Dezember 2022 |
221205-06 |
ENERGIE-CHRONIK |
In den letzten zwölf Jahren sind die Entschädigungen für Wind- und Solarstrom, der wegen Netzengpässen abgeregelt werden muss, unablässig gestiegen. Im vergangenen Jahr waren es 807,1 Millionen Euro für eine Ausfallarbeit von 5.818 Gigawattstunden. Im laufenden Jahr ist mit einer noch erheblich größeren Menge an Ausfallarbeit zu rechnen (siehe Grafik 2). Trotzdem ist aber zugleich ein ungewöhnlich starker Rückgang der Entschädigungen zu erwarten, da infolge der Einbeziehung des früher separat geregelten "Einspeisemanagements" in den "Redispatch 2.0" die Anlagenbetreiber im wesentlichen nur noch die "Marktprämie" vergütet bekommen, die in der gegenwärtigen Situation sowieso kaum zu Buche schlägt. |
Im zu Ende gehenden Jahr wird in Deutschland soviel Erneuerbaren-Strom wie noch nie verloren gegangen sein, weil Netzengpässe und fehlende Speichertechniken die Abregelung von Windkraft- oder Solaranlagen erforderlich machen. Wie aus dem zweiten Quartalsbericht der Bundesnetzagentur zum "Netzengpassmanagement" hervorgeht, belief sich diese "Ausfallarbeit" schon im ersten Halbjahr auf 5.419 Gigawattstunden (GWh). Die abgeregelte Strommenge ist damit um 60 Prozent größer als im ersten Halbjahr 2021 und fast genauso groß wie im gesamten Jahr 2018 (siehe Grafik).
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Schon im ersten Halbjahr 2022 wurde soviel Erneuerbaren-Strom abgeregelt wie im ganzen Jahr 2018. |
Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 263.200 GWh ins Stromnetz eingespeist. Durch die Abregelung der Erneuerbaren-Anlagen gingen demnach rund zwei Prozent der möglichen Stromerzeugung verloren. Die Ausfallarbeit von insgesamt 2.134 GWh im zweiten Quartal entfiel zu 87 Prozent auf Windkraftanlagen (Windkraft auf See mit 50,1 Prozent und Wind an Land mit 36,9 Prozent). Es folgten Photovoltaik (12,1 Prozent) und Biomasse (0,8 Prozent). Bei den anderen vier Kategorien von Ausfallarbeit (KWK-Strom, Laufwasser, Deponie-, Klär- und Grubengas, KWK-Wärme) lagen die Anteile einzeln wie insgesamt nur im Promille-Bereich.
Trotz des starken Anstiegs sind im ersten Halbjahr 2022 die Kosten für die Entschädigung der Anlagenbetreiber erheblich gesunken: Die Übertragungsnetzbetreiber schätzen sie auf nur noch 148 Millionen Euro für 5.419 GWh, während es im selben Zeitraum des Vorjahres 432,6 Millionen Euro für 3.405GWh waren. Die Entschädigung für dieselbe Menge Ausfallarbeit ist also um gut vier Fünftel geringer geworden. Die Anlagenbetreiber brauchen deshalb aber nicht zu darben, denn es handelt sich um eine Folge der im April 2019 beschlossenen Gesetzesänderung, mit der das früher separat geregelte "Einspeisemanagement" aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz herausgelöst und mit den Redispatch-Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes im sogenannten "Redispatch 2.0" zusammengeführt wurde (190403). Die damals neugefaßten Paragraphen 13 und 13a des Energiewirtschaftsgesetzes greifen mit einiger Verspätung erst jetzt, weil es gar nicht so einfach war, diesen "Redispatch 2.0" mit allen notwendigen Änderungen der technischen Abläufe und finanziellen Umschichtungen in die Praxis umzusetzen. Es kam sogar zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, bevor sich Bundesnetzagentur und Branchenvertreter auf dem Verhandlungswege einigten.
Die Streichung der separaten Regelungen für das "Einspeisemanagement",
die früher in den §§ 14 und 15
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes enthalten waren, hat auch Auswirkungen
auf die Entschädigung der Ausfallarbeit: Beim negativen Redispatch
gegenüber direktvermarkteten Erneuerbaren-Anlagen entgeht nun den
Anlagenbetreibern dank des bilanziellen Ausgleichs durch den Netzbetreiber
im wesentlichen nur noch die "Marktprämie". Dies senkt generell die Kosten
für den finanziellen Ausgleich der Abregelung von Erneuerbaren-Anlagen.
