Mai 2011

110509

ENERGIE-CHRONIK


 

Viel Sonne, aber wenig Wind: Während Baden-Württemberg und Bayern rund die Häfte des deutschen Solarstroms erzeugen (100403), sind sie an der bundesweit installierten Windkraftleistung nur mit 3,5 Prozent beteiligt. Das hat zum großen Teil mit natürlichen Voraussetzungen zu tun, an denen auch Landespolitiker nichts ändern können. Dennoch will die neue Stuttgarter Landesregierung durch Lockerung des Planungsrechts erreichen, daß sich die Windkraftleistung in Baden-Württemberg mehr als verzehnfacht.
Quelle: DEWI

Baden-Württemberg will Strom aus Windenergie mehr als verzehnfachen

Die neue baden-württembergische Landesregierung aus Grünen und SPD (110306) will bis 2020 den Anteil der Windkraft am Stromverbrauch des Landes mehr als verzehnfachen. "Wir werden die von früheren Landesregierungen betriebene Blockade beim Ausbau der Windenergie beenden", heißt es in dem am 10. Mai unterzeichneten Koalitionsvertrag. "Wir wollen bis 2020 mindestens zehn Prozent unseres Stroms aus heimischer Windkraft decken. Wir werden zu diesem Zweck das Landesplanungsgesetz ändern und potenziellen Investoren klare Perspektiven geben."

Ergiebige Windstärken wie in in den küstennahen Gebieten der norddeutschen Tiefebene gibt es in Baden-Württemberg nur an wenigen Stellen im Schwarzwald und auf der Alb. Diese Karte veranschaulicht die mittleren Windgeschwindigkeiten in 10 Meter Höhe. Moderne WKA erreichen eine Nabenhöhe von rund hundert Metern, wodurch auch die Ergiebigkeit zunimmt. Dafür sind sie dann um so auffälliger im Landschaftsbild.
Grafik: Hamburger Bildungsserver

Derzeit decken Windkraftanlagen nur etwa 0,8 Prozent des baden-württembergischen Strombedarfs. Die installierte Nennleistung aller Windkraftanlagen beträgt landesweit etwa 482 MW. Sie müßte somit in den nächsten neun Jahren auf über 6000 MW ausgebaut werden, um das im Koalitionsvertrag genannte Ziel zu erreichen. Das wäre nicht viel weniger als in Niedersachsen, wo sich die meisten deutschen Rotoren drehen, und deutlich mehr als die in Brandenburg installierte Nennleistung (siehe Grafik 1). Dabei verfügt Baden-Württemberg jedoch keineswegs über ähnliche günstige Voraussetzungen, wie sie in den küstennahen Gebieten der norddeutschen Tiefebene herrschen. Ergiebige Windgeschwindigkeiten gibt es hier nur in den Kammlagen des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb (siehe Grafik 2). Selbst eine flächendeckende "Verspargelung" der weithin sichtbaren Kammlagen würde schwerlich ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Der Konflikt mit Landschafts- und Naturschutz ist somit programmiert. Insbesondere der grüne Koalitionspartner würde erhebliche Sympathieverluste und Konflikte in den eigenen Reihen riskieren, falls er das im Koalitionsvertrag proklamierte Ziel ernsthaft zu verwirklichen gedenkt.

Für Ministerpräsident Teufel hatte der Landschaftsschutz Vorrang

Mit einer deutlichen Zunahme und Erleichterung des Baues von Windkraftanlagen ist aber in jedem Fall zu rechnen. Zum Mangel an ergiebigen Standorten kam nämlich bisher in Baden-Württemberg eine restriktive Handhabung der planungsrechtlichen Anforderungen. Sie wurde vor zehn Jahren vom damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) aus Gründen des Landschaftsschutzes verfügt (010918), weshalb die Windkraft-Lobby auch von einer "Verteufelung" der Windenergie sprach. Unter anderem kam es zu einem exemplarischen Rechtsstreit um zwei Windkraftanlagen auf einer Wiese unterhalb des 1284 Meter hohen Schwarzwald-Gipfels "Schauinsland", deren Errichtung von der grün regierten Stadt Freiburg genehmigt worden war (030914). Die Landesregierung verlangte die Beseitigung der Anlagen. Erst im Sommer 2006 kam es zu einem Vergleich, demzufolge die beiden Anlagen vom Typ Enercon E-66/70 mit je 1,8 MW Nennleistung stehen bleiben durften. Zusammen mit vier weiteren Anlagen desselben Typs auf dem benachbarten "Roßkopf" bilden sie bis heute den größten Windpark in Baden-Württemberg.

