Januar 2017 |
170102 |
ENERGIE-CHRONIK |
In einem noch unveröffentlichten Bericht an den Haushaltsausschuß des Bundestags hat der Bundesrechnungshof dem von Sigmar Gabriel (SPD) geleiteten Bundeswirtschaftsministerium eine mangelhafte Steuerung und schwerwiegende Mängel bei der Kontrolle der Energiewende vorgeworfen. Wie die "Frankfurter Allgemeine" am 12. Januar berichtete, beanstanden die Prüfer unter anderem, daß das Ministerium keinen Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende habe. Mangelnde Koordination führe zu Doppelarbeit und doppelten Förderungen. Die organisatorische Umsetzung der Energiewende sei "nicht nachvollziehbar". Das Ministerium habe 131 neue Stellen ohne Bedarfsermittlung und ausreichende Begründung geschaffen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs, erklärte dazu, daß sich der Bericht mit seinen Beobachtungen decke: Der Ausbau der Erneuerbaren und Klimaziele würden verabsolutiert, zugleich Kosten und Risiken für die Versorgungssicherheit nicht genügend beachtet. "Wir zahlen 25 Milliarden Euro Subventionen jährlich für eine Stromerzeugung, die uns null Versorgungssicherheit liefert, wachsende Netzengpässe beschert und in vielen Stunden quasi ans Ausland verschenkt werden muß." Der grüne Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer hielt zumindest die Kritik an fehlender Koordinierung und Doppelarbeit für berechtigt. Der Bericht sei eine "schallende Ohrfeige für die Energiepolitik von Union und SPD".
Differenzierter äußerte sich die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Kritik an der Umsetzung der Energiewende ist durchaus berechtigt", erklärte sie in einem Interview mit der "Passauer Neuen Presse" (13.1.). Hier werde jedoch an der falschen Stelle kritisiert: Die Bundesregierung überwache die Kosten im Rahmen ihrer Monitoringberichte durchaus. Auch sei es sinnvoll, die Energiewende mit ausreichenden Personalkapazitäten zu begleiten. Solche "Gespensterdebatten" um angebliche Kosten hätten ja bereits zum Abwürgen der Energiewende geführt. Dabei seien es nicht die erneuerbaren Energien, welche die Energiewende unnötig verteuern, sondern das künstliche Festhalten am alten Energiesystem.
"Der Strompreis müßte nicht steigen, wenn die niedrigen Börsenstrompreise bei den Verbrauchern ankommen würden", erklärte Kemfert weiter. "Zudem zahlen viele Unternehmen die Umlage nicht, wodurch sie für alle restlichen Verbraucher ansteigt. Es fehlt aber in der Tat eine Steuerung: Noch immer sind zu viele Kohlekraftwerke am Netz. Das macht Strom teurer, führt zu einem überdimensionierten Netzausbau und zu hohen Emissionen. Der Ausbau erneuerbarer Energien sollte nicht gedeckelt werden, da gerade im Süden Deutschlands Kapazitäten notwendig wären. Zudem fehlt eine nachhaltige Verkehrs- und Wärmewende." Ferner würde es die Netzkosten deutlich senken, wenn die "Traumrenditen" der Netzbetreiber gekürzt würden.
Das Bundeswirtschaftsministerium bezeichnete die Kritik des Rechnungshofs als "nicht nachvollziehbar". Schon Anfang Dezember hatte es die Vorhaltungen der Prüfer in einer umfangreichen Stellungnahme zurückgewiesen. Ein Projekt wie die Energiewende lasse sich nicht auf eine Zahl herunterbrechen: "Aus Sicht des BMWi kann es auf die komplexe Fragestellung, was die Energiewende den Staat kostet, keine eindeutig Antwort geben", hieß es in dem 29 Seiten langen Antwortschreiben.
