August 2022

220812

ENERGIE-CHRONIK


In Frankreich steht noch immer mehr als die Hälfte aller Kernkraftwerke still

In Frankreich steht seit dem Frühjahr noch immer mehr als die Hälfte aller Kernkraftwerke still, weil unerwartet aufgetretene Sicherheitsmängel, die bereits im vergangenen Winter zu einer geringeren Verfügbarkeit der 56 Reaktoren führten, auf Anordnung der Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de Sûreté Nucléaire) unverzüglich repariert werden müssen. Dabei handelt es sich um "Spannungsrisskorrosionsanomalien an Nebenrohrleitungen der Primärkreisläufe" (corrosion sous contrainte sur des tuyauteries annexes de circuits primaires), wie der ASN-Präsident Bernard Doroszczuk am 17. Mai bei einer Anhörung vor Mitgliedern des französischen Senats erklärte. Paradoxerweise treten diese Mängel nur an den 23 neueren Reaktoren mit Nettoleistungen zwischen 1300 und 1500 MW auf, während die 33 ältesten Im Leistungsbereich um 900 MW bisher davon anscheinend verschont geblieben sind.

Ende August waren 32 von 56 Reaktoren abgeschaltet

Insgesamt war die Abschaltung von 30 der 56 Reaktoren in den Sommermonaten vorgesehen. Der Grund war in zwölf Fällen die Notwendigkeit einer ausführlichen Begutachtung und eventuellen Reparatur. Dazu gehören die vier neuesten und leistungsstärksten Reaktoren der Reihe N4 in Civaux und Chooz, fünf Reaktoren der 1300-MW-Klasse und drei alte der 900-MW-Klasse. Die übrigen 18 wurden wegen normaler Wartungsarbeiten oder zur Durchführung der Zehnjahres-Inspektion auf die Abschalt-Liste gesetzt.

Am 25. August waren sogar 32 Reaktoren abgeschaltet. Wie die EDF an diesem Tage mitteilte, wird sie wegen der Probleme mit den Spannungsrissen auch nicht alle bis Beginn des Winters wieder in Betrieb nehmen können. So verzögert sich die Wiederinbetriebnahme der Reaktoren 1 und 4 des Kraftwerks Cattenom bis 1. bzw. 14. November, der Block 4 in Cattenom geht erst am 11. Dezember wieder ans Netz und der Block 1 des Kraftwerks Penly steht nicht vor Ende Januar wieder zur Verfügung.

Wegen Erwärmung der Flüsse hätten eigentlich noch weitere Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen

Zusätzliche Probleme bereitet der EDF wieder mal der niedrige Wasserstand der Flüsse als Folge der sommerlichen Hitzewelle (060704). Ein am 6. August veröffentlichter Erlass des Ministers für den ökologischen Umbau (transition écologique) verlängert die Ausnahmen von den Grenzwerten für Wärmeeinleitungen, die den Kernkraftwerken Blayais (Gironde), Bugey (Ain), Golfech (Tarn-et-Garonne) und Saint-Alban-Saint-Maurice (Isère) gewährt wurden, bis zum 11. September 2022. Die Ausnahmeregelungen waren diesen Kraftwerken zunächst vom 15. bis 24. Juli und dann bis zum 7. August gewährt worden. Durch den Erlass werden die Ausnahmen außerdem auf das Kraftwerk Tricastin (Drôme) ausgeweitet. Normalerweise hätten die Reaktoren wegen zu starker zusätzlicher Erwärmung des Flusswassers abgeschaltet werden müssen. Die Ausnahmeregelungen wurden von EDF bei der ASN beantragt und von dieser genehmigt, nachdem das Ministerium für Energiewende (transition énérgetique) bestätigte, dass die Produktion der betroffenen Kernkraftwerke aufrechterhalten werden muss, um die Sicherheit des Stromnetzes und die Versorgungssicherheit Frankreichs zu gewährleisten.

"Streckbetrieb" wegen Mangels an Brennelementen?

Rätselraten lösten zwei Kurzmitteilungen der EDF vom 23. August aus, wonach zwei alte Kernkraftwerke der 900-MW-Klasse bis zum nächsten Wechsel der Brennelemente nicht mehr mit üblicher Leistung betrieben werden können. Es handelt sich um den Reaktor Blayais 4, der vom 5. August bis zum 15. September nur noch 180 statt 910 MW erzeugt, sowie den Reaktor Saint-Laurent 2, der vom 11. August bis zum 1. Dezember sogar auf null heruntergefahren wird, anstatt 915 MW zu erzeugen. Der Grund für diesen "Streckbetrieb" scheinen Probleme bei der Beschaffung von Brennelementen zu sein, was insoweit nicht verwundern würde, als die EDF rund die Hälfte des zur Herstellung der Brennelemente benötigten Urans aus dem russischen Machtbereich bezieht (siehe Hintergrund, April 2022).

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