Bisherige Landesregierung strebte eine Verdoppelung der Windstromerzeugung bis 2020 an

Mit der "Verteufelung" der Windenergie hatte bereits die jetzt abgewählte Landesregierung Schluß gemacht, indem sie kurz vor den Landtagswahlen einen detaillierten Windatlas zur Erschließung der in Baden-Württemberg vorhandenen Möglichkeiten vorlegte. Allerdings sah sie keine Verzehnfachung, sondern eine Verdoppelung der Windstromerzeugung vor. Um das Ziel eines 20-prozentigen Anteils der erneuerbaren Energieträger an der Stromerzeugung erreichen zu können, müßte demnach die jährliche Stromerzeugung aus Windkraft in Baden-Württemberg von 0.6 TWh im Jahr 2009 auf mindestens 1.2 TWh im Jahr 2020 ausgebaut werden. Auf die Zahl der vorhandenen Anlagen würde sich das so auswirken, daß zu den derzeit bestehenden etwa 370 Anlagen mindestens 150 weitere Anlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 350 MW errichtet werden müßten.

Das tecnnische Potential von einem Fünftel der Landesfläche ist nur sehr bedingt auch nutzbar

Nach dem neuen Windatlas ist in 100 Meter Höhe über Grund – der üblichen Nabenhöhe heutiger Rotoren - auf 21 Prozent der Gesamtfläche Baden-Württembergs eine Windgeschwindigkeit von mehr als 5,25 Meter pro Sekunde vorzufinden, die den Betrieb von Windkraftanlagen rentabel machen würde. Auf etwa 0,8 Prozent der Landesfläche herrschen sogar Windgeschwindigkeiten von mehr als sechs Meter pro Sekunde. Dieses technische Potential darf allerdings nicht mit dem nutzbaren Potential verwechselt werden. Zum Beispiel würde der 568 Meter hohe Königstuhl über Heidelberg ideale Bedingungen für die Errichtung von Windkraftanlagen bieten, was aber schon aus Gründen des Landschafts- und Stadtbildschutzes nicht in Frage kommt. Als die lokale "Rhein-Neckar-Zeitung" unlängst über Pläne zur Bestückung des Berges mit Windkraftanlagen berichtete, war das lediglich als Aprilscherz und satirische Überspitzung der gegenwärtigen Windkraft-Diskussion gedacht.

Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 sollen auf Dauer stillgelegt werden

In ihrem Koalitionsvertrag bekunden Grüne und SPD ferner die Absicht, die Kernkraftwerke Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 dauerhaft stillzulegen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, nicht nur die Laufzeiten-Verlängerung zurückzunehmen, sondern ein Gesetz für einen beschleunigten Atomausstieg zu verabschieden. Baden-Württemberg wird sich der Verfassungsklage anderer Bundesländer gegen die Ausschaltung des Bundesrats bei der jüngsten Änderung des Atomgesetzes anschließen (101105).

In der Endlager-Frage befürwortet das Koalitionspapier ein "ergebnisoffenes, bundesweites Suchverfahren", das mithin auch Baden-Württemberg einschließt. Von der Schweiz wird erwartet, daß sie die Interessen der grenznahen deutschen Bevölkerung berücksichtigt, falls sie die im Norden des Landes erwogenen Endlager-Standorte zu verwirklichen gedenkt (081114).

Weitere Programmpunkte sind die Förderung von erneuerbaren Energien, Energieffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung. Die Nutzung von Biomasse soll dabei jedoch "stärker entlang von Umwelt- und Naturschutzkriterien ausgerichtet" werden. Beim Vorantreiben geothermischer Projekte will man "die Erfahrungen aus den Ereignissen in Basel und Staufen berücksichtigen" (110110).

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