Hinzu kommt die derzeitige Situation am Spotmarkt, wo die Marktprämie kaum
noch eine Rolle spielt, weil gerade die Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen
wegen der von Gaskraftwerken dominierten Merit-Order hohe Windfall-Profits
kassieren können.
Zum ersten Mal werden in diesem Jahr die Redispatch-Kosten die Grenze von einer Milliarde übersteigen, und das sogar ganz erheblich. Dafür sorgt allein schon das jetzt veröffentlichte Halbjahresergebnis (schraffiert dargestellt). |
Dem Rückgang der Kosten für die Ausfallarbeit, der durch Einbeziehung des Einspeisemanagements in "Redispatch 2.0" bewirkt wird, steht momentan freilich ein gewaltiger Anstieg der geschätzten Redispatch-Kosten gegenüber. Mengenmäßig hat sich der Redispatch im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum zwar nur von 8.595 auf 13.082 Gigawattstunden erhöht, was einem Anstieg um 52 Prozent entspricht. Die damit verbundenen Kosten steigen aber von 133,8 auf 1.373 Millionen Euro, also um mehr als das Zehnfache. Daran ändert auch nicht viel, dass in dieser Kostenschätzung eine "finanzielle Kompensation in Höhe von 128 Millionen Euro an die Bilanzkreisverantwortlichen im Rahmen der BDEW-Übergangslösung zum bilanziellen Ausgleich" enthalten ist. Selbst beim Vergleich mit dem ganzen Jahr 2021, in dem die Redispatch-Kosten mit 590 Millionen Euro ihren bislang höchsten Stand erreichten, ist das aktuelle Halbjahresergebnis noch mehr als doppelt so hoch.
Diese finanzielle Lawine kam bereits im vierten Quartal 2021 ins Rollen, als die vergleichsweise moderaten Kosten der drei vorangegangenen Quartale, die im Schnitt jeweils bei 63 Millionen Euro lagen, plötzlich auf 401,4 Millionen hochschnellten. Darauf folgten die beiden ersten Quartale dieses Jahres mit 926,7 und 318,0 Millionen Euro (wobei sich der letztere Betrag durch die erwähnte Kompensationsabgabe noch auf 446,4 Millionen erhöhte).
Laut Bundesnetzagentur ist dieser starke Anstieg der Redispatch-Kosten "auf den mengenmäßigen Anstieg der Maßnahmen sowie andererseits auf die stark gestiegenen Brennstoffpreise für Gas, Kohle und Öl im zweiten Quartal 2022 zurückzuführen". Wenn man den mengenmäßigen Anstieg aus energiewirtschaftlicher Sicht betrachte, handele es sich aber "nicht um neue, sondern lediglich um erstmals sichtbare Strommengen". Und zwar sei das so zu erklären: "Im vorhergehenden System des Einspeisemanagements mussten sich die Bilanzkreisverantwortlichen für EE- und KWK-Strom selbst um Ersatzmengen für den abgeregelten EE- und KWK-Strom kümmern. Diese waren nicht als Redispatch-Mengen sichtbar. Im Zielmodell des Redispatch 2.0 kümmert sich hingegen der Netzbetreiber um einen gezielten bilanziellen Ausgleich auch zugunsten abgeregelter EE- und KWK-Anlagen. Diese Umstellung steigert die volkswirtschaftliche Gesamteffizienz und senkt die Kosten für den finanziellen Ausgleich von EE- und KWK-Anlagen, führt jedoch zugleich zu einem Anstieg der sichtbar ausgewiesenen Redispatch-Mengen." Als weitere Gründe für die Zunahme von Mengen und Kosten beim Redispatch nennt die Behörde die ungewöhnlich hohen Stromexporte nach Frankreich, die bei den Lastflüssen in Ost-West-Richtung die Netzengpässe verstärkten, sowie das im Vergleich zum Vorjahresquartal hohe Windaufkommen im April 2022.
Zum Umfang der "Ausfallarbeit" durch abgeregelte Erneuerbare-Anlagen
Zur Verlagerung des "Einspeisemanagements" aus dem EEG ins EnWG ("Redispatch 2.0")
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