April 2019 |
190401 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Bundestag billigte am 4. April das "Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus". Es novelliert das "Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz" (NABEG), das vor elf Jahren beschlossen wurde (110604). Außerdem ändert es 19 andere energierechtliche Gesetze und Verordnungen (181208). In dem Artikelgesetz mitverpackt sind zwei Gesetzesänderungen, die erst nachträglich hinzugefügt wurden: Die eine ist die Streichung des "Einspeisemanagements" im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) durch Zusammenführung der "Resdispatch"-Vorschriften im Energiewirtschaftsgesetz (190403). Die andere ist die Einbeziehung von Energiekopplungsanlagen und Großspeichern sowie Anbindungsleitungen von LNG-Anlagen in die Liste energiewirtschaftlicher Projekte, für die es nach § 43 EnWG eines Planfeststellungsverfahrens bedarf (190402).
Mit der NABEG-Novelle entfällt die von der Bundesnetzagentur durchzuführende "Bundesfachplanung", wenn Leitungen unter Nutzung bestehenden Trassen neu gebaut oder geändert werden. Ferner sind spätere Erhöhungen der Transportkapazität planungsrechtlich leichter umzusetzen. Zum Beispiel können vorsorglich Leerrohre für das nachträgliche Einziehen zusätzlicher Erdkabel mitverlegt werden. Beim Zubau oder Austausch von Leiterseilen auf bestehenden Trassen entfallen langwierige Genehmigungsverfahren, sofern die Grenzwerte für elektromagnetische Felder eingehalten werden. Außerdem darf künftig bereits mit dem Bau eines Vorhabens begonnen werden, wenn von einer positiven Entscheidung der zuständigen Behörde ausgegangen werden kann.
Der Gesetzentwurf wurde im Dezember von der Bundesregierung vorgelegt. Die erste Lesung im Parlament fand am 31. Januar statt. Seine Annahme in zweiter und dritter Lesung erfolgte mit den Stimmen der Koalitionsparteien. AfD und LInke lehnten ihn ab. FDP und Grüne enthielten sich.
In der etwa 40 Minuten dauernden Debatte wurden kaum konkrete Punkte der NABEG-Novelle angesprochen. Die vier Oppositionsparteien übten eher allgemeine Kritik an der Energiepolitik der schwarz-roten Koalition. So bescheinigte die Grünen-Rednerin Ingrid Nestle dem Gesetzentwurf "richtige Ansätze zur Beschleunigung des Netzausbaus". Zugleich warf sie aber dem Bundeswirtschaftsminister Altmaier vor, beim Ausbau von Wind- und Sonnenstrom auf der Bremse zu stehen und dies mit fehlenden Leitungen zu begründen. Dabei drohe längerfristig ein umgekehrtes Missverhältnis:"Ich sage Ihnen: In 2030 werden wir die Leitungen haben, aber nicht den Ökostrom, um sie zu füllen."
Für die Linke verweigerte der Abgeordnete Ralph Lenkert dem Gesetz die Zustimmung, weil es den vier Regelzonenbetreibern TenneT, 50Hertz, Amprion und TransnetBW jährliche Zusatzprofite von 1,5 Milliarden Euro sichere. "An jeder Maßnahme verdienen sie garantierte 7 Prozent Rendite. Wer da glaubt, dass die Netze so sparsam wie möglich gebaut werden, kann auch jedes Märchen glauben." Der Gesetzentwurf könne deshalb als"Übertragungsnetzbetreiberprofitsicherungsgesetz" bezeichnet werden.
Als Sprecher der größten Oppositionspartei schimpfte der AfD-Abgeordnete Steffen Kotré ein weiteres Mal über die Energiewende: Diese sei "purer Luxus für porschefahrende Grüninnen und Grüne mit der Rolex am Handgelenk". Ihre Verfechter seien "wissenschaftliche Stümper" ohne Wissen über physikalische, technische und ökonomische Zusammenhänge. Schon jetzt würden sich "Stromausfälle im Millisekundenbereich" häufen.
Laut Bundestagshandbuch ist der Abgeordnete Kotré, den seine Fraktion regelmäßig als Energiexperten ans Rednerpult schickt, gelernter Elektromonteur. Deshalb könnte er eigentlich wissen, dass die "Stromausfälle im Millisekundenbereich", die er immer wieder als Schreckgespenst bemüht, ein altbekanntes Phänomen sind. Genau genommen handelt es sich gar nicht um Stromausfälle, sondern um Spannungsschwankungen von extrem kurzer Dauer, die der Verbraucher normalerweise nicht bemerkt. Früher spielten sie in der netztechnischen Praxis auch keine große Rolle. Infolge der massenhaften Verwendung elektronischer Bauelemente können sie inzwischen aber zahllosen Geräten zum Verhängnis werden, die in Millisekunden auf Spannungsabfälle reagieren. Zum Beispiel können sie schuld sein, wenn ein Computer plötzlich abstürzt, ohne dass Gelegenheit zur Datensicherung bleibt. Elektronische Bauelemente sind dabei nicht nur passiv betroffen, sondern zum Teil auch die Verursacher des Übels (siehe Energie-Wissen). Von der Minimierung dieser Risiken lebt inzwischen eine ganze Branche, die sich auf unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV) spezialisiert hat. Solche Spannungsschwankungen sind aber ein rein netztechnisches Problem, das durch angeschlossene Verbraucher, Schaltvorgänge oder Blitzeinschläge hervorgerufen wird. Mit der Zuverlässigkeit der Stromerzeugung oder deren Veränderung durch die Energiewende haben sie nichts zu tun. Um dennoch einen solchen Zusammenhang zu beschwören, muss man wohl schon Energiexperte der AfD sein...