August 2013

130812

ENERGIE-CHRONIK


 

In der Hamburger Anzeigenkampagne präsentiert sich Vattenfall als Unternehmen, das rund um die Uhr die Versorgung mit Strom sicherstellt. Zuständig für die Versorgungssicherheit sind aber nicht die Vattenfall-Geschäftsbereiche für Erzeugung und Vertrieb, sondern der regulierte Netzbetreiber Stromnetz Hamburg GmbH. Offenbar kennt der "energiegeladene Naturbursche" aus Schweden (rechts) die hierzulande geltenden Vorschriften für die operationelle Entflechtung nicht oder will sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.

Vattenfall-Werbung vermischt weiterhin Netz und Vertrieb

Die Bundesnetzagentur gab Anfang August die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 65 des Energiewirtschaftsgesetzes gegen den Vattenfall-Konzern bekannt. Sie verdächtigt ihn, gegen § 7a Abs. 6 des Gesetzes verstoßen zu haben. Danach haben Verteilernetzbetreiber eines integrierten Energieversorgungsunternehmens "in ihrem Kommunikationsverhalten und ihrer Markenpolitik zu gewährleisten, daß eine Verwechslung zwischen Verteilernetzbetreiber und den Vertriebsaktivitäten des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ausgeschlossen ist". Konkret richtet sich das Verfahren gegen die beiden lokalen Vattenfall-Verteilnetzbetreiber Stromnetz Hamburg GmbH und Stromnetz Berlin GmbH sowie gegen die Vattenfall GmbH, die vor einem Jahr an die Stelle der Vattenfall Europe AG getreten ist.

Anzeigenkampagnen sollen die in Hamburg und Berlin anstehenden Volksentscheide beeinflussen


Gegen diese Anzeige, die im Mai in Berlin geschaltet wurde, erwirkte der Vattenfall-Konkurrent "lekker Energie" eine Unterlassungserklärung.

Das von Amts wegen eingeleitete Verfahren wurde durch die Verbraucherzentrale Hamburg und den Stromanbieter "lekker Energie" angestoßen, die bei der Vattenfall-Werbung in Hamburg bzw. Berlin die unzulässige Vermischung von Netz- und Vertriebsaktivitäten beanstandeten. In beiden Städten hat der Konzern massive Werbekampagnen gestartet, um die anstehenden Volksentscheide über den Rückkauf der Stromnetze in seinem Sinne zu beeinflussen. In Hamburg entscheiden die Bürger am 22. September parallel zur Bundestagswahl über diese Forderung (120313) . In Berlin verlief die Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren ebenfalls erfolgreich (130612). Der Termin für den Volksentscheid wurde hier inzwischen auf den 3. November festgesetzt. Während in Hamburg die Rekommunalisierung der Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung gefordert wird, geht es in Berlin nur um die Stromversorgung.

Zuerst ist von Netzsicherheit die Rede, dann von Vattenfall

In Hamburg ist der Vattenfall-Konzern gewissermaßen Wiederholungstäter, denn er wurde hier schon im November vorigen Jahres von der Verbraucherzentrale wegen irreführender Werbung durch Vermischung von Netz und Vertrieb abgemahnt (121121). Im Mai und Juni 2013 startete er nach demselben Muster eine neue Werbekampagne. Mit insgesamt drei Anzeigenmotiven stellte er sich in Zeitungen, auf Plakaten und in Kinos als unermüdlich tätiger Garant einer sicheren Stromversorgung vor. Etwa mit dem Spruch: "Wer arbeitet weiter, wenn andere schon entspannen? Als Partner für Wärme und Strom garantieren Hamburg und Vattenfall eine sichere Energieversorgung. www.vattenfall.de/hamburg". Absender der Botschaft war also nicht die für die Versorgungssicherheit zuständige Stromnetz Hamburg GmbH, sondern Vattenfall. Und auch die Internetadresse, die unmittelbar auf den Satz zur Versorgungssicherheit folgte, führte auf die Internetseiten von Vattenfall.

Vermutlich wird Vattenfall die Formulierung "Hamburg und Vattenfall" damit zu rechtfertigen versuchen, daß die Stadt Hamburg eine Viertelbeteiligung an der neu gegründeten Stromnetz Hamburg GmbH erworben hat (111107). Es widerspricht aber dem Gebot der operationellen Entflechtung, wenn ein Netzbetreiber anstelle der korrekten Firmenbezeichnung seine Gesellschafter oder Aktionäre nennt und zusätzlich auf die Internetseite seines Haupteigentümers verweist.