Der Bundesrechnungshof hat in der Vergangenheit wiederholt zu energiepolitischen Entscheidungen Stellung bezogen, wobei die Kritik meistens zu Recht erfolgte. Zum Beispiel wies er 1993 darauf hin, daß sich das unsinnige und hochgefährliche Konzept der Wiederaufarbeitung auch wirtschaftlich nicht lohnte (930905). Völlig zu Recht beanstandete er die Vergeudung von Steuergeldern für Steinkohle-Reklame (050804), das Finanzgebaren der "Deutschen Energie-Agentur" (070410) oder den Ankauf von "Ökostrom"-Zertifikaten durch die Bundeswehr (131205).
Die jetzige Kritik wirkt allerdings – soweit sich dies ohne nähere Kenntnis der Originaldokumente beurteilen läßt – teilweise unpassend und überzogen, weil gerade unter der Verantwortung Gabriels die Förderung der Erneuerbaren weitgehend auf Ausschreibungen umgestellt wurde. Damit ist es dem Staat erstmals möglich, den Ausbau der Erneuerbaren zielgenau zu steuern, soweit dieser auf Subventionen angewiesen ist. Es wurde sogar ein Instrumentarium geschaffen, mit dem die Förderkosten künftig bis zum Abwürgen der Energiewende gesenkt werden könnten.
Eigentlich wollte sich Gabriel auf diese Weise als erfolgreicher Reformer und Kostensenker präsentieren, was ihm aber nicht gelungen ist und jetzt zu seinem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur für die SPD führte (170101). Der Vorwurf des Bundesrechnungshofs, sein Ministerium habe die Kosten der Energiewende nicht im Griff, trifft ihn genau an dieser Stelle. Überzeugender wäre der Vorwurf aber gewesen, wenn sich die Prüfer auf konkrete Fälle von Geldverschwendung beschränkt hätten. Etwa jene alberne Energieeinsparungs-Reklame, die Gabriel im Mai letzten Jahres gestartet hat und die verdächtig nach Eigenwerbung auf Kosten der Steuerzahler aussieht (160507). Man gewinnt ferner den Eindruck, als müßte Gabriel nun als Sündenbock für seine Vorgänger Philipp Rösler, Rainer Brüderle und Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (110514) herhalten, die gewiß weniger kompetent waren und einen Berg von Problemen hinterlassen hatten, als er und sein Staatssekretär Rainer Baake die Leitung des Ministeriums übernahmen (131201). Insofern hatte Gabriel Recht, wenn er in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" (16.1.) erklärte: "Die Kritik des Rechnungshofes trifft für die Vergangenheit zu, aber gerade nicht für diese Legislaturperiode."
In jedem Falle muß die Kritik des Bundesrechnungshofs auch vor dem Hintergrund der Bundestagswahlen am 24. September gesehen werden. In der CDU wird bereits erwogen, den Ausstieg aus der EEG-Förderung zum Wahlkampfthema zu machen. Die Union würde damit nicht nur der SPD die Butter vom Brot nehmen, sondern könnte sich beim Herunterfahren der Förderung genau jenes Instrumentariums bedienen, das unter Gabriel zur Steuerung der Energiewende geschaffen wurde.
Beachtung verdient ferner, daß die Leitung des Bundesrechnungshofs vor bald drei Jahren einem Unionspolitiker übertragen wurde: Im April 2014 schied der SPD-Mann Dieter Engels nach zwölfjähriger Amtszeit aus. Nachfolger wurde der damals 54-jährige Kay Scheller, der bisher die Arbeit der Unionsfraktion im Bundestag koordinierte und einer der engsten Mitarbeiter von Fraktionschef Volker Kauder war. Die Ernennungsurkunde bekam Scheller vom Bundespräsidenten; sein Amt als Präsident des Bundesrechnungshofs verdankte er aber einem personalpolitischen Tauziehen innerhalb der schwarz-roten Koalition, bei dem die SPD den kürzeren gezogen hatte.