Juni 2015

150603

ENERGIE-CHRONIK


Kernbrennstoffsteuer ist mit europäischem Recht vereinbar

Das Kernbrennstoffsteuergesetz ist mit europäischem Recht vereinbar. So entschied am 4. Juni der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dem diese Frage vom Finanzgericht Hamburg Ende 2013 zur Entscheidung vorgelegt worden war. Den drei KKW-Betreibern RWE, E.ON und EnBW bricht damit eine der beiden Säulen weg, auf die sie ihre Klagen gegen die Brennelementesteuer gestützt haben. Sie können jetzt nur noch auf das Bundesverfassungsgericht hoffen, bei dem dasselbe Finanzgericht Anfang 2013 ein Normenkontrollverfahren zur Überprüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Steuer beantragt hat (140405).

Brennelemente sind kein "Energieerzeugnis" im Sinne der EU-Richtlinie

Konkret hatte der Europäische Gerichtshof über das Kernkraftwerk Emsland zu entscheiden, bei dem im Juni 2011 durch den Wechsel von Brennelementen eine Steuer von mehr als 154 Millionen Euro angefallen war. Ein Hauptargument des Betreibers RWE lautete, daß Kernbrennstoffe gemäß der EU-Richtlinie über die Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom von der Steuer zu befreien seien. Laut Artikel 14 dieser Richtlinie gilt die Befreiung für "bei der Stromerzeugung verwendete Energieerzeugnisse bzw. verwendeter elektrischer Strom sowie elektrischer Strom, der zur Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird" (031103).

Die Luxemburger Richter stellten demgegenüber fest, daß Kernbrennstoff nicht in der abschließenden Liste der Energieerzeugnisse enthalten sind, für die diese Richtlinie eine Steuerbefreiung vorsieht. Die fragliche Steuerbefreiung könne auch nicht analog auf Kernbrennstoff angewandt werden. Insoweit sei es zulässig, gleichzeitig den Verbrauch elektrischer Energie und den zu ihrer Erzeugung eingesetzten Energieträger zu besteuern, der kein Energieerzeugnis im Sinne dieser Richtlinie ist.

Weder Verbrauchssteuer noch Beihilfe oder Verstoß gegen Euratom-Vertrag

Die Kernbrennstoffsteuer sei ferner weder eine Verbrauchsteuer auf elektrischen Strom noch eine andere indirekte Steuer auf dieses Erzeugnis im Sinne der EU-Richtlinie über das allgemeine Verbrauchssteuersystem. Es bestehe nämlich kein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang zwischen der Verwendung von Kernbrennstoff und dem Strom, den ein Kernkraftwerk mit der vom Reaktor gelieferten Wärme erzeugt.

Ebenfalls nicht gelten ließen die Richter das Argument, daß die Kernbrennstoffsteuer andere Arten der Stromerzeugung begünstige und damit eine vom Unionsrecht verbotene staatliche Beihilfe darstelle. Andere Arten der Stromerzeugung, die keinen Kernbrennstoff verwenden, seien nicht von der Regelung betroffen. Jedenfalls befänden sie sich nicht in einer tatsächlichen und rechtlichen Situation, die mit der Atomstromerzeugung vergleichbar sei, da nur bei dieser radioaktive Abfälle entstehen.

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom ) stehe der Steuer auch nicht entgegen. Sie habe keine zollgleiche Wirkung. Sie werde nämlich nicht erhoben, weil der Kernbrennstoff eine Grenze überquert, sondern weil er unabhängig von seiner Herkunft zur gewerblichen Stromerzeugung verwendet wird. Zudem verbiete der Euratom-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht, die Nutzung von Kernbrennstoff zu besteuern, was ihn kostspieliger und damit weniger attraktiv macht.

Steuer war als Gegenleistung für die Verlängerung der KKW-Laufzeiten gedacht

Das Kernbrennstoffsteuergesetz war im Oktober 2010 zusammen mit der Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Kernkraftwerke vom Bundestag beschlossen worden (101002). Es führt für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2016 eine Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff für die gewerbliche Stromerzeugung ein. Sie beläuft sich auf 145 Euro für ein Gramm Plutonium 239, Plutonium 241, Uran 233 oder Uran 235 und wird von den Betreibern der Kernkraftwerke geschuldet.

Das Gesetz gehörte quasi zu den Gegenleistungen der KKW-Betreiber für die enorme Verlängerung der Laufzeiten um bis zu 14 Jahre. Die schwarz-gelbe Koalition hat indessen einen solchen Zusammenhang offiziell bestritten und auch nach der Rücknahme der Laufzeiten-Verlängerung am Kernbrennstoffsteuergesetz festgehalten (110501). Die schwarz-rote Koalition denkt ebenfalls nicht daran, auf die Einnahmen aus dieser Quelle zu verzichten, die etwa ein halbes Prozent des Bundeshaushalts ausmachen (140405). Es wäre sogar denkbar, daß sie die Brennelementesteuer über das Jahr 2016 hinaus verlängert, falls die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ähnlich negativ für die Kläger ausfallen sollte wie jetzt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Bundesfinanzhof stoppte von den KKW-Betreibern erstrittene Rückzahlungen

Die drei verbliebenen KKW-Betreiber RWE, E.ON und EnBW hatten deshalb bei den zuständigen Finanzgerichten geklagt und geltend gemacht, daß die Steuer mit nationalem und europäischem Recht unvereinbar sei (110607, 110704). Im Herbst 2011 gaben die Finanzgerichte Hamburg und München entsprechenden Eilanträgen von E.ON und RWE statt. Sie gewährten den beiden Konzernen außerdem vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache, worauf diese die in den Kernkraftwerken Grafenrheinfeld und Gundremmingen mittlerweile angefallenen Brennelementesteuern in Höhe von insgesamt 171 Millionen Euro zurückerhielten (111001). Allerdings hob der Bundesfinanzhof den vorläufigen Rechtsschutz wieder auf, weil das Gesetz formell ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Die KKW-Betreiber blieben damit weiterhin steuerpflichtig und mußten die Rückzahlungen retournieren (120303).

E.ON und RWE unternahmen daraufhin einen weiteren Anlauf, indem sie die Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke Brokdorf, Grafenrheinfeld, Grohnde und Isar 2 (E.ON) sowie des Kernkraftwerks Emsland (RWE) gegen die angefallenen Brennelementesteuern klagen ließen. Alle fünf Gesellschaften haben ihren Sitz im Zuständigkeitsbereich des Finanzgerichts Hamburg, das länderübergreifend auch für Niedersachsen und Schleswig-Holstein zuständig ist. Dieses Gericht schien am ehesten geneigt, der Argumentation der KKW-Betreiber zu folgen, daß die Brennelementesteuer mit der Verfassung und europäischem Recht kollidiere. Indessen wollten die Hamburger Finanzrichter erst einmal die diesbezüglichen Entscheidungen aus Karlsruhe und Luxemburg abwarten, die sie 2013 angefordert hatten. Ersatzweise gaben sie im April 2014 den Anträgen der KKW-Betreiber auf vorläufigen Rechtsschutz erneut statt und verpflichtete die Hauptzollämter zur Erstattung von insgesamt über 2,2 Milliarden Euro (140405). Der Bundesfinanzhof stoppte aber auch jetzt wieder die Rückzahlung, weil das Gesetz formell ordnungsgemäß zustande gekommen sei und seinem Geltungsanspruch grundsätzlich der Vorrang vor den Interessen der KKW-Betreiber gebühre (141213).

 

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