Die Stromnetz Hamburg GmbH sorgt angeblich "seit fast 120 Jahren für eine sichere Stromversorgung"

Im Juli erschien dann eine Anzeigenserie, die unter der Überschrift "Wußten Sie, daß…" die Aufgaben eines Stromnetzbetreibers erklärte. Im Text hieß es unter anderem: "In Hamburg hält die Stromnetz Hamburg GmbH ... das Leitungsnetz in einem erstklassigen Zustand, baut es weiter aus und sorgt so seit fast 120 Jahren für eine sichere Stromversorgung." Die angegebene Internet-Adresse war wiederum die von Vattenfall.

"Es kann nicht Aufgabe eines Netzbetreibers sein, im Vorfeld eines Volksentscheids politische Werbung zu betreiben", stellte die Verbraucherzentrale Hamburg dazu fest. Das Energiewirtschaftsgesetz und die "Gemeinsamen Ausführungsgrundsätze der Regulierungsbehörden des Bundes und der Länder zu den Anforderungen an die Markenpolitik und das Kommunikationsverhalten bei den Verteilnetzbetreibern" vom 16. Juli 2012 gingen grundsätzlich von der Annahme aus, daß ein Netzbetreiber als Monopolist keine Werbung brauche. Greife er aber doch zum Mittel der Werbung, habe er sich äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen. Vor allem habe er, sofern er einem integrierten Energiekonzern angehört, jegliche Verwechslungsgefahr und Vermischung der Inhalte zu vermeiden. Das gelte auch für den Versuch, sich mit der über hundertjährigen Tradition des einstigen integrierten Kommunalversorgers "Hamburgische Electricitäts-Werke" (HEW) zu schmücken. Jedenfalls existiere die Stromnetz Hamburg GmbH nicht "seit fast 120 Jahren", sondern erst seit ein paar Monaten.

Stromverbraucher bezahlen über höhere Strompreise ihre eigene Verdummung

Diese Art Werbung verstößt nacn Ansicht der Verbraucherzentrale aber nicht nur gegen die in § 7EnWG enthaltenen Vorschriften zur operationellen Entflechtung. Soweit die Stromnetz Hamburg GmbH daran finanziell beteiligt sein sollte, führe sie auch zu einer unnötigen und rechtswidrigen Erhöhung der Netzkosten, die der Netzbetreiber bei der Beantragung der Genehmigung seiner Netzentgelte geltend machen kann. Letztendlich würden so die Kosten der Werbung auf die Stromverbraucher abgewälzt. Rechtlich bedenklich wäre es auch, wenn die Kampagne komplett von den Strom- und Wärmeversorgungsgesellschaften des Vattenfall-Konzerns finanziert würde. Die Überwälzung der Kosten auf den Strompreis könnte dann zwar juristisch kaum beanstandet werden. Der Stromlieferant Vattenfall würde sich dann aber mit den Leistungen des Netzbetreibers in Bezug auf Versorgungssicherheit schmücken und so gegenüber Wettbewerbern am Strommarkt einen Wettbewerbsvorteil erlangen.

In Berlin erwirkte der Konkurrent "lekker Energie" eine Unterlassungserklärung

In Berlin hatte die Vattenfall GmbH ebenfalls im Mai eine Anzeige geschaltet, um der damals laufenden Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Stromversorger das Wasser abzugraben. Darin hieß es: "Berlin hat viele Talente. Unseres ist Strom. Es gibt Dinge die kann nicht jeder. Genau deshalb braucht das Berliner Stromnetz einen professionellen Betreiber. www.vattenfall.de/Berlin. Sicherheit durch Kompetenz".

In diesem Fall war es die "lekker Energie GmbH", die der Vattenfall GmbH einen Verstoß gegen die Vorschriften zur operationellen Entflechtung vorwarf und eine Unterlassungserklärung erwirkte. Bei "lekker Energie" handelt es sich um die frühere Nuon Deutschland, die seit 2006 in Berlin und Hamburg mit Vattenfall um Stromkunden konkurriert (060109). Damit wäre es fast zu Ende gewesen, als Vattenfall 2009 den niederländischen Nuon-Konzern samt der deutschen Tochter für 8,5 Milliarden Euro kaufte (090204). Die EU-Kommission bestand jedoch darauf, daß Vattenfall den "stärksten neuen Marktteilnehmer" in den beiden Städten nicht schlucken dürfe, sondern weiterverkaufen müsse (090601). So gelangte Nuon Deutschland mit seiner Vertriebsmarke "lekker Strom" in den Besitz der Südwestfalen Energie und Wasser AG (Sewag) – besser bekannt unter der Dachmarke "enervie" – und wurde als "lekker Energie" zu deren bundesweiter Vertriebstochter (100111).

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