September 2022

220912

ENERGIE-CHRONIK


 


Für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle untersuchte die NAGRA drei Gebiete mit Opalinuston, von denen "Nördlich Lägern" die höchsten Sicherheitsreserven versprach und deshalb ausgewählt wurde. Zugleich wurden die grün eingefärbten Gebiete auf ihre Eignung für die Endlagerung von schwach- bis mittelradioaktiven Abfällen geprüft.
Karte: NAGRA

Schweiz plant Endlager für Atommüll an der Grenze zu Deutschland

In der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) am 10. September wissen lassen und zwei Tage später offiziell mitgeteilt, dass sie als Standort des seit langem geplanten Endlagers für hochradioaktiven Müll aus den fünf Reaktoren des Landes (161106) das Gebiet "Nördlich Lägern" vorschlägt. Dieses 123 Quadratkilometer große Gebiet liegt in den Kantonen Zürich und Aargau und ist teilweise nur wenige hundert Meter von der deutschen Grenze entfernt (siehe Karte). Die Bürgermeister mehrerer deutscher Gemeinden am Hochrhein zeigten sich deshalb besorgt, dass durch Unfälle bei den Transporten zum Endlager die Grundwasserströme und damit die Trinkwasserquellen gefährdet werden könnten. "Ebenso wird ein immenser Imageschaden für den Tourismus befürchtet", hieß es in dem gemeinsamem Schreiben. Ein Vertreter des Regionalverbands Hochrhein-Bodensee äußerte die Erwartung, dass die Schweiz auch Hohentengen und anderen betroffenen deutschen Gemeinden Kompensationszahlungen gewährt. Manche lägen naher an dem geplanten Endlager als Schweizer Gemeinden, die berücksichtigt werden sollen.

Mit der Einlagerung hochradioaktiver Abfälle ist erst ab 2050 zu rechnen

Die NAGRA wird nun die Rahmenbewilligungsgesuche zu ihrem Vorschlag erarbeiten und in rund zwei Jahren bei der Bundesregierung einreichen. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat und andere Experten werden diese Gesuche prüfen. Danach entscheiden Regierung, Parlament und – im Falles eines Referendums – die Stimmbürger über die Annahme. Das bedeutet, dass erst in den dreißiger Jahren mit dem Bau des Tiefenlagers begonnen werden könnte und die Einlagerung der radioaktiven Abfälle nicht vor 2050 beginnen würde. Der endgültige Verschluss des Lagers soll in gut hundert Jahren erfolgen. Die Endlagerbehälter für die hochradioaktiven Abfälle sollen mindestens 10.000 Jahre dicht sein.

NAGRA untersuchte 14 Jahre lang sechs Regionen auf ihre Eignung als Endlager

Die NAGRA wurde 1972 von den fünf Betreibern der Kernkraftwerke und der Bundesregierung gegründet. Nach der Durchführung verschiedener Tiefbohrungen, um Erkenntnisse über den geologischen Aufbau des Landes zu gewinnen, hatte sie Anfang der neunziger Jahre ein Lager für hochradioaktive Abfälle im Wellenberg südlich des Vierwaldstätter Sees vorgeschlagen. Dieser Standort wurde dann aber von den Bürgern des betroffenen Kantons Nidwalden bei 1995 und 2002 erfolgten Abstimmungen zweimal abgelehnt. Daraufhin galt der Opalinuston im Zürcher Weinland an der Grenze zu Deutschland als Favorit für ein Endlager. Allerdings gab es politische Differenzen hinsichtlich der notwendigen Größe des Lagers bzw. der Frage, ob noch weitere Kernkraftwerke errichtet werden sollen. Im November 2008 entschied die Regierung, dass sechs Regionen auf ihre Eignung für die mögliche Endlagerung von hoch- und mittelradioaktiven Abfällen untersucht werden sollten. Neben dem Zürcher Weinland wurden nun auch die Gebiete Nördlich Lägern und Bözberg für hochradioaktive Abfälle in Betracht gezogen. Außerdem wurde in den Regionen Südranden, Bözberg, Jura-Südfuss und Wellenberg die mögliche Endlagerug von schwächer radioaktivem Müll geprüft. Bis auf Wellenberg handelte es sich bei dem untersuchten Gestein vor allem um Opalinuston.

Ausschlaggebend für die Wahl unter drei Standorten war die Sicherheit des Opalinustons

"Die Geologie hat gesprochen", begründete NAGRA-Chef Matthias Braun am 12. September den Vorschlag. Das "Herzstück des Tiefenlagers" sei der Opalinuston. Dieses Gestein entstand vor 175 Millionen Jahre in der Jurazeit und wurde auch an den Standorten Zürcher Weinland und Boxberg untersucht. Dabei habe sich herausgestellt, dass es in Nördlich Lägern die größten Sicherheitsreserven aufweise, was "robuste Prognosen, auch in die ferne Zukunft" erlaube.

Nach Darstellung der NAGRA ist der Opalinuston sehr dicht. Das Tiefengrundwasser, das sich in den Gesteinsschichten oder- oder unterhalb von ihm befindet, könne deshalb kaum mit dem radioaktiven Abfall in Berührung komme. Zudem könne das Gestein Risse selbst wieder abdichten, denn es quille auf, sobald es mit Wasser in Kontakt kommt. Ferner enthalte es Plättchen mit einer negativen elektrischen Ladung. "Dadurch bleiben die meist positiv geladenen Teilchen des radioaktiven Abfalls sozusagen kleben und verbreiten sich nicht weiter". Diese schützenden Eigenschaften des Opalinustons kämen bei dem geplanten Tiefenlager aber erst nach Zehntausenden von Jahren zum Tragen, "wenn die technischen Barrieren nachlassen". Der größte Teil der Radioaktivität sei dann bereits abgeklungen.

Laufzeiten-Verlängerung würde Menge des hochradioaktiven Mülls noch vergrößern

Die Gesamtkosten für die Stilllegung und Entsorgung veranschlagt die NAGRA derzeit mit rund 23 Milliarden Franken. Davon entfallen 3,5 Milliarden auf die Stilllegung der vier KKW-Standorte und der dort vorhandenen Zwischenlager. Die Regierung hatte schon 2011 beschlossen, die fünf Reaktoren an den vier Standorten Beznau, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg am Ende ihrer Betriebsdauer stillzulegen und nicht durch neue Kernkraftwerke zu ersetzen (110504). Eine Volksabstimmung im Mai 2017 bestätigte diesen Beschluss (170509). Dabei wurde von einer Betriebsdauer von 50 Jahren ausgegangen. Nach Ablauf dieser Frist wurde dann 2019 das KKW Mühleberg als erstes stillgelegt (160317).

Allerdings wurde die Betriebsdauer der vorhandenen Reaktoren nicht genau festgelegt. Deshalb ist in Beznau der Block 1 schon seit 53 Jahren in Betrieb, und wann der vier Jahre jüngere Block 2 stillgelegt wird, ist ebenfalls noch nicht absehbar. Der Verband der schweizerischen KKW-Betreiber erhob vor einem Jahr sogar die Forderung, sämtliche vier noch laufenden Reaktoren "bis zu 60 Jahre und bei Bedarf auch länger am Netz behalten und wirtschaftlich betreiben" zu können (210802). Für die Reaktoren in Gösgen und Leibstadt würde dies bedeuten, dass sie mindestens bis 2039 bzw. 2044 ein oberirdisches Nuklearrisiko bleiben und die Menge des hochradioaktiven Mülls noch vergrößern.

 

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