Juni 2017

170601

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Mit der Kernbrennstoffsteuer wollte die schwarz-gelbe Koalition den Unmut über die Begünstigung der vier Atomkonzerne dämpfen, den sie mit der Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Reaktoren bis weit in die eigenen Reihen hinein hervorgerufen hatte. Die neue Abgabe war aber zu gering, um den Konkurrenzvorteil wesentlich zu mindern, den E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW damit erlangten. Die kommunalen Versorger fühlten sich weiterhin untergebuttert. Am selben Tag, an dem der Bundestag die Laufzeiten-Verlängerung samt der Kernbrennstoffsteuer beschloß, protestierten sie deshalb mit ganzseitigen Anzeigen unter dem Motto "Vier gewinnen – Millionen verlieren". Die Kampagne von mehr als fünfzig Stadtwerken stieß den vier Konzernen derart sauer auf, daß sie sich schriftlich bei den Landesregierungen von Thüringen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beschwerten, die den Appell ebenfalls unterstützt hatten. (101107, siehe auch den HINTERGRUND-Artikel "Rote Karte für Schwarz-Gelb")

Besteuerung von Brennelementen war verfassungswidrig

Die schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit verstieß im Oktober 2010 gegen das Grundgesetz, als sie das sogenannte Kernbrennstoffsteuergesetz beschloß (101002). Zu dieser Ansicht gelangte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. In einer vom 13. April datierten Entscheidung, die er am 7. Juni veröffentlichte, hat er das Gesetz rückwirkend für nichtig erklärt. Er gab damit einer Klage des E.ON-Konzerns statt, der ebenso wie RWE und EnBW gegen die Steuer geklagt hatte (110607, 110704). Aufgrund des höchstinstanzlichen Urteils können die drei KKW-Betreiber die Rückzahlung von 6,285 Milliarden Euro plus Zinsen beanspruchen, die sie während der Geltungsdauer des Gesetzes von 2011 bis 2016 an den Bundeshaushalt abgeführt haben.

Regierung darf nicht einfach neue Steuern erfinden

Die sieben Richter des Zweiten Senats begründen ihre Entscheidung mehrheitlich damit, daß die Kernbrennstoffsteuer keiner der Steuer-Kategorien entspreche, die das Grundgesetz in den Artikeln 105 und 106 aufführt. Insbesondere handele es sich um keine "Verbrauchssteuer im Sinn der Abgabenverordnung", wie in der Begründung des Gesetzes behauptet wurde. Dem Gesetzgeber stehe es nicht zu, außerhalb der im Grundgesetz vorgegebenen Typusbegriffe neue Steuern zu erfinden.

Mitbestimmungsrecht der Länder wurde mißachtet

Die beiden Richter Peter M. Huber und Peter Müller halten die Kernbrennstoffsteuer ebenfalls für verfassungswidrig. Sie teilen aber nicht die Auffassung der fünf anderen Richter, daß neue Steuern unbedingt einer der im Grundgesetz erwähnten Kategorien entsprechen müßten. Der Bundesgesetzgeber sei durchaus befugt, auch andere Steuern zu erfinden. Dabei habe er allerdings die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu beachten, wie sie Artikel 106 des Grundgesetzes zum Ausdruck bringt, der die Verteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern regelt. Das Kernbrennstoffsteuergesetz sei deshalb verfassungswidrig und nichtig, da es ohne die notwendige Zustimmung der Länder bzw. des Bundesrats zustandekam. (Gegen das vorgelegte Gesetz hätte die Ländervertretung nur Einspruch nach Artikel 77 des Grundgesetzes erheben können, was das Inkrafttreten allenfalls verzögert hätte.)

Abgabe auf Brennelemente sollte Unmut über Begünstigung der Atomkonzerne dämpfen

Die Kernbrennstoffsteuer war – nicht offiziell, aber faktisch – als Gegenleistung dafür gedacht, daß die schwarz-gelbe Bundesregierung den insgesamt 17 Reaktoren eine Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre spendierte (acht Jahre für die sieben ältesten und 14 Jahre für die zehn neueren Reaktoren). Damit winkte den vier Konzernen, die damals noch hochprofitabel waren und jedes Jahr neue Milliarden-Gewinne einfuhren (101003), ein zusätzliches Bombengeschäft.

Zugleich regte sich aber auch starker Widerstand gegen diese Begünstigung der Atomkonzerne. Vor allem die Stadtwerke fühlten sich von der Regierung schmählich im Stich gelassen, weil sie ihre eigenen Investitionen in Kraftwerke entwertet sahen. Sie starteten sogar eine spektakuläre Anzeigenkampagne unter dem Motto "Vier gewinnen – Millionen verlieren" (101107). Um diesen Unmut zu dämpfen, aber auch um die eigenen Kassen zu füllen, erfand die schwarz-gelbe Regierung die Brennelemente-Steuer. So hieß das Projekt zunächst, bevor daraus das "Kernbrennstoffsteuergesetz" wurde.

Steuer galt nur bis Ende 2016

Nach § 3 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) betrug die Steuer 145 Euro für jeweils ein Gramm Plutonium 239, Plutonium 241, Uran 233 oder Uran 235. Nach § 6 entstand die Steuer beim erstmaligen Einsetzen und Aktivieren von Brennelementen. Laut § 13 trat das Gesetz zum 1. Januar 2010 in Kraft. Nach § 12 erstreckte sich die Steuerpflichtigkeit jedoch nur auf solche Brennelemente, die bis Ende 2016 eingesetzt und aktiviert wurden.

Gesetzgebung wurde mit Atomkonzernen bis ins Detail abgesprochen

Am 28. Oktober 2010 billigte die schwarz-gelbe Mehrheit des Bundestags unter heftigem Protest der Opposition das Gesamtpaket. Es bestand aus vier separaten Gesetzen, die vordergründig nicht viel miteinander zu tun hatten, aber politisch eng verflochten waren (101002). Die gemeinsame Klammer bildete ein Papier, in dem die Bundesregierung und die KKW-Betreiber ihren Kuhhandel bis ins Detail vereinbart hatten (siehe PDF). So wurde jedem der 17 Reaktoren eine exakt bemessene Erhöhung der Reststrommenge in Terawattstunden zugeteilt. Auf der anderen Seite verpflichteten sich die KKW-Betreiber zu bestimmten Förderbeiträgen für den Energie- und Klimafonds. Infolge dieser vorab getroffenen Vereinbarungen geriet die parlamentarische Beratung zur Farce. Dem Gesetzgeber blieb nur noch die Aufgabe, das Gesamtpaket so abzunicken, wie es hinter verschlossenen Türen mit den Konzernen ausgehandelt worden war.

Das Papier blieb zunächst unter Verschluß. Nicht sollte den den schönen Eindruck eines von der Regierung vorgelegten "Energiekonzepts" stören, in dem die KKW-Betreiber nicht als Verhandlungspartner vorkamen, sondern als Adressaten einer politischen Entscheidung. Die Vereinbarung wurde dann aber doch bekannt, weil sich der RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz bei einer Pressekonferenz verplapperte. Die Bundesregierung trat daraufhin die Flucht nach vorn an und veröffentlichte das Papier von sich aus (100901).

 

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