmerlichen Zustand des französischen Nuklearparks und der Stromversorgung äußeren Einflüssen anzulasten. Als Sündenböcke dienen vor allem die EU und Deutschland. Dabei kommt ihnen zustatten, dass sich die jahrzehntelange Orientierung der deutschen Politik auf russische Gaslieferungen inzwischen als katastrophaler Fehler herausgestellt hat. Kein Ruhmesblatt war auch die mangelnde Weitsicht und fehlende Bereitschaft der EU-Kommission, die verhängnisvolle Koppelung der Börsenpreise für Gas und Strom zu reformieren, bevor es zu der gewaltigen Strompreis-Explosion kam (siehe Hintergrund, Januar 2023).

Angeblich waren die Deutschen seit 30 Jahren "davon besessen, die EDF zu zersetzen"

Neben anderen Experten durfte der frühere EDF-Chef Henri Proglio – der 2009 als Günstling der damaligen Regierung diesen Posten erlangte (091017) – vor dem Untersuchungsausschuss seine Erkenntnisse ausbreiten: "Die Deutschen waren seit 30 Jahren davon besessen, die EDF zu zersetzen", behauptete er am 13. Dezember. "Sie haben es geschafft!" Deutschland gründe seinen Wohlstand, seine Effizienz und seine Glaubwürdigkeit auf seine Industrie. Es habe deshalb einfach nicht akzeptieren können, "dass Frankreich ein so mächtiges Wettbewerbsinstrument wie EDF vor seiner Haustür hat".

Auch Merkel soll trotz Fukushima weiterhin "voll und ganz an die Kernenergie geglaubt" haben

Ähnlich abstrus klang, was der einstige EDF-Chef über eine Begegnung mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu berichten wußte, die 2012 anlässlich der Hannover-Messe stattfand. Bei einem gemeinsamen Essen habe ihm die Kanzlerin gesagt: "Ich bin eine Wissenschaftlerin aus Ostdeutschland, ich glaube voll und ganz an die Kernenergie." Aber sie habe nun mal eine Koalition ("accord de coalition") herstellen müssen. Deshalb habe sie mit den "konservativen Grünen" zu verhandeln begonnen. Bei den Deutschen gebe es nämlich konservative und linke Grüne, was nicht dasselbe sei. Proglios Fazit: "Um diese Verhandlungen abzuschließen, ließ sie die Atomkraft fallen. Sie sagte mir: 'Ich habe das aus politischen Gründen getan, keineswegs aus technischen oder wissenschaftlichen Gründen'."

Ungeachtet der Sprachhürden, die es bei diesem Gespräch sicher gab – vermutlich haben sich beide mit Englisch beholfen – verrät dieser Galimathias eine stupende Unkenntnis des EDF-Chefs über die politischen Verhältnisse in Deutschland. Vor allem scheint er niemals verstanden zu haben, weshalb und wie nach der Katastrophe von Fukushima der atompolitische Salto der schwarz-gelben Regierung zustande kam (siehe Hintergrund, Februar 2015, und HIntergrund, Dezember 2016).

Vom "couple franco-allemand" spricht in Deutschland tatsächlich niemand

Wie egoistisch Deutschland seine eigenen Interessen verfolge, glaubte Proglio damit illustrieren zu können, dass hierzulande niemand vom "couple franco-allemand" sprechen würde, wie das in Frankreich gang und gäbe sei. Damit hatte er zweifellos recht. Auch die wörtliche Übersetzung "französisch-deutsches Paar" ist nicht üblich. Es wird aber durchaus viel von "deutsch-französischer Freundschaft" und ähnlichem gesprochen. Das bloße Reden genügt freilich nicht. Man sollte auch schon – und das gilt für beide Seiten – ein bißchen die Verhältnisse im wichtigsten Nachbarland und dessen Sprache kennen...

Kernenergie könnte nun beide Länder beim Thema Wasserstoff spalten

Das könnte dann auch einen Konflikt entschärfen helfen, der seit 2011 latent diese Freundschaft begleitete und mit der von Macron entfachten Kernkraft-Offensive manifest wird. Macron will nämlich die französischen Kernkraftwerke auch zur Erzeugung von Wasserstoff verwenden, der allgemein als Energieträger der Zukunft gilt und das Erdgas ablösen soll. Dagegen wäre an sich nicht so viel einzuwenden, wenn er sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, dass die EU diese Art der Wasserstoff-Erzeugung als gleichwertig mit "grünem" Wasserstoff aus erneuerbaren Energien anerkennen müsse (siehe hierzu 230209).

 

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