März 2014 |
140302 |
ENERGIE-CHRONIK |
In Deutschland gibt es 810 Ökostrom-Lieferanten, die mehr als 3.800 unterschiedliche Ökostromtarife anbieten. Diese Tarife leisten jedoch keinen effektiven Beitrag zur Energiewende. Sie können sie sogar gefährden, indem der nicht vorhandene oder nur geringfügige Aufpreis pro Kilowattstunde einem breiten Publikum die Illusion vermittelt, die notwendige Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Quellen lasse sich ohne wesentliche Mehrkosten bewerkstelligen. Die Akzeptanz des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der damit verbundenen Lasten wird so geschmälert. – So lautet eine Erkenntnis aus der "Marktanalyse Ökostrom", die seit März vorliegt. Die 220 Seiten umfassende Studie wurde im Auftrag das Umweltbundesamts vom Leipziger Institut für Energie GmbH erstellt und vom Bundesumweltministerium finanziert.
Was den Ausbau der erneuerbaren Energien tatsächlich vorantreibt und den deutschen Strom-Mix mittlerweile zu einem Viertel aus unzweifelhaftem Ökostrom bestehen läßt, ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die mit der EEG-Umlage subventionierten Strommengen unterliegen jedoch dem Doppelvermarktungsverbot und dürfen deshalb nicht als "Ökostrom" vermarktet werden. Zum Beispiel wurde die 2012 erzeugte EEG-Strommenge von 113 Terawattstunden zu 98 Prozent nach den geltenden Einspeisesätzen vergütet oder in Form der "Marktprämie" subventioniert. Damit blieben für die Vermarktung als "Ökostrom" gerade mal 2,4 Terawattstunden übrig: Es handelte sich dabei um solchen EEG-Strom, der entweder über das sogenannte Grünstromprivileg nach § 39 EEG oder über die ungeförderte "sonstige Direktvermarktung" nach § 33b EEG abgesetzt wurde und deshalb vom Doppelvermarktungsverbot befreit war. Außerdem gab es noch 23 Terawattstunden aus dem historischen Bestand an Laufwasserkraftwerken und ein paar anderen Anlagen, deren Erzeugung als "Ökostrom" vermarktet werden durfte, weil sei keinen Anspruch auf EEG-Förderung hatten.
Insgesamt wurden 2012 in Deutschland allerdings sogar 44,6 Terawattstunden unter dem Etikett Ökostrom abgesetzt. Das waren rund 25 Terawattstunden mehr, als der deutsche Strommarkt hergegeben hätte, wenn man restlos alles vermarktet hätte, was außerhalb der EEG-Förderung an Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde. Der größte Teil des als "Ökostrom" bezeichneten Angebots muß somit aus dem Ausland stammen.
So ist es auch. Es handelt sich aber nicht um reale Stromlieferungen. Wie die Studie feststellt, beruht die Vermarktung von "Ökostrom" in Deutschland zu rund neunzig Prozent auf dem Handel mit sogenannten Herkunftsnachweisen aus dem europäischen Ausland. Dieser Handel mit Herkunftsnachweisen stellt eine Art Etikettenschwindel dar, der mittlerweile aber sogar in einer EU-Richtlinie verankert und damit amtlich genehmigt ist. Zum Beispiel kann die Eigenschaft "Ökostrom" von einem norwegischen Wasserkraftwerk abgelöst und als separat gehandelter "Herkunftsnachweis" von einem deutschen Stromlieferanten erworben werden, der damit sein Angebot virtuell zu "Strom aus norwegischer Wasserkraft" veredelt, obwohl er weiterhin nur den normalen Strom-Mix liefert. Da solche Herkunftsnachweise unabhängig von realen Stromlieferungen verkauft werden, sind sie spottbillig zu haben. Zum Beispiel kostet der Herkunftsnachweis "Strom aus skandinavischer Wasserkraft" nur zwischen 0,02 und 0,03 Cent pro Kilowattstunde. Dennoch kann eine so herbeigeführte "Umstellung auf Ökostrom" bei großen Strommengen beträchtlich zu Buche schlagen. Zum Beispiel gab die Bundeswehr für derartige Kosmetik insgesamt 3,5 Millionen Euro aus, was auf scharfe Kritik des Bundesrechnungshofs stieß (131205).
In ihren Handlungsempfehlungen fordern die Autoren der Studie eine stärkere Aufklärung der Öffentlichkeit über den fehlenden Umweltnutzen von Ökostrom-Angeboten, die auf dem Handel mit Herkunftsnachweisen beruhen. Weiterhin müsse "kommuniziert werden, daß Stromkennzeichnung kein Ersatz für die Förderung von Ökostrom über den staatlichen Fördermechanismus ist und der Zubau von Erneuerbaren Energien in Deutschland durch die EEG-Umlage getragen wird". Das Umweltbundesamt mache zwar bereits deutlich, daß die aufgrund einer EU-Richtlinie eingeführten und von ihm verwalteten Herkunftsnachweise – die ursprünglich eine rein private Veranstaltung der Stromkonzerne waren – nichts über den Umweltnutzen des tatsächlich gelieferten Stroms besagen. Seitens der Lieferanten werde dies aber keineswegs so dargestellt.
Ein Nutzen für Umwelt, Klima und Ausbau der Erneuerbaren sei auch dann nicht gegeben, wenn die Herkunftsnachweise mit physischen Lieferverträgen kombiniert werden. Als Beispiel aus der Praxis läßt sich hier die Deutsche Bahn anführen, die ihre ganz normalen Stromlieferverträge mit RWE und E.ON anscheinend dadurch zu "Ökostrom" veredelte, daß sie zusätzlich Herkunftsnachweise für die von den Lieferanten betriebenen Wasserkraftwerke erwarb (110706, 121114). Am tatsächlichen Strom-Mix in den Oberleitungen der Deutschen Bahn änderte sich nichts.
Eine allenfalls "marginale Umweltwirkung" billigt die Studie jener Minderheit von Ökostrom-Angeboten zu, die nicht auf dem faktischen Etikettenschwindel mit Herkunftsnachweisen basiert, sondern auf allerlei anderen Zertifikaten, die einen Nutzen für Klima und Ausbau der Erneuerbaren belegen sollen. Marginal kann die Wirkung schon deshalb nur sein, weil der Aufschlag gegenüber dem normalen Strompreis allenfalls etwa einen Cent pro Kilowattstunde beträgt. Wieweit ein solcher Mehrpreis tatsächlich einen Umwelteffekt hat, ist für den Verbraucher praktisch nicht nachprüfbar. Hinzu kommt eine verwirrende Vielfalt an Kriterien, die jeweils das Prädikat "Ökostrom" begründen sollen. Zum Beispiel bezieht ein Teil der so erstellten Zertifikate nicht nur regenerativ erzeugten Strom mit ein, sondern auch Strom aus fossil befeuerten KWK-Anlagen.